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»Man scheut sich, intensiv hinzuschauen«

Im Wortlaut von Martina Renner,

                                                                         Foto: Axel Schmidt/CommonLens/ddp images

 

Martina Renner, Obfrau der Fraktion DIE LINKE im NSA-Untersuchungsausschuss, kritisiert im Interview mit dem Deutschlandfunk, dass der Verfassungsschutz immer noch nicht genau hinschaue, wenn es um Vorwürfe gegen befreundete Staaten oder Partner gehe. Zur Vernehmung von BfV-Chef Maaßen und seinem Vorgänger Fromm im Ausschuss hält sie für notwendig, weil sie nicht glaube, dass die NSA hochwertige Software wie XKeyscore dem Verfassungsschutz ohne Gegenleistung zur Verfügung gestellt habe.

 

Dirk-Oliver Heckmann: Erstmals befragt der NSA-Untersuchungsausschuss heute den aktuellen Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, und seinen Vorgänger Heinz Fromm. Martina Renner ist Obfrau der Linken im NSA-Untersuchungsausschuss und jetzt telefonisch mit uns verbunden. Guten Morgen, Frau Renner.

Martina Renner: Guten Morgen, Herr Heckmann.

Heckmann: Frau Renner, im Fokus des Untersuchungsausschusses stehen ja neben der NSA vor allem der Bundesnachrichtendienst, also der deutsche Auslandsgeheimdienst. Was versprechen Sie sich denn jetzt heute von der Vernehmung der Verfassungsschützer?

Renner: Wir werden an den amtierenden und den geschiedenen Präsidenten tatsächlich Fragen zu drei Komplexen stellen. Das ist zum einen der Einsatz der Software XKeyscore, die ja von der NSA nicht nur an den BND übergeben wurde, sondern auch an den Inlandsgeheimdienst Bundesamt für Verfassungsschutz. Und diese Software steht ja im Verdacht, Teil eines weltweiten Überwachungsnetzwerkes der NSA zu sein. Wir glauben nicht das, was die Zeugen des BfV uns im Ausschuss gesagt haben, dass diese doch sehr wertige Software dem BfV quasi ohne Gegenleistung zur Verfügung gestellt wurde, ganz selbstlos von der NSA, sondern dass möglicherweise auch Daten vom BfV an die NSA übergeben werden sollten.

Woher nehmen Sie diese Erkenntnis?

Weil dieses Prozedere "gib und nimm", das ist sehr typisch für die Weitergabe von Technik und Software durch die NSA. Und beim BND lief es ja auch so in Bad Aibling, dass man Hardware und Software nur gegen Daten zur Verfügung gestellt hat. Zum anderen glauben wir auch, dass das BfV tatsächlich auch ein eigenes Interesse hat, neben dem BND eigenständig mit der NSA zu kooperieren, um ein bisschen aus dem Schatten des Auslandsgeheimdienstes, was die internationale Kooperation angeht, treten zu können. Dann gibt es noch zwei weitere Themen, die sind ja in Ihrem Bericht schon angesprochen worden. Die sind natürlich mindestens ebenso wichtig, wenn nicht gar bei dem Drohnenkrieg noch wichtiger: Das ist zum einen die Frage der Spionageabwehr. Wir haben von den Zeugen des Bundesamts für Verfassungsschutz gehört, dass man zwar diesen 360-Grad-Blick propagiert, aber dass man sich tatsächlich scheut, ich sage mal: intensiv hinzuschauen, was befreundete Staaten und Partner hier tatsächlich in Deutschland unternehmen im Kontext Massenüberwachung und illegale Spionage. Man geht zum Beispiel nicht in die Liegenschaften. Man schaut sich nicht an die Kooperation der NSA und CIA mit dem Bundesnachrichtendienst, Stichwort Abgriff an deutschen Kabeln zum Beispiel in Frankfurt am europäisch größten Internetknoten und Ähnliches. Da ist man doch sehr gehemmt, tatsächlich ähnlich wie bei anderen Ländern auch durch möglicherweise bestimmte nachrichtendienstliche Methoden genauer hinzuschauen.

Aber der Innenminister, Thomas de Maizière, der hatte ja vor zwei Jahren diesen berühmten 360-Grad-Blick angekündigt. Wie kommen Sie zu der Erkenntnis, dass da keine Konsequenzen gezogen wurden?

Wir haben ganz konkret die Zeugen gefragt. Nach den Snowden-Veröffentlichungen hat man im Bundesamt für Verfassungsschutz eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sämtliche Vorwürfe aus den Snowden-Leaks sich angeschaut hat und geprüft hat, ob sie stimmen können. Das Ergebnis dieser Arbeitsgruppe ist ziemlich mau und das können wir uns, ehrlich gesagt, auch angesichts der vielleicht doch nicht so großen Personalkapazität nicht vorstellen. Und dann haben wir auch vernommen, zum Beispiel man klopft bei den Amerikanern an und sagt, dürfen wir uns denn mal zum Beispiel ein Botschaftsdach anschauen, und dann sagen die Amerikaner nein, und das war's dann. Da gibt es viele andere Beispiele, wo man wirklich nicht in die Tiefe geht und zum Beispiel mal nachschaut mit eigener technischer Kompetenz. Wenn man zum Beispiel so ein Tool wie XKeyscore hat: Was macht das eigentlich? Was könnte möglicherweise die Back Dore in dem Ganzen sein, wo könnten Daten auslaufen an die USA und Ähnliches. Da ist man nicht sehr konsequent mit dem 360-Grad-Blick.

Aber ist nicht eine Zusammenarbeit der Dienste gerade in diesen Zeiten des Terrors hoch notwendig?

Das stellt ja niemand infrage. Nur wenn man unter Freunden zusammenarbeitet, heißt das nicht, dass man gleichzeitig das Plazet gibt auch sozusagen der Kehrseite dieser Zusammenarbeit, selbst Opfer von Überwachung und Spionage zu werden. Und ich sage mal: Die Vorwürfe, dass hier das ganze Regierungsviertel ausspioniert wird, die Ministerien, Einrichtungen des Bundes, aber möglicherweise auch der Bundestag, der ist ja nicht ohne. Und da muss man sich natürlich eigentlich als Bundesregierung und als Spionageabwehr des BfV auch deutlich gegen verwehren. Ich sage mal, für uns ist heute in der Vernehmung von Dr. Maaßen und Herrn Fromm tatsächlich der dritte Komplex, der ja auch schon benannt wurde von Ihrem Kollegen Falk Steiner, also die Frage Datenweitergabe zur Zielerfassung und im illegalen Drohnenkrieg, zentral, weil hier sterben Menschen.

Darauf wollte ich gerade eingehen. Und zwar geht es ja unter anderem um diesen Fall des Dschihadisten Benjamin Erdogan. Der ist ja als erster Deutscher in die Geschichte eingegangen, der durch eine amerikanische Drohne getötet worden ist. Zuvor hatte der Verfassungsschutz seine Handy-Daten an die Amerikaner weitergegeben, die ihn dann womöglich geortet haben mithilfe dieser Daten. Hat sich der Verfassungsschutz hier schuldig gemacht?

Genau das versuchen wir auch heute in der Zeugenbefragung zu klären. Benjamin Erdogan ist nicht das einzige deutsche Drohnenopfer. Es gibt mindestens sechs bis sieben Personen, deutsche Staatsbürger oder Menschen, die vormals in Deutschland gelebt haben, die als Dschihadisten ins Kriegsgebiet gegangen sind. Und da muss man sagen, klar, irgendwie müssen die Sicherheitsbehörden sich um solche Aktivitäten kümmern, insbesondere wenn dort Vorhaben bestehen, dass man deutsche Truppen in Afghanistan angreifen will oder möglicherweise als Attentäter nach Europa zurückkehren will. Vollkommen unbenommen! Um was es hier aber geht ist, dass das BfV vor und nach und zum Zeitpunkt dieses ganzen Vorgangs Benjamin Erdogan regelmäßig Daten weitergibt, Handy-Daten, Gerätenummern, Angaben zum Aufenthaltsort, Angaben zu Kontaktpersonen, alles Mögliche, die geeignet sind, im Drohnenkrieg als Zielerfassung zu dienen. Und das - das muss ich vielleicht noch erläutern -, obwohl es eine klare Weisungslage gibt, auch in der Zusammenarbeit, man sagt den Amerikanern, diese Daten sind nur für nachrichtendienstliche Zwecke und dürfen für sonst nichts verwandt werden. Die Amerikanern zeichnen das immer ab, scheinen sich nicht daran zu halten, und - und das kommt noch hinzu - nach dem Tod von Benjamin Erdogan gibt es auch eine Erlasslage durch das Bundesministerium des Innern als Fach- und Rechtsaufsicht gegenüber dem BfV, das sagt, in Zukunft unterlasst ihr bitte, Daten weiterzugeben nach Pakistan, Afghanistan, die zur Ortung geeignet sind. Trotzdem sterben auch nach Benjamin Erdogan weitere Deutsche und auch Personen aus Deutschland, Dschihadisten auf diesen Reisegruppen, zu denen das BfV Angaben macht, fortgesetzt bis heute.

Was sagt das über die Amtsführung von Verfassungsschutzpräsident Maaßen?

Das ist ja wichtig, weil Maaßen auch damals zu dem Tod an Benjamin Erdogan im Innenministerium, obwohl er noch nicht BfV-Präsident war, aber er war im Innenministerium in der Abteilung III Terrorismusabwehr zuständig mit für diesen ganzen Vorgang. Er ist also in doppelter Hinsicht heute ein wichtiger Zeuge, weil er über die aktuelle Praxis berichten kann. Werden diese Daten immer noch weitergegeben, obwohl wir mittlerweile doch aus Experten- und Zeugenaussagen wissen, dass eine Drohne mit einer Mobilfunknummer auch orten kann? Und Hayden, der ehemalige NSA-Chef, sagt ja auch: "We kill People based on Metadata." Wir kennen diese Aussage, man kann sie auch in dem neuen Hayden-Buch nachlesen. Und auf der anderen Seite: Er war auch schon im Innenministerium damit zugange, und ich glaube, das wird für ihn tatsächlich ein zentraler Punkt.

Und er ist ja insgesamt nicht unumstritten. Ich erwähne nur die Erkenntnisse in Sachen NSU und auch seine Rolle um die Veröffentlichung von Netzpolitik.org, die Landesverratsaffäre. Ganz kurz noch, Frau Renner: Ist Herr Maaßen aus Ihrer Sicht in dem Amt überhaupt noch zu halten?

Das hängt jetzt, glaube ich, maßgeblich mit von der Entwicklung im NSU-Untersuchungsausschuss ab. Das muss ich deutlich sagen. Das was dort zur Rede steht, dass Beweismittel in einem Verfahren, wo es um zehnfachen Mord geht, unterdrückt werden durch eine Bundesbehörde, wiegt für mich tatsächlich so gravierend, wenn sich rausstellt, dass hier mit Vorsatz gehandelt wird, oder aber dass Teile der Behörde vollkommen eigensinnig irgendwie agieren und deutsche Strafverfolgungsbehörden wie die Generalbundesanwaltschaft, aber auch das OLG München quasi foppen. Ich glaube, dann wird es für Herrn Dr. Maaßen sehr eng.

 

Deutschlandfunk, 9. Juni 2016