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Mali: Nicht nur Elend, sondern Widerstand

Im Wortlaut von Christine Buchholz,

In Mali: Christine Buchholz zwischen Aktiven der Bildungs- und Kulturgewerkschaft SNEC
 

Von Christine Buchholz, verteidigungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 

Die Bundesregierung plant, das Bundeswehrkontingent in Mali weiter aufzustocken. Derzeit sind deutsche Soldaten mit einer Personalobergrenze von 400 in dem westafrikanischen Land aktiv: Im Rahmen der europäischen Mission EUTM Mali als militärische Ausbilder sowie im Stab der UN-Mission MINUSMA.

Letztere machte in den letzten Wochen von sich reden. Eigentlich soll MINUSMA nur einen Waffenstillstand zwischen malischen Regierungssoldaten und der Tuareg-Miliz MNLA sowie anderen bewaffneten Gruppen überwachen, flankierend zu den Friedensverhandlungen in Algier. Doch im Januar feuerte ein niederländischer Kampfhubschrauber der MINUSMA-Truppe auf ein oder mehrere Fahrzeuge der MNLA und tötete mindestens sieben Kämpfer. Daraufhin brach der Verhandlungsprozess zwischen Tuareg und malischer Regierung zusammen. Einige Tage später kam es in der Stadt Gao zu Protesten gegen MINUSMA, bei denen Ordnungskräfte mindestens drei Zivilisten erschossen.

Dies wirft Fragen auf: Was ist wirklich in Mali los? Was treibt die Bundeswehr im Land? Im November 2014 habe ich eine Reise in das Land unternommen, um mir vor Ort ein Bild über die sozialen und politischen Rahmenbedingungen zu verschaffen. Hier die wichtigsten Ergebnisse.

1) Mali ist ein Land, das von zunehmender Verarmung im Zuge der Strukturanpassungspolitik der internationalen Finanzorganisationen seit den 1980er Jahren geprägt ist. Nachdem eine Revolution im Jahr 1991 eine kurze Phase des politischen Aufbruchs einläutete, haben die folgenden Regierungen weiter die Lebensgrundlagen der Mehrheit der Bevölkerung zerstört. Damit ging die Zerrüttung staatlicher Strukturen einher, zum Beispiel im Gesundheits- und Bildungssektor.

Während sich internationale Konzerne und die kleine herrschende Klasse Malis an den Ressourcen des Landes bereichern, muss ein sehr großer Teil der Bevölkerung unter extrem prekären Bedingungen im informellen Sektor seinen Lebensunterhalt sichern. Das Stadtbild der Hauptstadt Bamako wird in weiten Teilen von Kleinsthändlern und ihren häufig elenden Ständen geprägt. Der Mindestlohn betrug rund 43 Euro pro Monat, bevor die Regierung im vergangenen August infolge eines zweitägigen Generalstreiks einer Anhebung auf etwa 61 Euro zustimmte. Von diesem Geld müssen ganze Familien auskommen: fast fünfzig Prozent der Bevölkerung sind jünger als 15 Jahre.

2) Der Zerrüttungsprozess staatlicher Strukturen machte auch vor der Armee nicht Halt. Dies bildet den Hintergrund für die nahezu kampflose Kapitulation vor separatistischen und dschihadistischen Kräften im Norden des Landes im Jahr 2012. Der bewaffnete Konflikt im Norden Malis war und ist im Kern ein Kampf um die Kontrolle der lukrativen Handels- und Schmuggelwege durch die Sahara, auf denen vor allem Drogen und Waffen transportiert werden. Die aus dem benachbarten Algerien gekommenen Dschihadisten haben sich daneben vor allem durch die Erpressung von Lösegeldern infolge von Geiselnahmen finanziert.

Die Empörung über die Kapitulation der Armee vor den bewaffneten Gruppen im Norden führte zu einem Putsch im März 2012, der aus einer Meuterei heraus entstand. In Bamako regiert zwar seit über einem Jahr mit Ibrahim B. Keita wieder ein gewählter Präsident. Aber die mit den Wahlen kurzfristig aufgekeimten Hoffnungen auf Demokratisierung und soziale Verbesserungen sind bereits einer tiefen Desillusionierung gewichen. Nach nur zwölf Monaten im Amt sah sich der neue Präsident bereits mit massiven Korruptionsvorwürfen konfrontiert, unter anderem im Zusammenhang mit der undurchsichtigen Beschaffung eines Großraumflugzeugs zur Eigennutzung.

3) Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich übt immer noch einen bestimmenden Einfluss auf das Land aus. Eine unter dem Namen Serval von der französischen Armee im Januar 2013 begonnene Militäroperation dauert unter verändertem Namen und veränderter Strategie fort. Doch die Stimmung im Land ist umgeschlagen. Während viele Malier die französischen Soldaten ursprünglich als Verbündete gegen die als Besatzer empfundenen Dschihadisten im Norden feierten, wird ihre Präsenz heute von vielen abgelehnt. Die französische Politik im Land wird von vielen als ein demütigendes Diktat wahrgenommen.

Zehn transnationale Konzerne sind in der Goldförderung aktiv. Unter dem Boden Malis lagern darüber hinaus große Öl- und Gasvorkommen sowie zahlreiche andere Ressourcen wie Uran, Bauxit oder Phosphat. Es ist eine weitverbreitete Auffassung in Mali, dass es diese Rohstoffe sind, die letztendlich die Motivation der internationalen Militärintervention erklären. Im Norden haben vor kurzem erste erfolgreiche Probebohrungen nach Erdöl stattgefunden. Ansonsten findet die Gewinnung von Bodenschätzen bislang nur im Süden statt. In diesem Zusammenhang geht der malische Staat auch mit Gewalt vor. Von Aktivisten wurde uns erklärt, dass im Herbst 2014 Streitkräfte auf malische Goldsucher geschossen haben, die einem transnationalen Bergbauunternehmen im Weg waren.

4) Die internationalen Militäreinsätze lösen keine Probleme und verstärken den Einfluss der westlichen Staaten in Mali. Aus der Operation Serval ist inzwischen die regional angelegte Operation Barkhane geworden. Ein wichtiges Ziel ist der Schutz der Uranressourcen im benachbarten Niger. In Nordmali jagt die französische Armee aus der Luft und mit Kommandos am Boden in einem geheimen Krieg Gruppen von Dschihadisten, bei denen keine Gefangenen gemacht werden. Es ist unklar, wie viele Menschen infolge von Luftangriffen und Spezialoperationen ermordet worden sind. Die geschätzten Zahlen schwanken zwischen 400 und 1500.

Deutschland beteiligt sich militärisch vor allem an der europäischen Mission EUTM MALI, die malische Gefechtsverbände ausbilden soll. Nach einem zwölfwöchigen Lehrgang werden die Gefechtsverbände für neun Monate in den Norden verlegt. Ob diese Mission ihren vorgegeben Zweck erzielt, wird von beteiligten Ausbildern im persönlichen Gespräch skeptisch beurteilt. Allerdings haben diese Maßnahmen den damaligen malischen Premierminister im vergangenen Mai ermutigt, einen Angriff gegen die von Tuareg und Arabern gehaltenen Stadt Kidal zu starten. Der Angriff scheiterte. Über 80 malische Soldaten ließen dabei ihr Leben.

Deutschland und andere europäische Staaten beteiligen sich an EUTM MALI, um Einfluss in Mali und darüber hinaus zu erhalten beziehungsweise auszubauen.

Auch wenn es die malische Regierung und Armee anders sehen – viele linke malische Gesprächspartner machten uns klar: Zum Frieden tragen diese Maßnahmen nicht bei. Eine Lösung in Mali ist nur aus dem Land heraus möglich. Zugleich brauchen Millionen junge Männer und Frauen im Norden wie Süden Malis eine soziale Perspektive.

5) Auf der Ebene der deutsch-malischen Entwicklungszusammenarbeit hat es Projekte gegeben, die von vielen Maliern sehr positiv beurteilt werden, da sie eine nachhaltige Wirkung erzielen konnten. So hat ein von der GIZ im Nigerbogen durchgeführtes landwirtschaftliches Programm dazu beigetragen, dass viele Gemeinden heute über eine selbsttragende Lebensgrundlage verfügen. Das ganze Gebiet ist sehr fruchtbar und könnte das Land bei flächendeckender intensiver Bewirtschaftung reichlich mit Getreide, Gemüse und Obst versorgen.

Andere Projekte, etwa zu mehr Transparenz bei der Rohstoffgewinnung, werden von Aktivisten als unwirksam eingeschätzt, da sie nicht die Profitlogik in Frage stellen. So sollen durch Ausgliederungen an Unterauftragnehmer Beschäftigungseffekte in Gemeinden erzielt werden, die sich in der Nähe zu Bergwerken befinden. Doch diese Unteraufträge würden am Ende nur an andere internationale Unternehmen oder malische Geschäftsleute aus der Hauptstadt gehen, da in den Gemeinden nicht im Entferntesten marktwirtschaftlich konkurrenzfähige Strukturen vorhanden sind. Die laufende internationale Transparenzinitiative schafft mehr Klarheit bei den Eigentumsverhältnissen am Boden, was aber vor allem für internationale Unternehmen interessant ist. Dass Transparenz über die erwirtschafteten Gewinne geschaffen wird, ist nicht zu erwarten. An der steuerlichen Befreiung auf ausländische Investitionen wird sich nichts ändern. Good governance-Projekte laufen Gefahr, ein Feigenblatt für die malische Regierung und transnationale Konzerne zu werden.

6) Mali ist nicht nur Elend, sondern auch Widerstand. Es gibt eine Vielzahl an sozialen Initiativen und Netzwerken, die ihre Wurzeln in der Revolution von 1991 haben und durch die globalisierungskritische Bewegung der 2000er Jahre geprägt wurden.

Auch gibt es in Mali eine tief verankerte Kultur zwischenmenschlicher Solidarität. So wurden in den letzten zwei Jahren einige hunderttausend Binnenflüchtlinge aus dem Norden von Verwandten und Bekannten im Süden aufgenommen. Zahlreiche Netzwerke kämpfen um die Verbesserung von Lebensbedingungen. Ein Beispiel ist die "Vereinigung der Ausgewiesenen", die sich um gestrandete Flüchtlinge kümmert, die in europäischen oder afrikanischen Staaten erst interniert und dann nach Mali abgeschoben wurden. Es gibt auch eine parteiübergreifende Organisation, die der Sklaverei in Mali den Kampf angesagt hat, von der in unterschiedlicher Form geschätzt 800.000 Personen betroffen sein sollen. Die Organisation ARACEF unterstützt die Familien in der Gemeinde Falea in ihrem Kampf gegen den Bau einer Uranmine durch einen kanadischen Bergbaukonzern.

Die Gewerkschaften teilen sich in verschiedene Dachverbände auf. Im August 2014 hat es einen zweitägigen Generalstreik gegeben, in dessen Folge der Mindestlohn um fast ein Drittel angehoben und die Erhöhung der Strompreise zurückgenommen wurde.

Auch die Streitkräfte sind nicht gegen Meutereien immun. Der erste im Rahmen von EUTM MALI ausgebildete Gefechtsverband weigerte sich während der Abschlusszeremonie, das Gelernte den anwesenden politischen Repräsentanten vorzuführen, da ihnen erwartete Gelder nicht ausgezahlt wurden.

Mit der Partei SADI, die im Parlament vertreten und sehr aktiv in verschiedenen sozialen Bewegungen ist, hat DIE LINKE vor Ort eine Schwesterpartei, die unter schwierigen Bedingungen aktiv aufbaut.

Es gibt einen linken, bewegungsorientierten Radiosender, Radio Keyira, mit mehreren Stationen im Land, der täglich die Bevölkerung über politische Zusammenhänge und Widerstand informiert.

7) Die Massenbewegung, die im Oktober 2014 im benachbarten Burkina Faso den langjährigen Diktator Blaise Campaoré stürzte, strahlte auf die gesamte Region aus. Es sind diese Bewegungen, die das Potenzial für eine nachhaltige Umgestaltung im Interesse der Mehrheit der westafrikanischen Bevölkerung bietet. Der Widerstand von unten ist unser Bezugspunkt in der Region. Wir kritisieren die Einflussnahme Deutschlands und der EU, die im engen Verbund mit der dominierenden ehemaligen Kolonialmacht Frankreich vorrangig an der Etablierung und Konsolidierung eines ihnen genehmen Regimes in Mali orientiert ist.

linksfraktion.de, 5. Februar 2015