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Lohnuntergrenze? Tricks und Täuschungen der CDU

Im Wortlaut von Michael Schlecht,

Kommentar

Von Michael Schlecht, Chefvolkswirt der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Das ist doch richtig prima: Die CDU will scheinbar einen Mindestlohn, auch wenn er verschämt Lohnuntergrenze genannt wird. Dass die Positionsverschiebung bei der CDU jetzt kommt, liegt an der spätestens 2013 anstehenden Bundestagswahl. Da macht es sich gut, am sozialen Profil zu arbeiten. BDA-Präsident Dieter Hundt beklagt, dass die CDU wohl der Meinung der Bevölkerung nachgegeben habe.

Jedoch weigert sich die CDU, einen festen Euro-Betrag für die Lohnuntergrenze gesetzlich festzulegen. Sie will, dass die Tarifvertragsparteien diese ausmachen, allerdings nur für Branchen und Wirtschaftsbereiche, in denen es keine Tarifverträge gibt. Diese Lohnuntergrenze soll dann gesetzlich für allgemeinverbindlich erklärt werden.

So etwas kann sich nur jemand ausdenken, der von der Tarifwirklichkeit keine Ahnung hat oder die Öffentlichkeit bewusst täuschen will.

Mit der Agenda 2010, die SPD und Grüne 2003 beschlossen haben, wurde der Tarifautonomie ein weiterer Schlag versetzt. Wenn immer mehr Menschen befristet arbeiten und um die Verlängerung zittern, wenn immer mehr nur noch Leiharbeit haben, wenn vor allem immer mehr Frauen in Minijobs nur noch eine zerstückelte Arbeitswelt erleben, dann ist gewerkschaftliche Durchsetzungsmacht massiv eingeschränkt. Hinzu kommt die allgegenwärtige Angst vor dem Absturz in Hartz IV, die wie eine disziplinierende Peitsche über den Köpfen kreist. So konnten die Gewerkschaften in vielen Tarifbereichen nur noch miserable Abschlüsse erzielen. Häufig waren neue Tarifverträge überhaupt nicht mehr möglich. Vor 20 Jahren haben noch 70 Prozent der Beschäftigten unter dem Schutz eines Tarifvertrages gearbeitet, heute sind es nur noch rund 50 Prozent.

Die immer wieder gerade auch von konservativen Politikern gepriesene Tarifautonomie ist in weiten Teilen zerstört worden. Mit dem Fortfall des Zumutbarkeitsschutzes, der bis zur Einführung von Hartz IV faktisch eine Lohnuntergrenze darstellte, war der freie Fall der Löhne vorprogrammiert. Dies war der letzte Anlass für ver.di als Notwehrmaßnahme auf den allgemeingültigen, gesetzlichen Mindestlohn zu setzen.

Wenn die CDU jetzt Krokodilstränen ob des Schicksals der Hunger- und Niedriglöhner vergießt, sich gleichzeitig weigert den Mindestlohn festzulegen, dann ist dies triefender Zynismus. Den schwarzen Peter den Tarifvertragsparteien zuzuschieben, ist so, als würde man einem Menschen die Beine brechen und dann von ihm verlangen, hundert Meter zu laufen. Als beispielhafte Orientierung wird in der CDU auf die Mindestlohnsätze bei Leihbeschäftigen in Höhe von 7,79 Euro im Westen und 6,89 Euro im Osten verweisen. Einmal abgesehen davon, dass diese Sätze viel zu niedrig sind und die Ost-West-Diskriminierung grotesk ist – wie sollte der DGB mit dem BDA als Verhandlungspartner selbst solche Lohnuntergrenzen durchsetzen? Ohne jeglichen Druck aus den Betrieben?

Zum gesetzlichen Mindestlohn, betrage er 8,50 Euro wie vom DGB oder zehn Euro wie von der LINKEN gefordert, gehört zwingend die Festlegung durch den Gesetzgeber. Wer das verweigert, will keine Lohnuntergrenze, die die Lebenslage der Menschen verbessert, geschweige denn den Mindestlohn.

linksfraktion.de, 7. November 2011