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Linkspartei kritisiert Rentenerhöhung als "Wahlgeschenk"

Im Wortlaut von Volker Schneider,

Volker Schneider fordert Rückkehr zur alten Berechnungsformel

Die geplante Rentenerhöhung stößt bei der Linkspartei auf Kritik. Volker Schneider, rentenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Linken, bezeichnete die Erhöhung als "Wahlgeschenk" der Bundesregierung im Hinblick auf 2009. Man könne deutlich erkennen, dass sich die Bundesregierung mit ihrer Rentenpolitik völlig vergaloppiert habe, sagte Schneider.

Birgit Kolkmann: Die Renten werden steigen, das ist sicher, und zwar ab Juli um 1,1 Prozent. Der Rentenkompromiss der Bundesregierung wird morgen im Bundeskabinett beschlossen, aber er bleibt umstritten, bei der Wirtschaft und bei den Gewerkschaften. BDI-Präsident Thumann hält den Beschluss für populistisch. Die Regierung verteile Wahlgeschenke unter dem Mäntelchen der sozialen Gerechtigkeit. Und die Gewerkschaften sagen, die Rentenerhöhung werde sich als Bumerang erweisen. Denn erst einmal gebe es mehr Geld, dafür werde in den kommenden Jahren stärker gekürzt. Also alles nur ein Nullsummenspiel oder gar ein Minusgeschäft für die Rentner? Volker Schneider ist der rentenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der Linkspartei. Schönen guten Morgen!

Volker Schneider: Schönen guten Morgen!

Kolkmann: Herr Schneider, was halten Sie vom Rentenkompromiss?

Schneider: Zum einen kann man natürlich deutlich erkennen, dass sich die Bundesregierung mit ihrer Rentenpolitik völlig vergaloppiert hat. Die Rentner müssen jetzt ertragen, was langfristig geplant ist, und was so für sie nicht zu ertragen ist. Dann hat auf der anderen Seite Herr Thumann natürlich recht. Das ist ausschließlich und allein ein kleines Wahlgeschenk im Hinblick auf 2009. Und es ist eben kein Geschenk von Dauer, sondern das, was jetzt mehr ausbezahlt wird, wird in Zukunft zurückgenommen werden, sodass absehbar ist, dass wir eine Vielzahl von Nullrunden haben, damit die Bundesregierung auf das Niveau kommt, das sie eigentlich anstrebt.

Kolkmann: Was wäre denn aus Ihrer Sicht gerechter?

Schneider: Viel gerechter wäre es, wenn wir zu der alten Rentenformel zurückkehren würden und dann ergänzend auch die Rentenversicherung ausbauen zu einer Erwerbstätigenversicherung mit einem Solidarausgleich innerhalb der Rentenversicherung. Das ist unser Modell dafür. Das würde allerdings auch bedeuten, dass wir steigende Beiträge hätten in der Rentenversicherung, wobei ich gleich klarstellen müsste, steigende Beiträge beziehen sich hierbei auf den Arbeitgeberanteil, denn die Arbeitnehmer müssen, wenn wir Riester mit dazurechnen und wenn wir weitere private Altersvorsorge mit dazurechnen genau das zahlen, was bei den Arbeitgebern eingespart wird.

Kolkmann: Nun sagten Sie aber eben zu der Rückkehr zur alten Rentenformel, das wäre teurer für die Arbeitgeber. Ist das überhaupt machbar, wenn man das System stabil halten möchte?

Schneider: Es gab über viele Jahre hinweg eine Diskussion über die sogenannten Lohnnebenkosten und deren Beschäftigungswirkung. Wenn Sie sich einmal anschauen, wie die Beschäftigungswirkung der Mehrwertsteuererhöhung war, wo es um ganz andere Beträge ging, entlarvt sich im Grunde genommen diese Debatte als ein wohlfeiles Argument, um zu verhindern, dass die Arbeitgeber an dieser Stelle Sozialversicherungsbeiträge bezahlen, die solidarisch und gerecht wären.

Kolkmann: Haben denn die Rentner nun unter den Preissteigerungen, die ja immer zu Buche schlagen, noch mehr zu leiden als alle anderen Menschen in der Bevölkerung?

Schneider: Da haben Sie ausgesprochen recht. Wir haben im März eine Inflationsrate von 3,1 Prozent. So eine Inflationsrate ist immer ein Durchschnittswert. Da stecken zum Beispiel auch minus zehn Prozent bei Computern drin, die nun den Rentnern überhaupt nicht weiterhelfen. Dafür sind die Nahrungsmittel und Getränke um 9,6 Prozent gestiegen, Heizöl beispielsweise um über 40 Prozent gestiegen, sodass die Universität Fribourg in der Schweiz berechnet hat, dass anhand des typischen Konsumverhaltens von Rentnern davon auszugehen ist, dass sie unter einer Inflationsrate von sechs Prozent leiden.

Und wenn Sie dann überlegen, dass jetzt um 1,1 Prozent erhöht werden soll, was ja im Grunde genommen nur 0,85 Prozent sind, wenn Sie die Erhöhung der Pflegeversicherung abziehen, dann merken Sie, dass selbst diese 1,1 Prozent den Rentnerinnen und Rentnern überhaupt nicht weiterhelfen. Sie haben real über fünf Prozent weniger in der Tasche.

Kolkmann: Nun werden sie künftig möglicherweise noch weniger in der Tasche haben, denn am Freitag hat ja das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Erhebung von Krankenversicherungsbeiträgen auf Betriebs- und Witwenrenten sowie auf Einmalzahlungen aus Direktlebensversicherungen und Pensionskassen ebenfalls verfassungsgemäß ist. Bleibt den Menschen dann im Alter noch immer weniger, obwohl viele auf diese Weise ja noch privat extra vorgesorgt haben?

Schneider: Ich sage Ihnen mal ein Beispiel. Wenn heute jemand Dreiviertel des Durchschnittsverdienstes, das sind immerhin 1840 Euro rund, verdient, dann erhält er heute eine Rente von 878 Euro. Das werden 2030 noch 723 Euro sein. Da reden wir immer noch von den Bruttorenten und nicht von dem, was dann später besteuert wird oder an Krankenversicherung abgezogen wird. Sie sehen, das ist ein dramatischer Verfall.

Dann rechnet die Bundesregierung auch immer mit 45 Versicherungsjahren. Zurzeit liegt der Durchschnitt bei 37 Jahren. Gehen wir mal von 40 aus, dann sind Sie bei jemanden, der Dreiviertel des Durchschnittsverdienstes hat, bei 643 Euro brutto. Das ist die Grundsicherung, die ich auch in der Sozialhilfe beziehen kann, ohne dass ich jemals eine einzige Mark in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt habe, natürlich Euro, Entschuldigung.

Kolkmann: Nun hat natürlich das Bundesverfassungsgericht diese Entscheidung von Freitag getroffen vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Sozialversicherungssysteme stabil gehalten werden müssen. Für wie gerecht halten Sie es, dass die Krankenversicherungsbeiträge dann eben auch auf Einkünfte erhoben werden, die praktisch extra als eine Altersicherung angelegt worden sind?

Schneider: Man muss an dieser Stelle sagen, das Verfassungsgericht urteilt konsequent, weil das in den anderen Bereichen auch so gilt, also für die gesetzliche Rentenversicherung auch so gilt. Das ist ja auch das Problem, wenn gefordert wird, dass beispielsweise Freibeträge für die Riesterrente eingeführt werden sollten bei der Anrechnung für die Grundsicherung im Alter. Wenn Sie anfangen, an einer Stelle etwas auszunehmen, dann müssen Sie alles ausnehmen. Und weil das Bundesverfassungsgericht dies so nicht sieht, sagt man natürlich konsequenterweise, es muss erhoben werden, auch wenn das jeder als ziemlich ungerecht empfindet.

Kolkmann: Sie haben nun gerade mehrfach auch gesagt, dass den Rentnern in Zukunft immer weniger bleiben wird in der Kasse oder im Portmonee. Auf der anderen Seite wird natürlich jetzt auch gesagt, mit dieser Rentenerhöhung tut die Bundesregierung was für den immer mehr wachsenden Teil der Alten in der Gesellschaft, die Macht des Alters. Was nun ist richtig? Ist das eine Macht, oder ist ein Teil der Gesellschaft, der immer ärmer wird?

Schneider: Das ist ein Teil der Gesellschaft, der eindeutig immer ärmer wird. Wobei wir im Moment noch die Situation haben, dass Rentnerinnen und Rentner trotz der Nullrunden der letzten Jahre erfreulicherweise noch oberhalb des Armutsniveaus liegen. Wir haben im Moment zwei Prozent Bezieher von Grundsicherung im Alter. Aber diese Zahl wird nach seriösen Berechnungen sehr deutlich ansteigen. Es gibt eine Berechnung des DPWV, des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, die von optimistischen Vorannahmen noch ausgeht, weil die kommt darauf, dass wir sehr schnell, nämlich bis 2020, über zwei Millionen arme Rentner haben werden, und das sind über zehn Prozent.

Kolkmann: Vielen Dank, das war Volker Schneider, der rentenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der Linken im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur.

Moderation: Birgit Kolkmann

Deutschlandradio Kultur, 7. April 2008