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LINKE wirbt in 22 Städten

Im Wortlaut,

Großes Interesse an Wohnungsgenossenschaft

Von Gabriele Oertel

Die von 30 Politikern der Linkspartei vor zwei Wochen gegründete Wohnungsgenossenschaft »Fairwohnen« zum Erwerb der 11 500 Treuhand-Wohnungen im Osten, die die Bundesregierung im Paket veräußern will, hat offenbar den Nerv vieler Mieter getroffen. Täglich, so erfuhr »nd« aus dem Aufsichtsrat, melden sich neue Interessenten.

Heidrun Bluhm, wohnungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag und seit 14 Tagen Aufsichtsratschefin der »Treuhandliegenschafts-Genossenschaft Fairwohnen«, kann sich über mangelnde Aufmerksamkeit nicht beklagen. Seit LINKEN-Politiker in das Bieterverfahren für den Kauf von 11 500 verbliebenen Treuhandwohnungen in den neuen Bundesländern eingestiegen sind, erfährt sie Zuspruch, Neugier, Nachfragen genauso wie das Fingerhakeln der politischen Konkurrenz. Noch will die Frau aus dem Nordosten im einen wie im andern Fall nicht mit Zahlen hantieren. »Das ist ein fließender Prozess, täglich werden es mehr Mitglieder in der Genossenschaft«, erklärt sie gegenüber »nd«. Dann wird sie doch ein wenig konkreter, spricht von weiteren zehn »Neuzugängen« für die Wohnungsgenossenschaft aus den Reihen der eigenen Fraktion, die übrigens mitnichten nur aus dem betroffenen Osten kämen. Auch die Druck und Verlags GmbH »neues deutschland« ist inzwischen Genossenschaftsmitglied.

Der Idee, das Wohnungspaket, das Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zum Zwecke der Haushaltsanierung auf einen Schlag untern Hammer bringen will, nicht irgendwelchen Renditejägern zu überlassen, sondern die Mieter aktiv am Bieterverfahren zu beteiligen, kann auch Mieterbund-Direktor Lukas Siebenkotten eine Menge abgewinnen. Zumal er im beabsichtigten Vorgehen der Bundesregierung eine Fortsetzung der unsäglichen Treuhandstrategie der letzten 20 Jahre nach der Devise »alles muss meistbietend weg« entdeckt.

Zwar wäre es ihm am allerliebsten, so Siebenkotten gegenüber »nd«, wenn der Bund die Wohnungen selber behielte oder an Länder und Kommunen verkaufen würde, aber der Mieterbund habe mit Genossenschaften »durchweg positive Erfahrungen«. Deshalb auch sei er ein »ausgesprochener Freund des Genossenschaftswesens« und würde begrüßen, »wenn die Genossenschaft zum Zuge käme. Das wäre wesentlich besser, als irgendeine Heuschrecke.«

Der Mieterbundchef weiß, wovon er spricht. In den letzten Jahren wurden über eine Million Wohnungen in der Bundesrepublik an Finanzinvestoren verkauft. Konsequenz: Preiswerter Wohnraum ging flöten, Mieten wurden erhöht, Investitionen gedrosselt, Weiterverkäufe und Umwandlungen in Eigentumswohnungen fanden statt. 100 000 Wohnungen in NRW vor drei Jahren, 26 000 in Baden-Württemberg erst unlängst, ebenso viele demnächst in Bayern – Siebenkotten kann ein Lied von der Verscherbelung des Tafelsilbers der öffentlichen Hand singen.

Das alles weiß Heidrun Bluhm ebenso, wie sie Siebenkottens Prioritätensetzung nachvollziehen kann. Weshalb die LINKE sich nicht nur auf die Genossenschaftsgründung verlässt. Parallel dazu führt sie die Auseinandersetzung im Bundestag mit einem eigenen Antrag zum Stopp des Verkaufs der Treuhandwohnungen in jenem eigens für Finanzinvestoren geschnürten Gesamtpaket weiter. Sie setzt sich in diesem Antrag dafür ein, kleinere Verkaufstranchen zu bilden, damit örtliche und regionale Wohnungswirtschaft doch noch eine Chance im Bieterverfahren erhalten.

Mit derlei gebündeltem wie geballtem Widerstand der Abgeordneten der Linkspartei gegen die Schäublesche Verkaufswut haben Kollegen anderer Bundestagsfraktionen offenbar Probleme. Am Mittwoch jedenfalls wollte der SPD-Parlamentarier Hans-Joachim Hacker in einer Ausschusssitzung die LINKEN-Abgeordneten von den Beratungen ihres eigenen Antrages wegen angeblicher Befangenheit ausschließen lassen, weil sie sich mit einer Genossenschaft am Bieterverfahren beteiligten. Abgesehen davon, dass der Mann mit der Aktion scheiterte – die Initiativen aus der LINKEN scheinen Wirkung zu zeigen.

Nach Auffassung des Mieterbund-Direktors ist es wichtig, dass die Initiatoren der neuen Wohnungsgenossenschaft klar sagen, wie viel Grundkapital und also wie viele Genossen sie benötigen, um im mehrstufigen Bieterverfahren bestehen zu können. Dies sei, so Siebenkotten, für die betroffenen etwa 30 000 Mieter eine wichtige Information. Für Bluhm wäre schon viel gewonnen, wenn die Genossenschaft in den nächsten Wochen auf 1000 bis 1500 Mitglieder anwächst. Dann, so sagt sie, würde man im Bieterverfahren einen »Achtungserfolg« erreichen und sich als ernst zu nehmender Partner erweisen.

Die Politikerin ist aber optimistisch. In 22 Städten finden in den nächsten sechs Wochen Informationsveranstaltungen statt, auf denen die Mieter der betroffenen Wohnungen als Interessenten für die »Fairwohnen« gewonnen werden sollen. Das betrifft 1000 in Strausberg, 1500 in Rostock, 2400 in Dresden und über 6000 an weiteren Standorten. Diese können nach Bluhms Aussage wegen des anhaltenden Mauerns der Treuhandliegenschaftsgesellschaft über konkrete Immobilienbestände auf Anweisung aus dem Bundesfinanzministeriums derzeit nicht genauer verifiziert werden. »Die eigentliche Mitgliederwerbung beginnt erst, wenn wir den Zuschlag erhalten würden«, erklärt die Aufsichtsratsvorsitzende.

Fest steht, die neue Genossenschaft dürfte nicht unbedingt Schäubles Zieladresse sein. Aber ob er in Sichtweite einer neuen Bundestagswahl gut beraten wäre, an große Finanzinvestoren oder einen Beamten-Pensionsfonds zu verkaufen, darf bezweifelt werden. So aber wird es hinter vorgehaltener Hand gehandelt, dem Mieterinteresse stünde es entgegen.

neues deutschland, 27. April 2012