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LINKE hat Konzept gegen Nützlichkeitsrassismus der anderen

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,

Sevim Dagdelen, integrationspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, erneuert nach dem vierten Integrationsgipfel der Bundesregierung die Forderung, die soziale Frage in den Mittelpunkt der Integrationspolitik zu stellen.

Der Integrationsgipfel soll den Dialog mit Migrantinnen und Migranten in Deutschland vertiefen und Maßnahmen für eine bessere Integration ausbauen. Am 3. November fand im Bundeskanzleramt der vierte Gipfel mit Vertretern aus Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Migrantenverbänden statt. Gab es denn einen Dialog?

Sevim Dagdelen: Angesichts der seit Wochen geführten rechtspopulistischen Debatten à la Sarrazin wäre ein Dialog wünschenswert gewesen. Doch für die drei großen Themenkomplexe Sprache, Bildung und Teilhabe, Integration vor Ort sowie Wirtschaft und Arbeitsmarkt standen jeweils nur 40 Minuten für 117 Teilnehmer mit bereits platzierten und im voraus vereinbarten Redebeiträgen von Ministern zur Verfügung. Eine wirkliche Debatte hat es nicht gegeben. Wie bereits bei den vorherigen Gipfeln ging es nur um eine Alibiveranstaltung der Bundesregierung mit Fototermin.

Ein Alibi wofür?

Dafür, dass die Bundesregierung auch auf diesem Integrationsgipfel lediglich von Integration redet und gleichzeitig diskriminierende gesetzliche Regelungen in der Sozial-, Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik aufrechterhält und sogar noch verschärft. Der zweite und dritte Integrationsgipfel standen schon im Schatten der Gesetzesverschärfungen durch das EU-Richtlinienumsetzungsgesetz und der vierte Gipfel nun im Schatten der populistischen Kampagnen gegen vermeintliche "Integrationsverweigerer".  

Sie spielen auf die in der letzten Woche beschlossenen Maßnahmen zur strikteren Kontrolle und Sanktionierung von Integrationskursverweigerung an. Was stört Sie daran?

Die meisten Politiker haben sich zwar von den sozialdarwinistischen und rassistischen Äußerungen Sarrazins distanziert, stoßen aber in das gleiche Horn. Wer Migranten wider besseres Wissen als integrationsunwillig bezeichnet, um sich in Forderungen nach Sanktionen und Gesetzesverschärfungen gegenseitig zu überbieten, handelt unverantwortlich und macht sich zum Erfüllungsgehilfen von Rechtspopulisten oder der NPD. Bis heute kann die Bundesregierung ihre Behauptungen nicht mit Daten und Fakten belegen. Die Sanktionsverschärfungen entbehren jeder Grundlage. Die Zahlen, die es gibt, hält das Bundesinnenministerium unter Verschluss - offenbar, weil sie nicht in die politische Linie passen.

Aber nun ist ja am 28. Oktober auch das Gesetz zur Bekämpfung von Zwangsverheiratungen beschlossen worden. Sie haben sich immer für Migrantinnen und Migranten eingesetzt. Dann müsste das doch Ihre Zustimmung finden, oder?

Nein. Auch hier beschränkt sich die Bundesregierung auf Symbolpolitik, indem sie einen eigenen Straftatbestand einführt mit bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug. Zwangsverheiratungen sind aber jetzt schon als besonders schwerer Fall von Nötigung im Strafgesetzbuch unter Strafe gestellt und können mit bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug bestraft werden. Und die Verlängerung der Ehebestandszeit von zwei auf drei Jahre ist skandalös, weil damit Frauen die in einer Gewaltsituation leben, jetzt auch noch länger diese Situation ertragen müssen. Sie fürchten nämlich, dass sie sonst ihren Aufenthalt verlieren und abgeschoben werden. Das ist wahrlich nicht frauenfreundlich, und mit Opferschutz hat es rein gar nichts zu tun.

Noch einmal zurück zum aktuellen Integrationsgipfel. Auch dort wurde über die Notwendigkeit des Erlernens der deutschen Sprache gesprochen. Dabei hat die Bundesregierung betont, dass für die Integrations- und Sprachkurse soviel Geld veranschlagt ist wie je zuvor.

Also ich habe das in der letzten Plenardebatte am 28. Oktober unter "tricksen, täuschen, tarnen" zusammengefasst. Tatsächlich gibt die Bundesregierung mehr Geld für die Integrationskurse aus als in den Jahren zuvor. Doch seit die Integrationskurse 2005 eingeführt wurden, waren sie chronisch unterfinanziert. Die derzeit bereit gestellten Gelder für Integrationskurse reichen weder, um allen Lernwilligen einen sofortigen Zugang zum Sprachkurs zu ermöglichen, noch für eine angemessene Bezahlung der Lehrkräfte. Seit April 2010 sind Sparmaßnahmen in Kraft, die dazu führen, dass bis Ende dieses Jahres dann ungefähr 20 000 Menschen seit Monaten schon auf einen Kursplatz werden warten müssen. Wir brauchen mehr Geld für die Kurse und die Lehrkräfte.

Kanzlerin Merkel hat heute die bessere Anerkennung ausländischer Abschlüsse hervorgehoben. Sie erklärt die angestrebte gesetzliche Regelung als Erfolg der Bundesregierung. Ist es einer?

Seit Jahren schon ist das Problem bekannt. DIE LINKE hat 2007 zum ersten Mal dieses Problem mit einem Antrag im Bundestag debattieren lassen und eine erleichterte Anerkennung von im Ausland erworbenen Schul-, Bildungs- und Berufsabschlüssen gefordert. Unsere Anträge wurden bisher abgelehnt. Nun hat die Bundesregierung endlich ein eigenes zehnseitiges Gesetz vorgelegt. Keines der bestehenden Probleme wird damit beseitigt. Die Regierung will jetzt nur etwas für 300 000 von etwa 2,9 Millionen Menschen tun, deren Abschlüsse aktuell auf dem Arbeitsmarkt verwertbar sind. Was wir brauchen ist ein Rechtsanspruch auf Anerkennung der Abschlüsse.

Auch die Frage der Fachkräftezuwanderung wurde angesprochen, selbst wenn Kanzlerin Merkel das von der FDP gewollte Punktesystem ablehnt. Wie steht DIE LINKE zum Fachkräftemangel?

Der aktuell diskutierte Fachkräftemangel orientiert sich nur an den Interessen der Wirtschaft. Der beklagte Fachkräftemangel ist - wenn er so überhaupt existiert - hausgemacht. Seit Jahren schaffen die Unternehmen zu wenig Ausbildungsplätze oder bauen welche ab und verweigern sich ihrer Verantwortung, junge Menschen zu qualifizieren. Es ist es eben billiger, wenn die Unternehmen selbst nicht ausbilden, sondern sich gut ausgebildete Fachkräfte aus Indien oder der Ukraine einkaufen. Ich halte das für skandalös. Über 1,5 Millionen Jugendliche zwischen 20 und 29 Jahren haben in Deutschland keinen Berufsabschluss. Zehntausende haben auch dieses Jahr keinen Ausbildungsplatz bekommen. Wir brauchen deshalb eine Ausbildungsplatzumlage und Qualifizierung der hier lebenden Menschen und eben auch die Anerkennung von bereits ausgebildeten Fachkräften.

Abschließend noch die Frage, wie DIE LINKE die Integration von Migrantinnen und Migranten ermöglichen will?

DIE LINKE im Bundestag hat bereits 2007 ein umfassendes Integrationskonzept vorlegt, das sich gerade auch gegen den Nützlichkeitsrassismus der anderen Parteien entgegenstellt. Darin fordern wir zur Lösung der sozialen Herausforderungen Mindeststandards für Beschäftigte, ob sie nun aus Deutschland, aus Europa oder aus Drittstaaten kommen. Angesichts der Probleme von Migranten brauchen wir eine Ausbildungsplatzumlage, die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns und die Umwandlung von Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Wichtig ist auch die Abschaffung des mehrgliedrigen Schulsystems.

Aber das ist doch nicht speziell integrationspolitisch?

Doch, eben gerade. Die Wissenschaft ist einhellig der Meinung, dass die Probleme der Migranten überwiegend soziale Ursachen hat. Mit einer Integrationspolitik, in deren Mittelpunkt die soziale Frage steht, würde sich die Lebenssituation von Migranten auf dem Arbeitsmarkt und Bildungssystem schlagartig verbessern. Aber wir brauchen natürlich auch eine rechtliche Gleichstellung durch das Kommunale Wahlrecht und erleichterte Einbürgerungen, damit die politische Teilhabe auch gefördert wird.

www.linksfraktion.de, 4. November 2010