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Linke Alternativen zu Spardiktaten und Bankenrettung

Im Wortlaut,

Blockupy-Bündnis debattiert im Schatten der Bankentürme


 

Von Effi Böhlke, Lucia Schnell, Björn Aust

Mit den Veranstaltungen auf dem Frankfurter Roßmarkt in unmittelbarer Nähe zum Bankenviertel holte das Blockupy-Bündnis am Sonnabend, dem 20. Oktober, etwas nach, was die Frankfurter Stadtverwaltung im Mai diesen Jahres – widerrechtlich, wie inzwischen feststeht – verboten hatte: friedliche Debatten über den verfahrenen Status quo der Staaten Europas und über Wege, wieder aus der schweren politischen, sozialen und wirtschaftliche Krise der EU herauszukommen. Zu Füßen des Gutenberg-Denkmals hatte das Bündnis dazu ein weißes Zelt aufgestellt, das sich im Laufe des Tages mit etwa 400 Besucher/innen füllte, die an drei lebhaften Diskussionsrunden mit internationalen und deutschen Aktivist/innen, Wissenschaftler/innen, Gewerkschafter/innen und Politiker/innen teilnahmen.

Occupy Democracy!

Corinna Genschel (Bundestagsfraktion DIE LINKE), die Moderatorin des 1. Panels mit dem Titel „Occupy democracy!“, machte gleich zu Beginn auf die bewegte Vorgeschichte dieser Veranstaltung aufmerksam, die sich somit in die europaweiten sozialen Proteste und Platzbesetzungen einordnet, wie sie in Griechenland, Spanien, Italien und anderswo stattgefunden haben. Erster Redner des Panels war Prof. Alex Demirovi? von der Universität Frankfurt. Aus seiner Sicht haben wir es in den europäischen Staaten nur noch mit einer formalen Demokratie zu tun: Die Fassaden der demokratischen Institutionen stehen noch; doch sind sie ihres Inhalts entleert. Die tatsächlichen Entscheidungen würden ganz woanders getroffen, nämlich in den Hinterzimmern (oder Türmen?) von Banken. In Anschluss an David Harvey sprach er von einem „Finanzstaatsstreich“, der auch den eigentlichen Souverän, nämlich das Volk, völlig ausgehebelt habe. Die europäischen Völker müssten nun Formen der unmittelbaren Demokratie von unten etablieren, auch und gerade in der Wirtschaft, um so ihre Macht zurückzuerobern.

Elke Steven vom Komitee für Grundrechte und Demokratie ging auf das Versammlungsverbot in der Geschichte der Bundesrepublik ein: Die deutsche Demokratie in der Nachkriegszeit sei stets von einem Misstrauen gegenüber Versammlungen geprägt gewesen, da diese das Potential des Umsturzes in sich bergen. Immer wieder müsste die Demokratie auch gegen die etablierten Strukturen durchgesetzt werden – dafür sei der Verlauf der Blockupy-Veranstaltungen in Frankfurt ein signifikantes Beispiel. Auf die Rolle von Kunst und Kultur für die Politik machte Sibylle Baschung, Chefdramaturgin am Frankfurter Schauspielhaus, aufmerksam: Durch das Aufzeigen neuer Perspektiven auf die Wirklichkeit schaffe die Kunst einen Raum alternativer Möglichkeiten, der das scheinbar Unverrückbare als veränderbar erscheinen lasse. Das Subversive der Kunst eben. Auf die Forderungen und die Struktur der Bewegung des 15. Mai in Spanien ging Aitor Girona (Movimiento 15 M, Madrid) ein. Hierbei handele es sich um eine postidentitäre und -ideologische Bewegung, die eine Vielheit (Stichwort Multitude) von sozialen Schichten repräsentiere. „Wir sind nicht rechts, nicht links, sondern die Bewegung von unten gegen die da oben“, so Girona. Für Yannis Bournous (SYRIZA, Athen) erinnert die heutige Demokratie in vieler Hinsicht an die Urform der athenischen Demokratie: Auch diese sei eine Repräsentation der oberen Schichten gewesen, ohne bzw. gegen Frauen, Sklaven und Migranten. Und was sich heute in ganz Europa abspiele, das sei der härteste Klassenkampf seit dem Ende des II. Weltkriegs.

Vom Spardiktat zur Rückgewinnung des Öffentlichen

Durch die Krise beschleunigte sich nicht nur die Umverteilung von unten nach oben, sondern auch der Rückzug des Staates aus immer mehr Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge durch Privatisierung, Leistungskürzungen und –Streichungen. Das Inkrafttreten des Fiskalpakts mit seinen Schuldenbremsen und Schuldenabbauregeln wird diese Prozesse in ganz Europa weiter verschärfen. Wie können linke politische Akteure und soziale Bewegungen diese Entwicklungen bekämpfen, und welche Strategien und Alternativen zur Rückeroberung des Öffentlichen werden derzeit verfolgt und diskutiert? Mit diesen Fragen setzte sich das zweite Podium auseinander, das von Jana Seppelt (ver.di Stuttgart) moderiert wurde.

Sabine Leidig (MdB, DIE LINKE) identifizierte für Partei und Bundestagsfraktion drei wesentliche Aufgaben: Als einziger im Bundestag vertretener Partei, die die marktradikale „Euro-Rettungspolitik“ und den Fiskalpakt konsequent und geschlossen abgelehnt hat, komme ihr eine wichtige Öffentlichkeits- und Oppositionsfunktion zu. Es gehe weiterhin darum, die neoliberale Deutungshoheit über die Krise zu brechen, die eben keine Schuldenkrise, sondern eine Verteilungskrise sei. Darüber hinaus leiste DIE LINKE wichtige Aufklärungsarbeit und erarbeite politische Alternativen. Last but not least, beteilige sich DIE LINKE auch „auf der Straße“ an den aktuellen Kämpfen; durch die aktive Unterstützung von Bündnissen wie „Blockupy“ oder „Umfairteilen“. Sabine Leidig hob in diesem Zusammenhang auch die Bemühungen der Europäischen Linkspartei (EL) hervor, die diese Aufgaben auf der europäischen Ebene wahrnehme.

Eine kritische Einschätzung zur Rolle der Gewerkschaften lieferte Jochen Nagel (Vorsitzender der GEW Hessen). Angesichts der massiven Angriffe sei – im Gegensatz zu Südeuropa - „die deutsche Arbeiterbewegung noch viel zu still“. Erst langsam setze sich die Erkenntnis durch, dass Deutschland keine Insel und zunehmend von den Auswirkungen der Krise betroffen sei. Die GEW (Hessen) stelle daher ihre Arbeit in den breiteren politischen und gesellschaftlichen Kontext, denn „Gute Bildung“ sei unter den Bedingungen von Sozialabbau, Privatisierung und Entdemokratisierung nicht zu verwirklichen. Für den alltäglichen Kampf hob Nagel gleichwohl die Bedeutung „kleiner Siege“ hervor: Dass es in Hessen gelungen war, die Einführung der Studiengebühren zu verhindern, habe eine Symbolkraft weit über Hessen und die konkrete Forderung hinaus entfaltet. Auch wenn dadurch der Kampf um Bildung als öffentliches Gut und Recht noch lange nicht gewonnen sei, so habe sich hier gezeigt, dass sich Widerstand lohnt.

Dies unterstrich auch Shendi Veli von UniCommons aus Italien. Die Student/innenbewegung engagiert sich gegen die neoliberalen „Reformen“ des Universitäts- und Bildungssystems, die wesentlich die Streichung öffentlicher Gelder, die Privatisierung und Kommerzialisierung der Bildung umfassen. Der Widerstand müsse diese Angriffe nicht nur theoretisch, sondern auch ganz praktisch in den Zusammenhang zu anderen Kämpfen wie etwa der Prekarisierung auf den Arbeitsmärkten stellen. Soziale Bewegungen dürften sich außerdem nicht länger auf Abwehrkämpfe beschränken, sondern müssten sehr viel stärker die Entwicklung von Alternativen in den Vordergrund rücken, und versuchen, diese in ihrer praktischen Arbeit umzusetzen. Die spanischen „Plattformen der Betroffenen der Hypothekenkrise“ versuchen dies. Ein Vertreter der „Plataformas“ berichtete, dass infolge der Krise aktuell täglich über 500 Familien ihre Bleibe verlieren, weil sie Hypotheken nicht mehr bedienen können. Fast 6 Mio. Wohnungen stünden daher in Spanien leer. Die „Plataformas“ organisieren einerseits ganz unmittelbare Hilfen: Verhandlungen mit Behörden, Blockaden zur Verhinderung von Zwangsräumungen, Besetzung leer stehender Wohnungen. Andererseits kämpfen sie politisch für das Recht auf Wohnen, die Wiedereinführung des sozialen Wohnungsbaus in Spanien sowie die Rekommunalisierung von Wohnraum.

Karl Buder stellte das Netzwerk „Wem gehört die Stadt?“ vor, das in Frankfurt/Main versucht, die zahlreichen Initiativen und Organisationen zusammenzubringen. Als kontinuierlicher Ratschlag will es dazu beitragen, Kräfte zu bündeln, Gruppen (wieder) kampagnenfähig zu machen sowie einen Diskussionszusammenhang zur Entwicklung von Alternativen und Widerstandsformen bereitzustellen. Zum Abschluss wurde ein Grußwort der Initiative zur Rekommunalisierung des Uniklinikums Gießen/Marburg verlesen.

In der folgenden Diskussion unterstrichen die Referent/innen übereinstimmend, dass sich die Kämpfe zur Rekommunalisierung nicht darauf beschränken dürfen, den Körperschaften – Bund, Ländern und Gemeinden – die Eigentumsrechte zurück zu übertragen: Eine Wohnungsbaugesellschaft in kommunaler Trägerschaft, die renditeorientiert arbeitet und Luxussanierungen durchführt, ist für die Menschen kein Fortschritt. Um die Bereitstellung öffentlicher Güter wie Wohnen, Bildung und Gesundheit dauerhaft zu sichern, müssten die Institutionen der öffentlichen Daseinsvorsorge daher darüber hinaus demokratisiert und auf soziale und ökologische Prinzipien verpflichtet werden.

Wege aus der Krise in Europa

Beim Abschlusspodium „Wege aus der Krise“, das Thomas Sablowski von der Rosa-Luxemburg-Stiftung moderierte, berichtete Moisis Litsis von der griechischen Journalistengewerkschaft ES-HEA von den seit 2010 andauernden Proteste in Griechenland. Diese stellen die größte Streikwelle seit dem Fall der Diktatur in den 1970ern dar. Trotz der anhaltenden Spardiktate, der hohen Arbeitslosigkeit und dem Lohnverlust durch die Streiks, gingen die Leute immer noch auf die Straße, sobald sie die Möglichkeit haben: „In den letzten 10 Tagen hatten wir zwei Generalstreiks.“ Die Krise führte zum Aufstieg der linken Partei Syriza und zur Krise der regierenden Parteien, der konservativen ND und der sozialdemokratischen PASOK, die aktuell nur noch bei 5 Prozent in den Umfragen liegt. Ein großes Problem sei allerdings der Zulauf zu den Neonazis, die derzeit 14 Prozent der Bevölkerung wählen würden. Moisis warnte: „Die Situation ist ähnlich wie in der Weimarer Republik. Wir müssen nicht nur gegen die öffentlichen Schulden und gegen das Spardiktat kämpfen, sondern auch gegen den Faschismus.“

Frederico Pinheiro von attac Portugal nahm als Journalist am EU-Gipfel teil: „Der EU-Gipfel sucht nur Lösungen für die Banken, nicht für die Menschen. Die Finanztransaktionssteuer und die öffentliche Kontrolle der Banken wurden nicht diskutiert.“ Er schlug gemeinsame Lösungen vor: „Die EZB sollte direkt die Staatswirtschaften finanzieren statt die privaten Banken, die für 1 Prozent das Geld von der EZB leihen und für 5-7 Prozent weiterverleihen. Es ist unmöglich für uns, die Schulden zu bezahlen.“ Eine demokratische Überprüfung der Schulden (Schuldenaudit) und die Streichung illegitimer Außenstände seien daher nötig. „Solidarität zwischen den Bevölkerungen ist möglich“ betonte Pinheiro, die Linke Europas müsse gemeinsam für einen Politikwechsel kämpfen. Der Bundestagsabgeordnete der LINKEN, Andrej Hunko kam zu dem Schluss: „Die Herrschenden nutzen die Krise, um den Sozialstaat zu zerstören. Am 14. November wird es einen europaweiten Aktionstag geben, mit Generalstreiks in Spanien, Griechenland und Portugal.“ Ein starkes Auftreten der europäischen Linken am 14. November könne dazu beitragen, die Kräfteverhältnisse in Europa nach links zu verschieben. Er verwies darüber hinaus auf die in Island zur Überwindung der dortigen Bankenkrise unternommenen Maßnahmen und die durch Volksabstimmungen erreichte Weigerung des Staates, Bankenschulden zu übernehmen.

In der Diskussion wurde unter anderem die Frage nach einem Beitrag der deutschen Linken zum gemeinsamen Kampf in Europa aufgeworfen. Die Referent/innen betonten, dass neben internationalem Engagement auch der Kampf gegen Sozialabbau und das Lohndumping in Deutschland einen Beitrag zur internationalen Solidarität leistet. Für Deutschland und ganz Europa sei es wichtig, dass sich der Widerstand nicht auf die parlamentarische Opposition beschränke. Ob SYRIZA in Griechenland oder DIE LINKE – linke Parteien können wirkliche politische Veränderungen nur mit Unterstützung durch Proteste „der Straße“, starke soziale Bewegungen und Gewerkschaften, erreichen.

linksfraktion.de, 22. Oktober 2012