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Libyen – die zweite westliche Regime-Change-Operation

Im Wortlaut von Alexander S. Neu,

 

Von Alexander Neu, für DIE LINKE Obmann im Verteidigungsausschuss des Bundestages

Libyen kommt nicht aus den Schlagzeilen: Die sogenannte Arabellion, die 2011 den arabischen Raum ergriff, hat in Libyen besonders intensive Kämpfe und massives Blutvergießen ausgelöst - bis heute.

Der Aufstand 2011 richtete sich gegen die Regierung des Diktators Gaddafi, und endete zunächst mit dem blutigen Lynchmord an Gaddafi und einigen seiner Familienangehörigen. Zuvor hat die NATO, auf Drängen der französischen, italienischen und britischen Regierungen, militärisch interveniert und den Sturz des Regimes Gaddafi erst ermöglicht. Zwar erteilte der UN-Sicherheitsrat der NATO ein Mandat zur Intervention – genauer zur Errichtung einer militärisch abgestützten Flugverbotszone - diese legitimierte jedoch nicht den tatsächlich von der NATO unterstützten Regime Change. So missbrauchte die NATO die UN-Sicherheitsratsresolution, um kurzerhand ein unliebsames Regime zu entfernen. Dass aus dem Sturz Gaddafis resultierende Machtvakuum führte den blutigen Kampf in eine zweite Runde: Und bis heute geht es um die Machtverteilung zwischen den Stämmen und den diversen Islamisten- und Dschihadistengruppen. Hierzu muss man folgendes zur Kenntnis nehmen: Die libysche Gesellschaft ist stark in Stämme und Clans fragmentiert. Ein gesamtstaatliches oder nationalstaatliches Bewusstsein, wie in Europa, ist nur schwach ausgeprägt. Die Loyalitäten orientieren sich an Stammeszusammenhängen. Oberst Gaddafi hatte während seiner Regentschaft mit Druck, und mit einem für nordafrikanische und arabische Verhältnisse beachtlichem Maß an Sozialpolitik, für einen nationalstaatlichen Bezugsrahmen gesorgt und somit die prioritäre Stammesorientierung in einem relativen Maße zurückgedrängt. Die Stammes- und Clanorientierung brach nach seinem Sturz jedoch erneut aus und bildet bis heute den Hintergrund der Machtkämpfe.

In der Folge etablierten sich zwei konkurrierende „Regierungen“ und Parlamente in der Hauptstadt Tripolis und in Tobruk. Die Legitimität beider „Regierungen“ ist nicht sonderlich überzeugend. Libyen wurde de facto zu einem sich selbst überlassenen failing state – haben doch nach dem von der NATO mitverursachten Chaos in Libyen die westlichen Menschenrechtsbellizisten schon sehr rasch ein neues Betätigungsfeld entdeckt: Regime Change in Syrien.

Aber die westliche Destruktionspolitik in Libyen sollte die EU bald einholen und zu einem weiteren so genannten militärischen Engagement verleiten: Angesichts des massiven Flüchtlingsstromes - kommend über die libysche Küste und das Mittelmeer – nach Europa im Jahre 2015, geriet Libyen erneut in das Visier des Westens. Zunächst wurde die EU-Flüchtlingsabwehroperation EUNAVFOR Med eingeleitet. Diese soll in drei Phasen operieren. Momentan befindet sich die Mission in Phase 2.1. Diese Operationsphase umfasst die Aufklärung sowie die Zerstörung von Flüchtlingsbooten auf Hoher See.  Die Phase 2.2 und Phase 3 sollen das Eindringen in das libysche Hoheitsgewässer und auf libyschen Boden ermöglichen, um Flüchtlinge noch auf libyschem Territorium an der Flucht nach Europa zu hindern. Hierzu benötigt die EU-Mission jedoch eine völkerrechtliche Grundlage, was die Verantwortlichen erstaunlicherweise selbst einräumen: Entweder einen UN-Sicherheitsratsbeschluss, was jedoch meines Erachtens eine sehr wackelige Legitimation darstellt, oder aber die Zustimmung der libyschen Regierung selbst. Da es jedoch zwei konkurrierende Regierungen gibt, die aber beide eine solche Operation ablehnen, hat der Westen mit signifikanter Unterstützung der Bundesregierung erneut auf das „bewährte Mittel“ des Regime Changes  gesetzt. Unter Beteiligung der UNO, um eine Völkerrechtskonformität zu suggerieren, wurde kurzerhand eine willfährige „Einheitsregierung“ gegen den Willen der beiden bereits existierenden libyschen Regierungen und Parlamente eingesetzt. Die sogenannte Einheitsregierung wurde in Tunesien gegründet und schlug vor wenigen Tagen in Tripolis auf, um die Amtsgeschäfte zu übernehmen. Die Legitimität dieser Einheitsregierung ist mindestens so unzureichend, wie auch die der beiden anderen.

Kurzfristig wird die Regime Change Operation für die westliche Initiatoren wohl einen Erfolg bringen: Die „Einheitsregierung“ wird die EU und einzelne Staaten wie die USA einladen, um für „Ordnung zu sorgen“, d.h. gegen Flüchtlinge und gegen Islamisten vorzugehen. Das Ziel einer staatlichen Stabilisierung Libyens wird indes nur vordergründig für die westliche Öffentlichkeit erreicht werden, da die Einsetzung der „Einheitsregierung“ durch den Westen nur geringe gesellschaftliche Akzeptanz erfahren wird. Selbst wenn zeitnah Wahlen durchgeführt werden würden, die die „Einheitsregierung“ als „Übergangsregierung“ erscheinen ließe und eine „demokratisch legitimierte Regierung“ in das Amt hievte, dürfte auf lange Zeit nur eine begrenzte gesellschaftliche Akzeptanz bestehen, da dieser Regierung der Makel westlicher Intervention weiter anhinge. Hinzu kommt, dass die faktische Reichweite der neuen gewählten Regierung sowie der gegenwärtigen „Einheits“- bzw. „Übergangsregierung“ kaum über die Grenzen der Hauptstadt wirken dürfte, da der langjährige Krieg die ohnehin nur schwach ausgeprägte nationalstaatliche Orientierung weiter hat erodieren lassen. Die Massen Proteste in Tripolis ausgelöst durch die Todesurteile gegen ehemalige Gaddafi- Anhänger sowie gegen den Sohn Gaddafis durch ein Ominöses Gericht, sowie der pro Gaddafi Aufstand im Süden des Landes zeugen von den zunehmenden Einfluss der Kräfte der alten Ordnung. Ohne Berücksichtigung dieser Kräfte wird es keine neue stabile Ordnung in Libyen geben.

DIE LINKE fordert:

  • Keine Anerkennung einer Einheitsregierung die von Drittstaaten installiert wird
  • Durchführung von transparenten Wahlen unter Aufsicht der UN unter Einschluss aller relevanten politischen Kräfte des Landes.
  • Stopp von Waffenexporten nach Libyen
  • Stopp von Hinrichtungen der ehemaligen Gaddafi Anhänger, da dies die Spaltung im Lande verschärft. Stattdessen Einrichtung einer Versöhnungskommission
  • Faire Verhandlungen für Anklagte des früheren RegimesSubstantielle humanitäre Hilfe für die notleidende Bevölkerung in Libyen. 2/3 der Bevölkerung sind in diesem ehemals reichen Land auf die Hungerhilfe angewiesen

Substantielle humanitäre Hilfe für die notleidende Bevölkerung in Libyen. 2/3 der Bevölkerung sind in diesem ehemals reichen Land auf die Hungerhilfe angewiesen