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Lessons Learned? – Experten ziehen kritische Bilanz

Nachricht,

Öffentliche Anhörung des Auswärtigen Ausschusses  zum ISAF-Einsatz in Afghanistan



Margret Geitner, Referentin für Außenpolitik, berichtet über die Anhörung des Auswärtigen Ausschusses nach mehr als zwölf Jahren Krieg in Afghanistan


Rechenschaft abzulegen, einen Zwischenstand zu formulieren – das waren die von Norbert Röttgen, dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, formulierten Ziele dieser öffentlichen Anhörung des Auswärtigen Ausschusses am 2. April 2014.

Und diese Rechenschaft war fast einhellig eine sehr kritische.  Otto Jäckel, Mitglied von IALANA, International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms, der Sachverständige der Fraktion DIE LINKE, fragte nach, welches System denn der ISAF-Einsatz stabilisiert habe und bezog sich damit auf einen einleitenden Satz von Norbert Röttgen: „Afghanistan ist stabiler, aber nicht stabil geworden“. Jäckel kritisierte, dass  die enormen Wahlfälschungen, das korrupte Regime, die Vergabe wichtiger Staatsposten an Gewährsmänner von Karsai, die Macht der Dschihadisten und der Nordallianz – die Herrschaft einer korrupten Oligarchi - das gegenwärtige politische System in Afghanistan bestimme. Dies lehne die Mehrheit der Bevölkerung ab. Die Regierung Karsai sei nicht wirklich demokratisch legitimiert.

Wie bewerteten die Experten die Jahre des „Engagements“ in Afghanistan? Thomas Ruttig, seit mehreren Jahrzehnten mit der Region vertraut, Experte von der Stiftung Wissenschaft und Politik beantwortete diese Frage mit einem Wortspiel: Afghanistan sei kein Failed State, sonder leide unter Failed Aid. Falsche Hilfe, die sich sehr auf den militärischen Kampf gegen die Taliban konzentrierte, die die Hilfsgelder in korrupten Kanälen versickern ließ, die keine Sicherheit für die Afghaninnen und Afghanen schuf, kombiniere sich mit einer nahezu komplett von außen finanzierten afghanischen Wirtschaft. Und das Wirtschaftswachstum habe in keiner Weise die soziale Lage der Bevölkerung verbessert. Auch Ruttig, der Sachverständige der Grünen, plädierte beim Blick auf Afghanistan für Realismus statt Zweckoptimismus.

Der Afghanistan-Einsatz habe von Beginn an eigentlich einem rein militärischen Zwecke gedient, führte Peter Scholl-Latour, als Sachverständiger der CDU-Fraktion bestellt, die ernüchternde Bilanzierung an diesem Nachmittag im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus fort. In seiner unverblümten Art bilanzierte er: „Der Krieg ist verloren. Wir müssen nun gucken, wie wir möglichst heil wieder rauskommen.“

Über die sehr unterschiedlichen Positionen der Afghaninnen und Afghanen zum Ende des ISAF-Einsatzes berichteten Jan Köhler von der FU Berlin, der mit Umfragen im Nordosten Afghanistans seit mehreren Jahren versucht, die Positionen der Menschen abzubilden. Seiner verhältnismäßig optimistischen Einschätzung, dass die Sicherheitslage sich in den von ihm beobachteten Regionen leicht stabilisiert habe, hielten die anderen Sachverständigen entgegen, dass dies von anderen Experten stark hinterfragt werde und wenn überhaupt nur für den Nordosten Gültigkeit habe. In den anderen Regionen habe sich die Sicherheitslage sehr negativ entwickelt. Immer mehr zivile Opfer sind zu beklagen, aber auch Opfer unter den afghanischen Sicherheitskräften und der afghanischen Polizei. 4 600 tote afghanische Soldaten und Polizisten sind eine dramatische Bilanz des Jahres 2013 – eines Jahres, in dem die „Übergabe der Verantwortung – Transition“ weiter voranschritt. Adrienne Woltersdorf, Leiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kabul, hält es für einen Erfolg, dass die geplanten Wahlen nun stattfinden werden.  Da auf unabhängige Beobachter, aber auch kritische Stimmen aus der UN zu den Wahlfälschungen zum Teil massiver Druck ausgeübt worden sei, werden wohl zu den bevorstehenden Wahlen erheblich weniger Wahlbeobachter fahren, wandte dazu Thomas Ruttig ein.

Insgesamt blieb, dass nahezu einhellig sehr kritisch auf die ISAF-Zeit geblickt wurde, dass man sich manchmal lediglich uneinig war, ab wann der Einsatz begann, falsch zu werden. Lessons Learned könnte man sagen. Wie vor diesem Hintergrund beinahe wöchentlich neue Auslandseinsätze der Bundeswehr von den gleichen hier sehr kritisch argumentierenden Politikerinnen und Politkern beschlossen werden können, blieb bei dieser Anhörung unbeantwortet.