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Lebensweisen angesichts des Bevölkerungswachstums umstellen

Im Wortlaut von Niema Movassat,

Der siebenmilliardste Mensch heißt Danica May Camacho und kam in der Nacht vom Sonntag zum Montag auf den Philippinen zur Welt. Niema Movassat, für DIE LINKE Mitglied im Entwicklungsausschuss des Bundestages, sieht die ungleiche Verteilung als Ursache für den Hunger auf der Welt, nicht einen realen Mangel.

Wenn auch Hochrechnungen nur sehr vage Schätzungen zulassen: Irgendwann um den heutigen Tag herum wird oder wurde der siebenmilliardste Menschen auf unserer Erde geboren. Was bedeutet das politisch?

Niema Movassat: Die immer schneller steigende Weltbevölkerung stellt die Menschheit vor große Herausforderungen. Immer mehr Menschen bedeutet natürlich immer mehr Bedarf. Da wir aber gleichzeitig vor wachsenden ökologischen Problemen stehen, beispielsweise vor dem Klimawandel, wird die Frage nach einer gerechteren Verteilung des weltweiten Reichtums immer wichtiger. Denn die Weltbevölkerung wächst vor allem in ärmeren Entwicklungsländern, während sie in den Industriestaaten deutlich schrumpft.

Sind in vielen Bereichen die Grenzen nicht bereits heute schon erreicht?

Sicher stößt das kapitalistische Wirtschaftssystem, zu dessen unabänderlicher Existenzvoraussetzung ja das wirtschaftliche Wachstum gehört, in einem beschränkten Lebensraum  wie unserem Planeten zwangsläufig an seine Grenzen. Beispielsweise hat unser CO2-Ausstoß der  Atmosphäre ja bereits heute einen irreparablen Schaden zugefügt.

Aber für den Ausstoß von klimaschädlichen Emissionen waren in der Vergangenheit fast nur die Industriestaaten verantwortlich.

Richtig. Deshalb sind wir eigentlich auch moralisch dazu verpflichtet, den Ländern des globalen Südens, die am schwersten unter den Folgen des Klimawandels leiden werden, finanzielle Wiedergutmachung zu leisten.

Wie steht es mit der Ernährungsfrage? Führt eine weiter so schnell steigende Weltbevölkerung angesichts fast einer Milliarde Hungernder auf der Welt nicht zwangsläufig zu Hungerkatastrophen wie derzeit in Ostafrika?

Das ist definitiv nicht so. Ursache für den Hunger auf der Welt ist die ungleiche Verteilung, nicht ein realer Mangel: Die heutige weltweite Landwirtschaft produziert ausreichend Nahrungsmittel, um das doppelte der Weltbevölkerung zu ernähren. Die größte Perversion ist jedoch, dass wir etwa ein Drittel dieser Lebensmittel verschwenden, indem wir zum Beispiel Lebensmittel einfach wegschmeißen. Wir müssen dringend einige unserer grundlegenden Lebensweisen umstellen, wenn wir global nicht immer mehr Katastrophen verursachen wollen.

Würden Sie also nicht von einer demographischen Herausforderung sprechen?

Doch, das schnelle Wachstum wird sicherlich ein Problem für die globale soziale Situation. Investitionen in Aufklärungsprogramme, Bildung und so weiter sind deshalb wichtig und richtig. Die hohen Geburtenraten sind jedoch meistens eben auch armutsbedingt - kein Zugang zu Verhütungsmitteln und mangelnde Aufklärung, keine soziale Absicherung im Alter, extrem hohe Kindersterblichkeitsraten. Ich finde es deshalb grotesk, wenn die Diskussion sich derzeit in die Richtung entwickelt, die teilweise hohen Geburtenraten in Subsahara-Afrika als Hauptursache für fehlende Entwicklung zu benennen, wie es eine aktuelle Studie derzeit propagiert. Zu sagen, "Ihr habt zu wenig Ressourcen, also bekommt doch einfach weniger Kinder", ist eine Unverschämtheit. So lange nur 10 Prozent der Menschen 85 Prozent des weltweiten Reichtums halten, wird es immer krasse Ungerechtigkeit geben. Die Lösung muss aber eben Umverteilung sein, und nicht, dass die Ärmsten der Armen sich ihre viel zu knappen Ressourcen gefälligst besser einteilen.

linksfraktion.de, 31. Oktober 2011