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Lafontaine nimmt Beck in Schutz

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

"Das ist ungerecht": SPD-Chef Beck bekommt Unterstützung von unerwarteter Seite - seinem Vor-Vorgänger Lafontaine. Der Linkspartei-Vorsitzende nimmt ihn im SPIEGEL-ONLINE-Interview vor Kritik in Schutz und erklärt, warum seine Partei am Ende doch Gesine Schwan zur Bundespräsidentin wählen könnte.

Herr Lafontaine, zählen zu den Hauptgegnern der Linkspartei inzwischen die SPD und die Gewerkschaften?

Nein, in keinem Fall. Das sind unsere bevorzugten Bündnispartner. Das heißt aber nicht, dass wir den Entscheidungen der SPD kritiklos gegenüberstehen - wir sind ja erst aus der Kritik an der SPD heraus entstanden.

Dass Sie die SPD angreifen, ist man gewohnt. Jetzt gab es von Ihrer Seite auch harsche Kritik an den Gewerkschaften. Sie stünden in "Nibelungentreue zur SPD", lautete Ihr Vorwurf.

Wenn uns einzelne Gewerkschaftsfunktionäre, die auch ein SPD-Parteibuch haben, kritisieren, ist es das gute Recht der Linken, darauf zu reagieren. Im konkreten Fall hat der IG-Metall-Vorsitzende Huber gesagt, wir sollten die Gewerkschaften nicht vereinnahmen. Wir haben ihm gesagt, dass das nicht unsere Absicht ist. Es entsteht aber der Eindruck, dass einzelne Gewerkschaftsvorsitzende die SPD massiv unterstützen.

Einen Schlagabtausch mit der SPD gibt es auch bei der Bundespräsidentenwahl. Die SPD-Kandidatin Gesine Schwan hat jetzt gesagt, sie könne sich auch eine Zusammenarbeit mit der Linken vorstellen. Sind Sie überrascht?

Das deckt sich doch mit vielen Äußerungen anderer Sozialdemokraten, wonach eine Regierungszusammenarbeit auf Bundesebene im Jahr 2009 noch nicht möglich ist, längerfristig aber schon. Unsere Entscheidung bezüglich der Bundespräsidentenwahl beeinflusst das nicht. Dafür gibt es zwei Kriterien ...

... welche?

Zunächst geht es um die Frage, ob die Entscheidung für eine Person neue Möglichkeiten einer neuen politischen Zusammenarbeit eröffnet. Dies ist aufgrund der definitiven Absage der SPD nicht der Fall. Das andere Kriterium ist das inhaltliche Profil des Kandidaten oder der Kandidatin. Berücksichtigt man diese Kriterien, haben wir derzeit keinen Anlass, einen Kandidaten einer anderen Partei zu unterstützen. Wir sind im Gespräch über einen eigenen Kandidaten.

Vor einigen Wochen standen Sie Frau Schwan aber noch positiv gegenüber. Wie erklären Sie diesen Wandel?

Der hat sich aufgrund zweier Aussagen vollzogen. Zum einen sagte Frau Schwan, wir hätten keine Antworten für die Zukunft. Das hat uns überrascht. Die zweite Aussage war, man müsse uns zur Demokratie erziehen. Das hat uns leicht befremdet.

Sie teilen doch auch gerne aus.

Ich kandidiere aber nicht für das Amt des Bundespräsidenten.

Aber Zuspitzung gehört doch zum politischen Geschäft.

Natürlich, zum Wahlkampf oder zum politischen Aschermittwoch gehört die Zuspitzung. Die Wahl des Bundespräsidenten ist aber keine Veranstaltung des politischen Aschermittwoch.

Man hat das Gefühl, bei Ihnen ist fast immer politischer Aschermittwoch.

Sie verkennen mich.

Und der Demagogen-Vorwurf von Frau Schwan hat Sie nicht getroffen?

Ich habe Frau Schwan als Altphilologin verstanden: Dann ist ebenso wenig ein Demagoge Volksverführer wie ein Pädagoge ein Kindsverführer ist. Vor allem aber treffe ich politische Entscheidungen nicht danach, ob mir jemand passt oder nicht passt. Das ist nicht mein Verständnis von Politik.

Sollten Sie einen eigenen Kandidaten nominieren - wie würde sich die Linkspartei in einem möglichen entscheidenden zweiten oder dritten Wahlgang verhalten?

Auch wenn wir einen Kandidaten nominieren, haben wir keine Festlegung für einen möglichen dritten Wahlgang. Das werden wir am Tag der Wahl entscheiden.

Wird sich Frau Schwan denn noch bei der Linksfraktion vorstellen? Am Dienstag war sie schon bei den Grünen.

Wenn Frau Schwan uns besuchen möchte, werden wir uns diesem Wunsch nicht verschließen.

Es gab jüngst ein erstes Treffen von jungen Politikern von SPD und Linkspartei. Ein Schritt der Normalisierung im angespannten Verhältnis? Muss es so etwas öfter geben? Oft hat man den Eindruck eines Beißkampfs zwischen Linkspartei und SPD.

Aber die Beißerei ist doch sehr einseitig, wir haben keinerlei Berührungsängste mit der SPD. Das Problem hat allein die SPD.

Das heißt, solche Treffen könnten Ihrer Meinung nach auch auf höherer Ebene stattfinden?

Selbstverständlich. Wir haben nie gesagt, wir würden uns irgendwelchen Gesprächen verweigern.

SPD-Chef Beck sagte zuletzt, er klebe nicht an seinem Sessel. Ist er amtsmüde?

Ich habe nicht das Gefühl, dass er amtsmüde ist. Er ist massiven Angriffen ausgesetzt und kann nicht auf die Loyalität seiner Umgebung setzen. Seine Aussage ist deshalb verständlich.

Sie waren schon selbst auf dem Posten von Beck. Macht er alles falsch? Die Krise der SPD wird stark an seiner Person festgemacht.

Das ist ungerecht. Die SPD-Krise hat eine ganz klare Ursache: Der Identitätskern der Partei ist verlorengegangen. Dafür sind in erster Linie Schröder und Müntefering verantwortlich.

In Umfragen liegt die Linkspartei nur noch knapp hinter der SPD. Zusammengerechnet wären sie eine mächtige Volkspartei. Sie haben mal eine Fusion von PDS und Ost-SPD ins Gespräch gebracht. Gilt das noch heute für Gesamtdeutschland?

Das habe ich 1990 vorgeschlagen. Zurzeit hat das keine Aktualität und ist auch inhaltlich nicht zu begründen. 1990 waren die Parteien in einer Phase der Neuformierung, CDU und FDP haben Blockparteien geschluckt. Wir in der SPD haben damals überlegt: Wie stellen wir uns im Osten auf? Jetzt sind SPD und Linke sehr unterschiedlich positioniert in den Fragen der Sozialpolitik und Außenpolitik. Wir stehen für den Erhalt und den Ausbau des Sozialstaates und stehen zu Willy Brandts Satz, dass Krieg die ultima irratio ist.

Aber sind nicht beide Parteien sozialdemokratisch?

Der Sozialstaat und die Friedenspolitik Willy Brandts haben mich zur SPD gebracht. In beiden Punkten hat die SPD ihre Grundüberzeugung verändert und vertritt eine Politik, die ich entsprechend nicht mehr als sozialdemokratisch bezeichnen kann.

Aber ist denn eine Fusion völlig utopisch?

Erstrebenswert ist immer eine starke linke Gruppierung im Parlament. Eine Linke definiert sich über Inhalte. Die Möglichkeit eines Zusammenschlusses von SPD und Linkspartei ist inhaltlich nicht gegeben. Selbst die Zusammenarbeit klappt nicht. Das sieht man auch in Hessen. Es wäre für die deutsche Politik von Bedeutung gewesen, in Hessen ein Bündnis von SPD, Grüne und Linke zustande zu bringen. Das scheitert daran, weil die SPD nicht zuverlässig ist und nicht alle Stimmen zusammenbringt. Dabei decken sich die landespolitischen Programme von SPD und Linken in weiten Bereichen.

Hessen wäre also ein wichtiges Signal gewesen?

Selbstverständlich. Für eine Zusammenarbeit von SPD, Linken und Grünen auf Länderebene.

Sie haben mehrfach gesagt, Beck könnte schon morgen Kanzler sein mit Hilfe der Stimmen der Linkspartei, sofern er die Bundeswehr aus Afghanistan abzieht und Hartz IV zurücknimmt. Gilt das Angebot noch?

Ja. Der Mindestlohn und die Erneuerung der Rentenformel gehören auch noch zu den Bedingungen. Das sind unsere Kernanliegen. Und wir wissen, dass sie auf die Zustimmung der Bevölkerungsmehrheit und die Mehrheit der SPD-Mitglieder stoßen.

Wäre aber dann die Wahl von Frau Schwan durch die Linkspartei nicht das richtige Signal, um deutlich zu machen: Die Linkspartei steht für eine Zusammenarbeit mit der SPD bereit?

Das setzt voraus, dass die Wahl von Frau Schwan auf beiden Seiten als ein Signal der Zusammenarbeit verstanden wird. Das ist nicht der Fall.

Das heißt, Sie vermissen ein entsprechendes Zeichen der SPD-Führung an Sie?

Die Signale der SPD sind eindeutig: Die SPD will keine Zusammenarbeit mit uns.

Aber glauben Sie ernsthaft, Sie könnten Ihre Programmatik vollständig umsetzen und müssten keine Kompromisse machen?

Unsere Ziele werden doch auch von der Mehrheit der Bevölkerung geteilt. Alle vier Forderungen werden mehr oder weniger im Laufe der Zeit erfüllt werden. Das Abrücken von Hartz IV ist voll im Gange bei Grünen und SPD, die Erneuerung der Rentenformel ist schon bei der CDU in NRW Programm. Der Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan ist eine Frage der Zeit. Wir stellen keine Bedingungen, die unrealistisch sind.

Braucht die Linke ein Bad Godesberg wie die SPD in den fünfziger Jahren, um den Schritt in die Regierung machen zu können?

Nein, wir übersehen ja nicht die Entwicklung der linken Parteien in Gesamteuropa. Sie geraten in Schwierigkeiten, wenn sie ihre Grundsätze in Frage stellen. Wir müssen immer ein klares Profil haben und Vertrauen bei den Wählern gewinnen, dass wir zu unseren Grundsätzen stehen. Die Wähler müssen also zum Beispiel wissen, dass wir keine Renten kürzen, wenn wir uns an Regierungen beteiligen.

Die PDS in Berlin hat sich aber durchaus sehr pragmatisch in der Regierung mit der SPD gezeigt.

In letzter Zeit gibt es da eine sehr positive Entwicklung. Da ist etwa die Verhinderung der Privatisierung der größten Sparkasse zu nennen und die veränderte Einstellung des Berliner Senats bei den laufenden Tarifverhandlungen. Wowereit und Sarrazin wollten gar nicht verhandeln.

Sie wollen Ministerpräsident im Saarland werden. Verwandeln Sie sich dann wieder vom Arbeiterführer in einen moderaten Landesvater?

Was ich jetzt auf Bundesebene vertrete, habe ich auch früher als Grundlage für meine politische Arbeit gehabt. Ob Politiker in einer Demokratie gut oder weniger gut arbeiten, entscheiden die Wähler. Diesem Votum habe ich mich immer gestellt - und oft absolute Mehrheiten erreicht.

Das Interview führten Claus Christian Malzahn und Björn Hengst

Spiegel Online, 25. Juni 2008