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Kritisch denkende Bürgerinnen und Bürger sind manchem Abgeordneten ein Graus

Interview der Woche von Kersten Steinke,

Der Bundestag hat letzte Woche in erster Lesung einen Antrag Ihrer Fraktion auf Änderung des Grundgesetzes debattiert. Warum muss die Verfassung geändert werden?

Der Art. 45c GG bezieht sich nur auf Beschwerden. D.h. nur bei gesetzwidrigem Verhalten von Staats- und Verwaltungsorganen oder verfehlter Rechtsanwendung besteht ein in der Verfassung verankertes Grundrecht zur Aufklärung für die Anliegen von Bürgerinnen und Bürgern. Für Bitten (fast alle Massen- und Sammelpetitionen sind Bitten) gilt dies nicht. Sie zielen auf die Verwirklichung von Allgemeininteressen, auf politische Entscheidungen oder ein neues Gesetz. Wir wollen Bitten und Beschwerden grundrechtlich gleichstellen.

Nicht nur das Grundgesetz, auch das Petitionsrecht soll geändert werden: wo liegen die Defizite im gültigen Recht?

Das bisherige Petitionsrecht hat nicht die Stärke, die dieses Grundrecht der Bürgerinnen und Bürger gegenüber dem Staat haben muss. Es ist noch zu bürgerfern, zu intransparent, zu schwer nachvollziehbar, nur eingeschränkt einklagbar und zersplittert in 5 verschiedenen Vorschriften. Schwerpunkte unseres Petitionsgesetzes sind z.B. mehr Öffentlichkeit (z.B. öffentliche Ausschusssitzungen und Übergaben), mehr Informationsrechte (über Verfahren, Berichterstatter und Voten) und die Herabsetzung des Quorums von 50.000 auf 20.000 Unterschriften für eine öffentliche Anhörung der Petenten.
Selbst in vielen Bundesländern ist das Petitionsrecht fortschrittlicher als auf Bundesebene.

Bei vielen Menschen herrscht die Wahrnehmung vor, dass eine Petition an den Bundestag ein letzter Rettungsanker in einer aussichtslosen Situation ist. Wie viel Macht hat der Ausschuss tatsächlich?

Nun, der Petitionsausschuss hat nicht mehr Macht als die anderen Ausschüsse beim Bundestag. Entscheidend sind immer die Mehrheitsverhältnisse. Und wenn die Koalition z.B. bei ALG II, Praxisgebühr und Pendlerpauschale trotz der zig-tausenden Petitionen keine Abhilfe schaffen will, dann sind die noch immer eintreffenden sachgleichen Petitionen von vornherein aussichtslos. Dennoch wird jeder individuelle Fall sachlich geprüft. Wichtig ist, dass jede Bürgerin und jeder Bürger weiß, dass die Möglichkeit einer kostenlosen Rechtsauskunft auf diesem Wege besteht. Wie die Jahresberichte des Petitionsausschusses belegen, gibt es natürlich Hilfe durch Auskünfte, Materialübersendung und Ratschläge, aber auch durch positive Entscheidung der Petition. Letztere sind jedoch in der absoluten Minderheit.

Es war in der Vergangenheit möglich, Petitionen öffentlich dem Ausschuss zu übergeben. Später wurde diese Möglichkeit abgeschafft: mit welcher Begründung und von wem?

Als Ausschussvorsitzende konnte ich diese Form der Übergabe wieder aktivieren. Aber öffentliche Übergabe bedeutet ja auch mediale Begleitung. Wenn dann tausende Unterschriften gegen den Krieg in Afghanistan oder Waffenexport oder für ein NPD-Verbot offiziell überreicht werden, dann wird es den Koalitionären wohl recht peinlich. Weil auch die linke Basis gemeinsam mit Friedensinitiativen Unterschriften gesammelt hat, wurde mir vorgeworfen, ich würde meine Funktion missbrauchen. Kritisch denkende Bürgerinnen und Bürger sind so manchem Abgeordneten ein Graus.
Warum dürfen sich bisher Betriebsräte und Beamtinnen und Beamte nicht an den Petitionsausschuss wenden?
Staatsdienern ist dieses Recht verwehrt; sie müssen Dienstwege einhalten oder sich an bestimmte Beauftragte oder Ombudsleute wenden. Es ist nicht zu verstehen, warum eine Petition z.B. zur Arbeitssituation in einem Betrieb von einem Betriebsratsvorsitzenden nicht angenommen wird, er aber die gleiche Petition als Privatperson einreichen darf. Mir ist es ein wichtiges Anliegen, dass es keine so genannten petitionsfreien Zonen gibt. Dies gilt auch für Betriebe der öffentlichen Daseinsvorsorge wie Bahn, Telekom, Energie etc., die durch Privatisierung nicht mehr in den Zuständigkeitsbereich des Bundes fallen.

Sie sind Vorsitzende des Petitionsausschusses des Bundestages. Hilft Ihnen diese Position, den Anliegen derjenigen, die die Petitionen einreichen, mehr Gehör zu verschaffen?

Ganz ehrlich: Überwiegend nicht. Ich kann in der Funktion als Vorsitzende nur die mehrheitliche Meinung des Petitionsausschusses vertreten. Dennoch nutze ich bei Einladungen zu außerparlamentarischen Veranstaltungen auch die Gelegenheit, meine linken Vorstellungen zu diskutieren und bekomme fast ausschließlich positive Resonanz. Das Recht sich mit Bitten und Beschwerden an den Bundestag zu wenden, entspricht ja unserer Auffassung von demokratischer Teilhabe. Als Linke arbeiten wir jedoch an der Verbesserung direktdemokratischer Elemente. Deshalb stimme ich nicht nur im Ausschuss entsprechend meinen linken Überzeugungen, sondern unterstütze und fordere öffentliche Anhörungen, Berichterstattergespräche und Ortsbesichtigungen, um den Petenten mehr Gehör zu verschaffen.

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