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Jan Korte spricht während einer Fraktionssitzung der Linksfraktion im Clara-Zetkin-Saal des Bundestages © DBT/Thomas Imo/photothekFoto: DBT/Thomas Imo/photothek

Korte fordert Ende der Streitigkeiten

Im Wortlaut von Jan Korte, Volksstimme,

Die Linke kommt beim Wählerzuspruch nicht vom Fleck und will das ändern. Im Gespräch berichtet Jan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linken im Bundestag, wie das funktionieren soll.

 

Die Zehn-Prozent-Marke scheint für die Linkspartei trotz der offenen Flanken, die die Regierung bietet, unerreichbar zu sein. Warum?
Jan Korte: Das ist eine berechtigte Frage. Ich glaube allerdings, dass diese zehn Prozent erreichbar sind. Dafür müssen wir uns als Partei und Fraktion noch besser aufstellen, unsere konkreten Alternativen zur Politik der GroKo deutlich machen und die Streitigkeiten beenden. Da ist noch Luft nach oben – die zehn Prozent müssen ein Vorsatz fürs neue Jahr sein.

Der permanente Streit innerhalb Ihrer Partei macht sich an der Vorsitzenden Katja Kipping und der Fraktionschefin Sahra Wagenknecht fest. Muss da nicht endlich eine Entscheidung her?
Es geht nicht nur um Personen. Wir brauchen eine offene und solidarische Strategiedebatte in der Partei. Deshalb finde ich, es muss ein Ende mit diesen Streitigkeiten haben. Wenn man sieht, wie Arm und Reich und damit die Gesellschaft auseinanderdriftet, wenn man sieht wie Europa zerfällt, wenn man sieht, wie Menschenfeindlichkeit und Demokratieverachtung um sich greifen, wenn man die Benachteiligung von Ostdeutschen sieht, sind solche Auseinandersetzungen einfach unangemessen. Wir hatten eine Sitzung von Parteivorstand und Bundestagsfraktion, wo wir uns in vielen Fragen verständigen konnten. Deshalb bin ich guten Mutes, dass wir 2019 unsere Kraft auf das konzentrieren, wofür wir gewählt worden sind.

Ein ständiger Streitpunkt ist die Haltung in der Migrationspolitik. Offene Grenzen über alles – das ist bei Ihnen nicht mehr unantastbar. Was ist eine linke Position aus Ihrer Sicht?
Die Debatten der Gesellschaft werden selbstverständlich auch in unserer Partei geführt. Ich kenne die Diskussion auf jedem Marktplatz, auf dem ich in Sachsen-Anhalt stehe. Klar ist – dazu hat erwähnte gemeinsame Sitzung beigetragen – , dass wir das Asylrecht verteidigen. Es ist eine Lehre aus dem Faschismus, dass es dieses Grundrecht auf Asyl gibt. Wir lehnen Schikanen gegen Menschen ab, egal wo sie herkommen, denn wir sind Sozialisten. Uns verbindet die Idee der Gleichheit der Menschen. Das ist unumstritten. Eine Diskussion gibt es innerhalb der Linken darum, wie wir die Arbeitsmigration organisieren sollten.

Die Bundesregierung hat hierzu das „Fachkräftezuwanderungsgesetz“ ersonnen. Was halten Sie davon?
Es ist bei uns umstritten – sowohl in den Fraktionen von Bundestag und den Landtagen als auch in der Partei – ob wir ein Einwanderungsgesetz brauchen oder nicht. Das wird im Moment diskutiert. Ich plädiere dafür, das kontrovers, aber solidarisch zu diskutieren. Wichtig ist, dass man endlich das Persönliche dabei weglässt.

Und Ihre persönliche Meinung?
Deutschland ist ein Einwanderungsland. Davor die Augen zu verschließen ist naiv. Deshalb bin ich für eine Einwanderungsgesetz, das Migration bündelt und regelt. Dabei ist mir allerdings wichtig, dass Menschen nicht nur nach Nützlichkeitserwägungen behandelt werden. Das, was die Koalition vorgelegt hat kommt viel zu spät und reicht hinten und vorne nicht.

Die Linken-Führung scheut eine klare Stellungnahme zur „Aufstehen“-Bewegung von Wagenknecht. Wie bewerten Sie dieses Bündnis?
Die Grundidee, Leute anzusprechen und zu organisieren, die sich nicht mit Niedriglöhnen, Hartz IV und Rentenungerechtigkeit abfinden und den Sozialstaat wiederaufbauen wollen, ist natürlich ein richtiges Anliegen. Darauf sollte man entspannt blicken. Ich persönlich bin nicht Mitglied bei „Aufstehen“ und werde es auch nicht, weil meine Kraft voll und ganz meiner Partei gehört. Das ist mein Kampfplatz. Ich darf daran erinnern, dass es eine einmalige historische Leistung ist, dass es mehr als zehn Jahre eine Partei links von der Sozialdemokratie gibt, die bundesweit verankert ist.

Sie sagten, die Partei brauche Ihre gesamte Kraft. Das ist bei Frau Wagenknecht offensichtlich nicht so. Sie hat noch Reserven, um das Projekt „Aufstehen“ zu betreiben. Das ärgert viele in der Linkspartei.
Das ist in der Tat umstritten. Ich glaube, dass Sahra Wagenknecht in der Öffentlichkeit eine große Strahlkraft hat. Wer das nicht sieht, liegt falsch. Was nicht bedeutet, dass ich mit Sahra Wagenknecht keine Differenzen habe.

Können Sie den Namen Oskar Lafontaine noch hören?
Oskar Lafontaine ist der Fraktionsvorsitzende der Linken im Saarland. Er hatte zusammen mit Gregor Gysi, Bodo Ramelow und Lothar Bisky in der Vergangenheit einen maßgeblichen Anteil an der Bildung einer gesamtdeutschen, starken, linken Partei. Das kann und darf man nicht kleinreden. Auch wenn ich damals und auch heute etliche Meinungsverschiedenheiten mit Lafontaine hatte und habe.

Blick nach vorn: 2019 sind Landtagswahlen in einigen Ost-Ländern. Die AfD hat dabei gute Chancen, auch weil Wähler von der Linken zu den Rechtsnationalen überlaufen. Was macht die Linke falsch?
Wir müssen im Osten wieder besser und stärker werden. Wenn jemand am stärksten ostdeutsche Interessen vertritt, dann ist das nach wie vor die Linkspartei. Wir haben die höchste Ost-Kompetenz. Das müssen wir zugespitzter und deutlicher machen. Wenn ich sehe, dass der Anteil der Niedriglöhner im Osten bei 33,6 Prozent liegt und im Westen bei 16,7 Prozent, wenn ich sehe, dass 30 Prozent der Beschäftigten im Osten für Niedriglöhne unter zehn Euro pro Stunde arbeiten müssen, dann ist klar, dass es unsere Aufgabe ist, dies zu verändern. Und da hat die AfD absolut nichts anzubieten.

Unterstützung brauchen die Beschäftigten in den ostdeutschen Braunkohlerevieren nach dem Ende der Förderung. Für die Lausitz ist eine Sonderwirtschaftszone im Gespräch. Was sagt die Linke?
Ich halte es für ganz wichtig – und das ist der fundamentale Unterschied zum Beispiel zu den Grünen – zunächst mal den Kumpeln und ihren Familien Anerkennung zu zollen. Dort sind Menschen Jahrzehnte in der Braunkohle tätig gewesen. Ohne sie hätte es die ostdeutsche Industrie nicht gegeben. Daran zu erinnern muss für eine Partei, die aus der Arbeiterklasse kommt, eine Selbstverständlichkeit sein. Auch die Beschäftigten wissen, dass die Kohle endlich ist und dass es aus Klimaschutzgründen nicht ewig so weitergehen kann. Aber wir brauchen einen sozialverträglichen Strukturwandel. Der Staat muss den Kumpeln eine Beschäftigungsgarantie geben. Man kann die Leute nicht einfach ins Nichts fallen lassen.

Aber wo sollen sie denn beschäftigt werden? Beim Harken der Tagebaue?
Der Staat kann und muss versuchen, Industrie anzusiedeln. Er kann öffentliche Beschäftigung zu vernünftigen Löhnen organisieren – im gemeinnützigen und kulturellen Bereich sowie bei der Landschaftsentwicklung. Darüber muss man sich über alle Parteigrenzen hinweg einen Kopf machen. Was ist vom Ruhrgebiet zu lernen, das diesen Prozess bereits hinter sich hat? Fest steht für mich: Der Staat ist in der Pflicht für diese Menschen.

Sie sind Parlamentarischer Geschäftsführer der Linken-Fraktion im Bundestag und gehören dem Parlament seit 2009 an. Was hat sich nach dem AfD-Einzug geändert?
Das Klima im Bundestag hat sich substanziell geändert. Und zwar nicht zum Guten. Als Parlamentarischer Geschäftsführer bin ich bestrebt, mit den anderen Fraktionen einen reibungslosen Ablauf des Parlamentsgeschehens hinzubekommen.

Aber man kann auch konkret Einfluss nehmen: Dass es endlich eine Befragung der Bundeskanzlerin im Plenum gibt, ist maßgeblich auf die Arbeit der Linken zurückzuführen. Die Debatten sind aber insgesamt heftiger geworden. Es gibt von den Rechten eigentlich an jedem Plenartag auch nicht hinnehmbare Grenzüberschreitungen. Auf diese Provokationen müssen die demokratischen Parteien geschlossen reagieren. Aber ich glaube auch, dass jetzt die Zeit gekommen ist, um als Parlamentarischer Geschäftsführer bei Zukunftsfragen unserer Gesellschaft zu bewirken, dass die Bundestagsarbeit besser, transparenter und nachvollziehbarer wird.

Interview: Steffen Honig

Volksstimme,