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Kobane nicht allein lassen

Im Wortlaut von Stefan Liebich,

 

Von Stefan Liebich, Obmann im Auswärtigen Ausschuss für die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 

Immer enger zieht sich der Ring der Terrortruppen des Islamischen Staats (IS), ausgerüstet mit im Irak erbeuteten hochmodernen Waffen aus US-amerikanischen Arsenalen, um die syrische Stadt Kobane. Die dort vor allem lebenden Kurdinnen und Kurden verteidigen sich tapfer. Handfeuerwaffen bilden die hauptsächliche Bewaffnung der kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) und der Frauenverteidigungskräfte (YPJ). Sie stehen der Partei der Demokratischen Union (PYD) nahe, der syrischen Schwesterorganisation der in der Türkei verfolgten und in Deutschland immer noch verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Kobane droht eine humane Katastrophe, aber niemand ist offenbar bereit zu helfen. Sporadische Luftangriffe der US-Air Force und ihrer Verbündeten gegen die IS-Truppen zeigen nur eingeschränkte Wirkung. Die blutige Einnahme dieser Stadt durch die Terrormilizen erscheint, geschieht nicht noch ein Wunder, nur noch als eine Frage von Tagen.

Perfide türkische Strategie

Die bedrohte Stadt ist ein Zentrum der seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs selbstverwalteten Region Rojava (Westkurdistan), die sich an der syrisch-türkischen Grenze entlangzieht. Die Menschen dort haben in den vergangenen Jahren ein gut funktionierendes multiethnisches Selbstverwaltungssystem etabliert und nichts fürchtet man in Ankara mehr, als dass dieser kurdische "Virus" auch in ihr Land überspringt. Soll doch der IS also seine schmutzige Arbeit machen, kommt einem da in den Sinn. Und während weiterhin IS-Kämpfer aus der Türkei in die kurdischen Kriegsgebiete in Syrien und Irak einsickern, während Ölverkäufe über die türkische Grenze die Finanzierung des IS sichern, erschwert die Türkei andererseits Kurden, die in Kobane helfen wollen, den Grenzübertritt und blockiert humanitäre Hilfe. Eine perfide Strategie.

Aus Europa erreichen die Menschen nur wohlfeile Worte, aber kaum wirkliche Hilfe. Der auch auf Demonstrationen immer wieder zu hörende Hilferuf, die Bevölkerung in Rojava auf allen Ebenen, auch militärisch, in ihrem Widerstand gegen den IS zu unterstützen, verhallt ungehört, wie auch die gleichlautenden Bitten der demokratischen Selbstverwaltung Kobanes und ihrer Selbstverteidigungskräfte an die internationale Gemeinschaft. Die Bundesregierung lieferte zwar Waffen, aber nicht an die Kurden in Rojava, sondern lediglich an jene im Norden Iraks. Aus Rücksicht vor dem NATO-Bündnispartner schweigen Merkel und Steinmeier zur Politik Erdogans. In Deutschland bleibt die PKK weiterhin verboten.

In New York, bei der UNO, herrscht Schweigen

Und während die IS-Terroristen mit mörderischer Gewalt das Gebiet ihres "Kalifats" erweitern, herrscht am East River in New York City Schweigen. Dabei müsste hier, am Hauptsitz der Organisation der Vereinten Nationen, längst gehandelt werden! Am Beginn ihrer Charta formulierten die Mitgliedsstaaten 1945 das Ziel "den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken". Die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich haben die Befugnis und Pflicht, jederzeit die Maßnahmen zu treffen, die sie "zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit für erforderlich" halten. Doch es passiert nicht nichts, Kobane wird sich selbst überlassen!

Vor wenigen Tagen hat der "Kongress der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa" (KCD‑E) die internationale Staatengemeinschaft, die ja für sich in Anspruch nimmt, Demokratie und Menschenrechte zu verteidigen, dazu aufgerufen, die Menschen in Kobane und ihre Verteidigungskräfte endlich zu unterstützen. "Diejenigen Staaten die den IS unterstützen", so steht da zu lesen, "allen voran die türkische Regierung, müssen endlich mit Konsequenzen konfrontiert werden, um sie dazu zu bewegen, ihre verheerende und menschenfeindliche Politik zu beenden. Um eine erneute humanitäre Katastrophe, menschliche Tragödie und einen Genozid zu verhindern, sollten die kurdische Bevölkerung und die weiteren in Rojava lebenden Bevölkerungsgruppen auf allen Ebenen – auch militärisch – in ihrem Widerstand gegen den IS – unterstützt werden." Ich finde das richtig. Die UNO hat das Gewaltmonopol, sie ist aufgefordert hier umgehend zu handeln!

linksfraktion.de, 10. Oktober 2014