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Kinderrechte müssen draußen bleiben

Im Wortlaut von Norbert Müller,

Von Norbert Müller, kinder- und jugendpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag


Das Scheitern der Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz spielte sich in dieser Woche als Tragödie in zwei Akten ab.

Im ersten Akt erklärten Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) und der Unionsfraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus (CDU) am Dienstag die Verhandlungen mit Grünen und FDP gescheitert. Teilnehmer:innen zufolge ist der Begriff „Verhandlung“ hier fehl am Platz, weil die Union nicht bereit war, nur einen Millimeter vom Regierungsvorschlag abzurücken. Veränderungen hätte der vorliegende Vorschlag sehr gut vertragen, fiel er doch weit hinter die Vorgaben UN-Kinderrechtskonvention zurück.

Im zweiten Akt am Mittwoch sollte ursprünglich der Rechtsausschuss die Kinderrechte-Gesetzentwürfe von LINKEN, Grünen und FDP behandeln. Doch zur Überraschung der Oppositionsfraktionen setzte die Koalition den Tagesordnungspunkt kurzerhand ab. Begründung: Man habe weiteren Beratungsbedarf – eine Farce. Der Scham über das Scheitern scheint so groß zu sein, dass noch nicht mal das routinierte Ablehnen unserer Anträge möglich ist.

Kinderrechte waren Teil des Koalitionsvertrags

Ein Blick zurück: Bereits 2001 brachte die PDS-Fraktion einen Vorschlag zu einer entsprechenden Verfassungsänderung ein. Der damalige Gesetzesentwurf sollte deutlich machen, dass Kinder überhaupt Träger von Rechten sind. Der Vorschlag wurde damals wenig überraschend abgelehnt, die Diskussion aber war nicht mehr zu stoppen. Auch Grüne und SPD übernahmen die Forderung. Doch für eine Verfassungsänderung fehlte stets die notwendige Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. Die Union positionierte sich klar gegen die Forderung. Sekundiert von konservativen, christlichen Verbänden warnten CDU und CSU davor, das Recht von Eltern, ihre Kinder zu erziehen, könne ausgehöhlt werden. Umso überraschender war es, dass 2017 die Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz erst Teil des Wahlprogramms der Unionsparteien und dann auch des Koalitionsvertrages mit der SPD wurde.

Die Absicht war bekundet, doch wie die Formulierung im Detail aussehen sollte, war offen. Die Diskussion hatte sich seit dem ersten Vorstoß der PDS deutlich weitergedreht. Es sollte nicht mehr darum gehen, Kinder überhaupt als Rechtsträger kenntlich zu machen. Vielmehr sollte nun klargestellt werden, welche besonderen Rechte Kinder besitzen. Um das auszuloten, setze die Koalition eine Arbeitsgruppe ein. Diese stand erst kurz vor dem Scheitern, um anschließend nicht einen, sondern gleich drei Vorschläge zu präsentieren. Justizministerin Lambrecht machte sich auf der Suche nach einem Kompromiss mit den nach wie vor skeptischen Unionsvertreter:innen den unambitioniertesten der drei Vorschläge zu eigen. Doch auch der ging vielen in der Union noch zu weit.

Insbesondere das Recht von Kindern, an allen Angelegenheiten, die sie betreffen, beteiligt zu werden, und der Vorrang des Kindeswohls trafen bei den Konservativen auf Widerstand. Der Vorrang des Kindeswohls wurde daraufhin eingeschränkt und ist nur noch „angemessen zu berücksichtigen“. Vom Recht auf Beteiligung ist gleich gar nicht mehr die Rede. Dieses wurde auf ein Recht auf rechtliches Gehör reduziert.

Kinder sind nicht einfach kleine Erwachsene

Das häufigste Gegenargument lautet: Das Grundgesetz betreffe die Rechte aller Menschen, was automatisch auch Kinder beinhalte. Änderungsbedarf bestehe dementsprechend keiner. Wie trügerisch diese Annahme ist, hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten auf bedrückende Art und Weise offenbart. Kinder und Jugendliche zählten als gesellschaftliche Gruppe zu den großen Verlierer:innen der Pandemiepolitik.

Kinder sind nicht einfach kleine Erwachsene, sondern haben individuell und kollektiv eigene Bedürfnisse und Interessenlagen. Damit diesem Umstand endlich genüge getan wird, brauchen wir die Kinderrechte im Grundgesetz. Im Notstandsmodus haben sich nun die konservativen Kräfte mit ihrer Verweigerungshaltung durchgesetzt. Als Fraktion DIE LINKE. Im Bundestag werden wir weiter darauf drängen, die Jüngsten unserer Gesellschaft nachhaltig zu stärken.