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Kanzlerin Merkel verbeugt sich am 7. Juli 2017 beim G20-Gipfel in Hamburg vor dem türkischen Präsidenten Erdogan © picture alliance/Geisler-FotopressFoto: picture alliance/Geisler-Fotopress

Kein „Weiter so“ mit Erdogan

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,

Von Sevim Dagdelen, Sprecherin für Internationale Beziehungen der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 

Ein Jahr nach dem vereitelten Militärcoup ist die Türkei von der Demokratie weiter entfernt denn je. Auf den Putschversuch vom 15. Juli 2016, den der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nach seiner Niederschlagung am Morgen des 16. Juli ein "Geschenk Gottes" nannte, folgte ein offensichtlich sorgfältig vorbereiteter Staatsstreich von oben. Erdogan und seiner islamistischen Regierungspartei AKP hat dieser Coup absolute Macht verschafft. Und die lebt der Staatschef weidlich aus. Gestützt auf den nicht endend wollenden Ausnahmezustand hat der Mann vom Bosporus in den vergangenen zwölf Monaten mehr als 50.000 Menschen verhaften lassen, darunter führende Oppositionspolitiker der prokurdischen HDP, Hochschulbeschäftigte der Gruppe „Akademiker für den Frieden“ und Gewerkschafter. Mit derzeit rund 165 Journalisten im Gefängnis, darunter aus Deutschland kommend der Welt-Korrespondent Deniz Yücel und Mesale Tolu, ist die Türkei das Land mit den meisten inhaftierten Medienschaffenden weltweit. Rund 130 ihm unliebsame Medien hat Erdogan schließen lassen, Tausende Journalisten in die Arbeitslosigkeit geschickt. Mehr als 100.000 Staatsbedienstete verloren ohne nähere Begründung von heute auf morgen ihren Job, darunter Zehntausende Lehrerinnen und Lehrer. Widerspruch gegen die Notstandsdekrete ist nicht möglich. Gegen rund 170.000 Menschen wurden Strafverfahren eingeleitet. Die Justiz wird dem nicht Herr. In den vergangenen zwölf Monaten wurden mehr als 2400 Richter und Staatsanwälte festgenommen, darunter dutzende Mitglieder der obersten Gerichte sowie zwei Verfassungsrichter. An ihre Stelle kamen junge, unerfahrene Juristen, die sich durch Erdogan-Loyalität auszeichnen. Es herrscht ein Klima der Angst. Ein Ende der Verfolgung von Andersdenkenden und Regierungskritikern ist nicht absehbar wie die jüngsten Verhaftungen von Menschenrechtsaktivisten zeigen.

Deutsche Hilfe für den Despoten

Erdogan baut die laizistische Türkei zielstrebig um in einen islamistischen Unterdrückungsstaat. Nach Auskunft der Bundesregierung ist das NATO-Mitgliedsland mittlerweile „zentrale Aktionsplattform“ für Dschihadisten-Banden im Nahen und Mittleren Osten. Im Juni erst wurde der sozialdemokratische Abgeordnete der größten Oppositionsfraktion (CHP) Enis Berberoglu zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er Videobeweise über Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an islamistische Terrorgruppen in Syrien an die Presse weitergegeben haben soll. All das hält Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Gabriel nicht davon ab, in Erdogan weiterhin einen Premiumpartner zu sehen. Durch den Merkel-Erdogan-Pakt zur Abwehr von Flüchtlingen hat die Bundeskanzlerin Deutschland und die EU erpressbar gemacht. Und so wird der Terrorpate am Bosporus weiter mit Waffen „made in Germany“ unterstützt. Die Düsseldorfer Rüstungsschmiede Rheinmetall plant den Bau einer Panzerfabrik in der Türkei. Weil sich die Bundesregierung dagegen sperrt, die Beitrittsverhandlungen mit Ankara zu stoppen, fließen noch immer jährlich mindestens 630 Millionen Euro Hilfsgelder an Erdogan. Der Despot kann zudem auf eine Ausweitung der Zollunion mit der EU hoffen. Konzerninteressen stehen über Menschenrechten.
 
Radikaler Kurswechsel notwendig

DIE LINKE. im Bundestag fordert einen radikalen Kurswechsel in der deutschen Türkeipolitik. Schluss mit der Unterstützung für Erdogan. Waffenexporte an Ankara müssen gestoppt werden ebenso wie die EU-Beitrittsverhandlungen. Die deutschen Soldaten müssen aus der Türkei allesamt abgezogen werden. Notwendig ist zudem eine vollständige Aufklärung darüber, inwiefern die türkische Führung Einfluss auf Presseakkreditierungen beim G20-Gipfel in Hamburg hat nehmen können. In der kommenden Woche erwarte ich klare Antworten der Bundesregierung auf diesbezüglichen Fragen der Linksfraktion.
 
Erdogan-Netzwerk zerschlagen

Überfällig ist auch die Zerschlagung des Erdogan-Netzwerkes in Deutschland mit seinen rund 6000 Agenten, Rockerbanden und Trollarmeen, das die Gewaltpolitik der türkischen Regierung importiert und auch hierzulande ein Klima der Angst verbreitet. Bund und Länder müssen die Zusammenarbeit mit dem von Ankara aus gesteuerten und finanzierten Moscheeverband DITIB endlich aufkündigen. Wer Andersdenkende ausspioniert und gegen sie Stimmung macht, darf nicht länger als Partner hofiert werden. Klare Kante statt Kuschelkurs, das ist die zentrale Lehre aus dem seit einem Jahr andauernden Staatsputsch in der Türkei.