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»Kein Mandat für die neue Lage im Kosovo«

Im Wortlaut von Norman Paech,

Linksfraktion klagt gegen Bundeswehr-Einsatz

Die Linksfraktion wird heute vor dem Bundesverfassungsgericht eine neue Klage einreichen. Ihr Ziel sei es, bei der Stationierung von Bundeswehr-Einheiten im Ausland die Rechte des Bundestages gegenüber der Bundesregierung zu stärken, erklärt Norman Paech, außenpolitischer Sprecher der Fraktion.

Herr Paech, was haben Sie der Bundesregierung vorzuwerfen?

Wir werfen ihr vor, dass sie mit ihrer Entscheidung, die Bundeswehr auch nach der Unabhängigkeitserklärung vom 17. Februar im Rahmen der Kfor-Truppe im Kosovo stationiert zu lassen, den Bundestag übergangen hat. Die Bundeswehr sollte eine Übergangsphase absichern, nicht ein unabhängiges Kosovo. Das ist eine ganz neue Aufgabe, und darüber hätte auch der Bundestag neu befinden müssen.

Morgen wird der Bundestag das Kosovo-Mandat erneuern. Ist der Fehler damit behoben?

Auf jeden Fall nicht rückwirkend. Er kann nicht die beschlusslose Zeit nachträglich überbrücken. Das ist das Eine. Das Andere ist: Nach unserer Auffassung bräuchte der Bundestag für einen neuen Beschluss auch eine neue völkerrechtliche Grundlage. Denn die UN-Resolution 1244 vermag nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo den neuen Einsatz nicht mehr zu legitimieren.

Eine neue Resolution wird es aber auf absehbare Zeit nicht geben, weil sich die Vetomächte nicht einig sind.

Sie sagen es.

Und solange ist eine Bundeswehr-Präsenz im Kosovo nicht möglich?

Nein. Wenn man das juristisch exakt sieht, ist das nicht möglich.

Wäre es denn politisch zu verantworten, die verfeindeten Kosovo-Albaner und Kosovo-Serben miteinander allein zu lassen?

Es wird immer behauptet, dass dann das Chaos eintritt. Das Chaos tritt aber immer dann ein, wenn man nicht genau weiß, welches die Aufgaben einer militärischen Macht sind und auf welche Grundlagen sie sich stützt. So könnten die Serben im Norden des Kosovo, in Mitrovica, jetzt sagen: Wir machen uns auch unabhängig - mit genau denselben Argumenten wie zuvor die albanische Mehrheit im Kosovo.

Das Problem würde aber nur größer, wenn die Puffertruppe fehlte.

Das hätte man ja anders lösen können. Man hätte versuchen können, mit Unterstützung der UN und der EU einen Modus vivendi auszuhandeln. Dann hätte auch die Kfor ohne weiteres dort stationiert bleiben dürfen. Durch die einseitige Unabhängigkeitserklärung, die das Völkerrecht gar nicht vorsieht, und durch die nachfolgende Anerkennung des Kosovo durch die USA und einige EU-Staaten, die so nicht hätte stattfinden dürfen, ist in der Tat eine äußerst labile Situation in der Region entstanden, die auch als Beispiel dienen könnte. Schauen Sie nach Abchasien, nach Südossetien, selbst ins Baskenland, nach Québec oder Tibet. Dort sind überall ähnliche Probleme virulent.

Glauben Sie, dass sich das Bundesverfassungsgericht Ihrer Argumentation anschließen wird?

Wir würden nie klagen, wenn wir keine Aussicht auf Erfolg hätten. Außerdem hat das Gericht gerade erst in seiner Entscheidung zu den Awacs-Flügen im Zusammenhang mit dem Irakkrieg 2003 festgestellt, dass die Bundesregierung auch damals den Parlamentsvorbehalt missachtet hat. Durch dieses Urteil, das wir noch nicht kannten, als wir unsere Klage vorbereiteten, fühlen wir uns zusätzlich ermutigt.

Interview: Hinnerk Berlekamp

Berliner Zeitung, 4. Juni 2008