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»Kein einziger Konflikt ist bislang mit Gewalt gelöst worden«

Interview der Woche von Wolfgang Gehrcke,

 

»Die Welt ist aus den Fugen geraten«, sagte Walter Steinmeier jüngst angesichts der zahlreichen gewaltsamen Konflikte. Gleichzeitig treibt die Bundesregierung die Beteiligung der Bundeswehr an Interventionen voran, viele davon unter dem Deckmantel der NATO-Bündnisverpflichtung. Flankiert wird dies von einer Aufrüstungsdebatte der Bundeswehr. Wolfgang Gehrcke, Leiter des Arbeitskreises Außenpolitik und internationale Beziehungen, kritisiert diese Entwicklung im Interview der Woche.

 

Das Drama in Syrien nimmt kein Ende, dafür immer neue Dimensionen an. Was kann man aus Ihrer Sicht an der Entwicklung des Syrienkonflikts ablesen?

Wolfgang Gehrcke: Syrien war einmal ein stabiles Land – wenngleich eine Erziehungsdiktatur, die viele Menschen unterdrückt hat. Das war und ist zu kritisieren. Aber Menschen konnten in diesem Lande leben und ihrer Religion nachgehen. Heute ist Syrien zerstört, Millionen Menschen sind auf der Flucht und mindestens 130.000 Menschen wurden getötet. Der Staat Syrien befindet sich in heller Auflösung. Die sinnvolle Antwort war und ist heute ein Bündnis der säkularen, das heißt der weltlichen Kräfte und des weltlichen Staates Syrien mit nicht-gewalttätigen, auch moderat islamistischen Gruppen. Die Zerstörung der Assad-Herrschaft war dem Westen immer wichtiger als die Rettung Syriens und der Menschen in diesem Land. An ihren Taten soll man sie erkennen.

Wie bewerten Sie, dass nun auch die Türkei bereit ist, in Syrien und dem Irak gegen die Terrormilizen des »IS« vorzugehen? Ist die Türkei als NATO-Mitglied unter Druck geraten?

Die Türkei ist mehrfach unter Druck, auch als NATO-Mitglied. Die Türkei konkurriert mit dem Iran und Saudi Arabien um die politische Vorherrschaft im Nahen und Mittleren Osten. Sie versucht mit aller Kraft, kurdische Autonomie und einen kurdischen Staat abzuwehren. Wenn sie von einer Flugverbots- und einer Pufferzone auf syrischem Territorium spricht, spricht sie über das Recht auf eine militärische Intervention in Syrien. Das hat sie weder völkerrechtlich noch moralisch. Die Türkei hat den IS hochgepäppelt, das ist die Verantwortung der Türkei, und die richtige Antwort Deutschlands wäre, die PATRIOT-Raketen von der türkisch-syrischen Grenze abzuziehen.

Im Ukraine-Konflikt spielt die NATO ebenfalls eine zentrale Rolle. Deren Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen galt als Scharfmacher gegenüber Russland. Jetzt löst ihn Jens Stoltenberg ab. Wird sich dadurch etwas an der Ausrichtung der NATO ändern?

Rasmussen war ein Rambo. Rasmussen und Stoltenberg unterscheiden sich im Stil, nicht in ihren Absichten. Auch Stoltenberg will NATO-Kontingente in Polen und den baltischen Ländern stationieren. Auch Stoltenberg will die Rüstung der NATO-Länder hochtreiben. Der Stil der Politik ist nicht unerheblich, aber die Inhalte sind das Entscheidende. Die Ukraine ist nicht Mitglied der NATO, auch wenn die NATO so tut, als ob sie das Land bereits einverleibt hätte. Es gibt kein Recht, NATO-Beschlüsse zur Ukraine zu fassen und, das will ich in Deutlichkeit festhalten: Deutsche Soldaten an die Westgrenze Russlands zu entsenden, verbietet sich von selbst.

Der deutsche Außenminister Frank Walter Steinmeier stellte letzthin mit Blick auf die zahlreichen Krisen weltweit fest: »Die Welt ist aus den Fugen geraten.« Was löst ein solcher Satz bei Ihnen aus?

Steinmeier macht aus den „Fugen“ Risse, weltweite Spaltungen. Die Politik, die auch er verantwortet, vergrößert die Risse und vergröbert internationale Konflikte. Steinmeiers Tradition würde es entsprechen, auf eine Rolle Deutschlands als Weltpolizist zu verzichten und zur Politik der Zurückhaltung zurückzukehren.

Nehmen Sie die Meldungen hinzu über nicht einsatzbereites Material bei der Bundeswehr: kein einziger einsatzbereiter Hubschrauber der Bundesmarine am Horn von Afrika; gestrandete Transportmaschinen auf Gran Canaria, deren Hilfslieferungen das Ebola-Gebiet nicht erreichen; Soldaten, die ihren Einsatzort im kurdischen Konfliktgebiet nicht erreichen, weil das Flugzeug kaputt ist – und das alles zum jetzigen Zeitpunkt. Wem nützt diese Debatte?

Ich unterstelle, diese Debatte ist von Kriegsministerin von der Leyen trickreich angestoßen oder zumindest wohlwollend begleitet worden. Sie will die Modernisierung der Bundeswehr, sie will neue Waffensysteme, sie will Geld für Aufrüstung, und dazu passt es prima, wenn man argumentieren kann: „Unsere Soldaten sind gut, nur die Technik ist schlecht. Also geben wir ihnen bessere Technik.“ Die Friedensbewegung und die LINKE dürfen auf diesen Trick nicht hereinfallen. Ich kritisiere von der Leyen nicht primär deshalb, weil sie „ihren Laden nicht im Griff“ hat, sondern will sie für eine aggressive Politik mit weltweiten Einsätzen der Bundeswehr wirbt. Jede Waffe, über die die Bundeswehr verfügt, ist eine Waffe zuviel.

Viele Menschen glauben nicht, dass sich die gewaltsamen Konflikte ohne Gegengewalt lösen lassen – gerade angesichts der dramatischen Lage etwa der kurdischen Flüchtlinge. Selbst Cem Özdemir von den Grünen, die ja immerhin mal eine gewisse Nähe zur Friedensbewegung hatten, sagte, dass die Peshmerga-Kämpfer die »IS«-Milizen nicht mit der Yogamatte hätten zurückschlagen können. Gibt es keine Verhandlungslösungen mehr?

Das Beispiel von Cem Özdemir mit der „Yoga-Matte“ ist so zynisch, dass dieser Sprachgebrauch seinen Benutzer selbst disqualifiziert, auch wenn er Vorsitzender der Partei Die Grünen ist. Kein einziger Konflikt ist bislang mit Gewalt gelöst oder auch nur eingefroren worden. Hingegen konnten viele Konflikte durch Verhandlungen eingedämmt und befriedet werden. Verhandlungen können zu einem Interessenausgleich führen, wenn sie ernsthaft und mit Respekt betrieben werden. Wie schon einmal gesagt: Eine sinnvolle Antwort ist ein Bündnis säkularer, demokratischer Kräfte in Syrien und des Staates mit moderaten islamischen Gruppen zum Widerstand gegen die islamistischen Gruppierungen und zur Gestaltung der Gesellschaft. Und man muss die Ursachen der Konflikte benennen und bekämpfen. Der Islamische Staat wurde von Saudi Arabien, Katar und der Türkei unterstützt und aufgerüstet im Bestreben, Assad in Syrien zu stürzen. Jetzt, da der IS seine eigenen Ziele mit aller Gewalt und Brutalität verfolgt, wollen die, die ihn groß gemacht haben, dagegen ankämpfen. Nötig wäre als Erstes, alle Quellen zu schließen, über die die Organisation Geld und Waffen erhält.

linksfraktion.de, 6. Oktober 2014