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Kein Dialog mit dem Dalai Lama?

Im Wortlaut von Wolfgang Gehrcke,

Wolfgang Gehrcke zum Umgang mit dem religiösen Führer der Tibeter

Die LINKE hat sich als einzige Fraktion gegen den Besuch des Dalai Lama im Bundestag ausgesprochen. Warum?

Mir war nicht klar, in welcher Funktion der Dalai Lama Deutschland besucht und in den Auswärtigen Ausschuss des Bundestages eingeladen wurde. Sofern er als Religionsführer oder Privatperson die Bundesrepublik bereist, gibt es keinen Anlass, ihn in den außenpolitischen Ausschuss zu bitten - dieser ist nicht dazu bestimmt, über Religionen zu sprechen oder Persönlichkeiten zu würdigen. Eine Einladung nach Deutschland als politischer Repräsentant, gar als Vertreter der Exilregierung Tibets, hätte sich verboten. Damit würde die Ein-China-Theorie, die ich für richtig halte, in Frage gestellt.

Ist dies eine generelle Gesprächsabsage an das religiöse Oberhaupt der Tibeter?

Nein, keinesfalls. Die Ausschusssitzung am Montag war mein zweites Zusammentreffen mit dem Dalai Lama und ich halte es für richtig, sich mit seiner Person vertraut zu machen und mit ihm zu reden. Nur ist dessen jüngster Besuch über Gebühr politisch hochgepuscht worden. Daher hat auch Außenminister Steinmeier den Dalai Lama zu Recht nicht empfangen.

Wurden im Ausschuss kritische Fragen an den Dalai Lama gestellt?

Es waren mehrheitlich kritische Fragen. Es ging zum Beispiel darum, was der Dalai Lama unter der Souveränität Chinas und Tibets sowie dem Begriff Autonomie versteht, wie er den Begriff kulturelle Identität auslegt, für wen er spricht.

Gab es darauf befriedigende Antworten?

Für mich nicht. So hat der Dalai Lama zwar ausgeführt, dass die Konfliktlösung in Gesprächen zwischen chinesischer Regierung und Tibetern erfolgen muss. Das ist richtig. Aus der Antwort auf meine Nachfrage, wer »die Tibeter« konkret seien, war jedoch ersichtlich, dass der Dalai Lama für alle sechs Millionen Tibeter sprechen will, die in unterschiedlichen chinesischen Provinzen leben. Reale Autonomie aber, die dann auch genau definiert werden muss, kann man nur für ein genau abgegrenztes Gebiet fordern. Es geht aber offensichtlich nicht nur um die Region Tibet, sondern um alle Tibeter in China. Und das ist eine ganz andere Dimension.

Sie selbst haben Tibet besucht und fordern, »über weitere Formen kultureller und politischer Autonomie nachzudenken«.

Man muss klar über Standards sprechen, die man einer Minderheit - im Falle Tibets einer Mehrheit - einräumen muss. So müsste die Sprache, die in einem Gebiet mehrheitlich gesprochen wird, als Amtssprache anerkannt werden. Auch die religiöse Freiheit, die sich natürlich in einem rechtlichen Rahmen bewegen muss, gehört zu jeder vernünftigen, entwickelten Gesellschaft. Hinzu kommt selbstverständlich die Gleichberechtigung bei Bildung und Arbeit. Nicht zuletzt geht es auch darum, einen vernünftigen Umgang mit der Geschichte Tibets zu finden. Gerade im Westen gibt es in dieser Hinsicht viel Verklärung und die verbreitete Auffassung, das Mönchssystem in Tibet sei gewaltfrei. Aber die tibetische Geschichte, und auch die Herrschaft der Lamas, war grausam und blutig.

Welche Position hat die LINKE zu Bestrebungen, Olympia zu nutzen, um auf den Tibet-Konflikt aufmerksam zu machen?

Ich bin strikt gegen ein solches Vorgehen. Man würde den Belangen der Tibeter einen schlechten Dienst erweisen, wenn man die Olympischen Spiele so instrumentalisiert.

Fragen: Uwe Sattler

Neues Deutschland, 21. Mai 2008