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Katastrophale Menschenrechtslage in Syrien

Im Wortlaut von Annette Groth,

Die 107-jährige Syrerin Sabria Khalaf hat es geschafft: Nach Monaten der Flucht konnte sie endlich ihre Familie, ebenfalls aus Syrien geflüchtet, in Holldorf bei Vechta wiedersehen. Auf dem Arm hat sie ihre zweijährige Urenkelin Sunar.                               Foto: Wiebke Diehl

 

Von Annette Groth, menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 

Die Gewalt in Syrien ist am 15. März ins vierte Jahr gegangen. Ihr sind bereits über 140.000 Menschenleben zum Opfer gefallen. Die Unabhängige Internationale Untersuchungskommission für Syrien zeichnet in ihrem siebten Bericht ein Bild des Grauens. Die menschenrechtliche Lage ist in allen Teilen Syriens katastrophal, die Bevölkerung ist faktisch nirgends sicher vor Mord, Anschlägen, Folter und Entführungen.

Alle Konfliktparteien machen sich schwerster Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig. Sowohl körperliche als auch verbale Folter ist an der Tagesordnung. Sexuelle Gewalt richtet sich insbesondere gegen Homosexuelle, Frauen und Mädchen. Während die Regierung auch Wohngebiete bombardiert, sind islamistische Gruppen wie Jabhat al-Nusra und Islamischer Staat im Irak und der Levante (ISIS) verstärkt zu Selbstmordattentaten und der Platzierung von Autobomben übergegangen. Die zahlreichen oppositionellen Gruppen setzen seit mindestens eineinhalb Jahren Kindersoldaten ein.

Einer ganzen Generation die Zukunft geraubt

Hunger wird als Waffe eingesetzt. Es gibt Dörfer, in die aufgrund ihrer Abriegelung seit Mitte 2012 keine Lebensmittel und Medikamente gebracht werden konnten, etwa eine Million Kinder sind dadurch ohne jede humanitäre Hilfe. Der Zugang zum palästinensischen Flüchtlingslager Yarmouk bei Damaskus wurde sowohl durch Regierungstruppen als auch von innen durch islamistische Kämpfer versperrt.

Unzählige Menschen wurden verschleppt. Ihre Verwandten wissen nicht, ob sie noch am Leben sind oder in einem der vielen Gefängnisse unter unmenschlichen Haftbedingungen und oft unschuldig festgehalten werden. Auch Kinder werden eingesperrt.

In Syrien und in den Flüchtlingslagern der Nachbarländer wird eine ganze Generation ihrer Zukunft beraubt. Minderjährige Mädchen werden gegen Geld verheiratet. Im Libanon verkaufen syrische Flüchtlinge ihre Organe, um sich und ihre Familien über Wasser zu halten. Laut einem im Januar erschienenen Bericht der Vereinten Nationen sind syrische Kinder in einigen Regionen Syriens bereits seit 18 Monaten nicht mehr zur Schule gegangen. Erstmals seit 14 Jahren sind in Syrien wieder Fälle von Polio aufgetreten.

Durch den Bürgerkrieg in Syrien sind inzwischen 9 Millionen Menschen vertrieben worden, mehr als 40 Prozent der syrischen Bevölkerung musste ihre Häuser verlassen, mindestens die Hälfte davon sind Kinder. 6,5 Millionen sind im eigenen Land vertrieben, 2,5 Millionen ins Ausland geflohen. Damit handelt es sich derzeit um das weltweit größte Flüchtlingsdrama.

Sabria hatte Glück

Ich konnte am 17. März die 107-jährige Syrerin Sabria Khalaf am Düsseldorfer Flughafen in Empfang nehmen, nachdem ich den Bundespräsidenten in einem Brief darum gebeten hatte, eine schnelle und unbürokratische Zusammenführung von Frau Khalaf mit ihren 76 in Deutschland lebenden Verwandten zu ermöglichen. Sabria war gemeinsam mit ihrem Sohn als Angehörige der religiösen Minderheit der Jeziden vor islamistischen Kämpfern aus Syrien geflohen und von der griechischen Küstenwache aus Seenot gerettet worden.

Aber über die Freude darf nicht vergessen werden, dass viele andere Familien vergeblich auf ein Wiedersehen warten. Und viele Hunderte Flüchtlinge schaffen es nicht nach Italien oder Griechenland, weil ihre Boote nicht seetauglich sind oder sie gar von der Küstenwache zurück ins Meer und damit in den sicheren Tod gestoßen werden. Sabria und ihr Sohn haben großes Glück gehabt.

Die Europäische Union und die Bundesregierung müssen endlich ihrer Verantwortung gerecht werden. Laut UNHCR sind weniger als vier Prozent der syrischen Flüchtlinge nach Europa gelassen worden, während die politisch ohnehin fragilen Nachbarländer die große Bürde fast allein tragen müssen. Dort nehmen die sozialen und politischen Spannungen rasant zu, insbesondere im Libanon, wo bereits heute jeder Vierte syrischer Flüchtling ist. In den Nachbarländern ist die Versorgung mit sauberem Wasser nicht mehr sichergestellt.

Versorgung der notleidenden Menschen sicherstellen

Die Bundesregierung muss die für humanitäre Hilfe in Syrien und den Nachbarländern zur Verfügung gestellten Mittel deutlich erhöhen. Hat die Bundesregierung 2013 noch 200 Millionen Euro Sondermittel für Syrien bereit gestellt, sieht der vorläufige Haushalt für 2014 nur 80 Millionen Euro vor. Die Bundesregierung muss dafür Sorge tragen, dass dem Grundsatz der Neutralität Rechnung getragen wird und allen Menschen gleichermaßen Hilfe zugute kommt, unabhängig von ihrer politischen Zugehörigkeit und davon, unter wessen Kontrolle die jeweiligen Gebiete stehen.

Es kann in Syrien nur durch Verhandlungen, in die alle beteiligten Akteure und Staaten einbezogen werden, eine Lösung gefunden werden. In einem allerersten Schritt muss die Versorgung der notleidenden Menschen über humanitäre Korridore sichergestellt und die Verfahren zur Familienzusammenführung deutlich erleichtert werden.

linksfraktion.de, 21. März 2014