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In die Mottenkiste der Gesundheitspolitik gegriffen

Nachricht von Birgit Wöllert,

Bericht von der Anhörung zum Entwurf eines Präventionsgesetzes am 22.04.2015 im Gesundheitsausschuss des Bundestages

Foto: DBT/Simone M. Neumann

 

„Kein Gesetz kommt so aus dem Bundestag heraus, wie es hineingekommen ist" – dass dieses „Strucksche Gesetz“ Anwendung fände, wäre besonders in Bezug auf das Präventionsgesetz der Großen Koalition ausgesprochen wünschenswert, denn spätestens in der gestrigen Expertenanhörung im Gesundheitsausschuss wurde klar: Hier gibt es nicht nur Änderungsbedarf, das Gesetz verfehlt das Ziel der Gesundheitsförderung komplett.

Lebensbedingungen in den Blick nehmen statt individuelles Gesundheitsverhalten

Professorin Beate Blättner, Hochschule Fulda und stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Public Health, formulierte ihre Enttäuschung. Auf die Frage von Birgit Wöllert, Obfrau für die Fraktion DIE LINKE im Gesundheitsausschuss, ob das Gesetz dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand und internationalen Abkommen entspräche, betonte sie, dass die Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung auf einem völlig anderen Verständnis von Gesundheitsförderung beruhe. Ein Präventionsgesetz müsse die Lebensbedingungen in den Blick nehmen – etwa angemessene Wohnbedingungen, gute und planbare Arbeit, ein gutes Einkommen, Frieden, Bildung und Umwelt, und nicht das individuelle Gesundheitsverhalten. Der von der Großen Koalition vorgelegte Gesetzesentwurf sei ungenügend – und das sei umso unverständlicher, da die Charta nicht neu sei, sondern aus dem Jahr 1986.

»Gesundheitsförderung heißt: Armut bekämpfen.«

Entscheidend für ein gesundes Alter und eine hohe Lebenserwartung ist immer noch der soziale Status. Professor Rolf Rosenbrock, Gesundheitswissenschaftler und Vorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, stellte klar: „Gleichheit ist Glück. Gesellschaften, in denen die soziale Ungleichheit niedrig ist, haben weniger kranke Menschen, weniger Übergewicht und eine längere Lebenserwartung. Gesundheitsförderung heißt: Armut bekämpfen.“ Doch die Regierung greift lieber in die Mottenkiste der Verhaltensprävention: Bonus-Programme der Krankenkassen und die Möglichkeit für Ärztinnen und Ärzte, Präventionsempfehlungen auszustellen.

Die Rechnung zahlen die gesetzlich Versicherten – allein

Die Kosten werden einseitig den Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen aufgebürdet. Die Vertreter der Gewerkschaften und der Sozialverbände kritisierten: Seitdem der Arbeitgeberbeitrag eingefroren wurde, hat der Gesetzgeber die Spendierhosen an. Präventionsleistungen führen zu höheren Zusatzbeiträgen für die Versicherten. Auch die private Krankenversicherung wurde nicht verpflichtend beteiligt.

»Wünschenswert wäre ein eigenes Sozialgesetzbuch für Gesundheitsförderung«

Die Regierungen sind in der politischen Verantwortung, der sozial bedingten Ungleichheit von Gesundheitschancen entgegenzuwirken. So wurde es erneut im Juni 2013 im Statement der Weltgesundheitskonferenz in Helsinki verabschiedet. Im Gesetz der Großen Koalition findet sich dies nicht wieder. Professor Rolf Rosenbrock forderte deshalb wie DIE LINKE in ihrem Antrag eine gesundheitsförderliche Gesamtpolitik. „Wünschenswert wäre ein eigenes Sozialgesetzbuch für Gesundheitsförderung. Das hätte zwar die Unglückszahl XIII, würde aber Schnittstellenprobleme beheben und Prävention den gleichen Rang wie Pflege, Reha und Medizin einräumen.“

Herbe Kritik am Gesetz auch aus Reihen der Unions-Sachverständigen

Lange Gesichter gab es in den Reihen der Unionsabgeordneten, denn selbst die eigenen Sachverständigen äußerten herbe Kritik. Der von der Union befragte Sachverständige Dr. Erhard Siegel, Vorstand der Deutschen Diabetes Gesellschaft, verwies ebenfalls auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Bedeutung der Umweltbedingungen bei der Entstehung von Krankheiten und kritisierte, dass die Regierung den seit Jahren international geforderten Paradigmenwechsel zur Verhältnisprävention nicht vornimmt.

Was die SPD einst kritisiert hat, legt sie nun unverändert selbst vor

Die SPD bekam kräftige Kritik für die unzulängliche Machart des Gesetzes. Dies ist umso brisanter, da die SPD das in der letzten Wahlperiode von Schwarz-Gelb eingebrachte Gesetz vehement kritisiert und das Inkrafttreten mit den Stimmen der SPD-regierten Länder im Bundesrat zu Fall gebracht hatte. Nun – selbst in der Regierung – legt sie ein beinahe identisches Gesetz vor. Ein typischer Fall von „Vor der Wahl links blinken, nach der Wahl rechts abbiegen“. Gerechte Gesundheit sieht anders aus und ist bei der Fraktion DIE LINKE in besseren Händen. Denn leider ist nicht zu erwarten, dass die Koalition den Entwurf trotz dieser massiven Kritik der Sachverständigen noch nennenswert ändern wird. Das Strucksche Gesetz wäre damit wieder einmal widerlegt – traurig genug durch die SPD selbst.

 

linksfraktion.de, 23. April 2015