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Herr der Wirrungen

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Zwölfzweiungzwanzig, Zu Gast bei Ingo Kahle: Oskar Lafontaine, Partei- und Fraktionschef DIE LINKE

Die Linke im deutschen Parteienspektrum

In dem Gespräch wird zunächst die These Oskar Lafontaines kritisch hinterfragt, wonach Deutschland seine Steuern lediglich auf den europäischen Durchschnitt anheben müsse, um alle gekürzten Sozialleistungen wieder finanzieren zu können. Außerdem geht es darum, inwiefern der Sozialstaat seine eigenen Probleme produziert, indem er z.B. dafür sorgt, dass Kinder in den Unterschichten als Einkommensquelle dienen. Im zweiten Teil geht es dann allgemeiner um die Partei "Die Linke" und das Verhältnis ihres Vorsitzenden Oskar Lafontaine zur SPD.

Hier ein Wortlautauszug:

Kahle: Verstehen Sie mich nicht falsch: ich will nicht zu Psychologisieren anfangen. "Ist fürs Feuilleton", sagen Sie dann immer. Der Kollege Markus Feldenkirchen schrieb im Juli 2005 im "Spiegel" über Sie, Sie hätten wenige Wochen nach Ihrem plötzlichen Rückzug vom SPD-Vorsitz und aus dem Amt des Bundesfinanzministers Ihren Freunden erzählt, wie sehr Sie vor allem bereuten, dass Sie den SPD-Parteivorsitz aufgegeben hätten. Er zitierte Ihren alten Freund Reinhard Klimmt: "Er hat sich diesen einen Fehler nie verziehen." Und er berichtete über einen Leseabend in Bad Harzburg, wo Sie gesagt hätten: "Es war eine Entscheidung, die mir sehr schwer gefallen ist, an der ich sechs Jahre gewürgt habe." Für mich ist eigentlich nur interessant - und diese Frage wird ja auch in Ihrer Partei gestellt, ob es trotz dieses Hintergrundes - "Sie haben hingeworfen! - richtig ist, so auf die SPD einzudreschen, dass eine Koalition immer schwieriger wird.

Lafontaine: Es ist natürlich so, dass die Vergangenheit bei den Entscheidungen heute auch eine Rolle spielt. Um das aufzugreifen: es ist richtig, dass ich mir lange Zeit Vorwürfe gemacht habe, dass ich den SPD-Vorsitz abgegeben habe, und mir die Frage gestellt habe, wäre es nicht doch besser gewesen, diese Arbeit fortzuführen. Nur führt das heute zu nichts mehr. Heute sind wir konfrontiert mit einer Situation, die heißt: Rente mit 67 oder zu Deutsch: Rentenkürzung. Lohnsenkungen auf breiter Front, Telekom ist das letzte Beispiel. Oder Kürzungen sozialer Leistungen. Da ist Hartz IV das große Beispiel. Und als verantwortlicher Politiker versuche ich, darauf Antworten zu geben. Und wenn die SPD diese Fehlentscheidungen mitzuverantworten hat, kann ich sie aus meiner Kritik nicht ausnehmen. Aber ich beziehe in diese Kritik immer die anderen Parteien mit ein, denn sie waren alle beteiligt. Deswegen sage ich manchmal Hartz-IV-Parteien, wenn ich die vier anderen Parteien im Bundestag charakterisieren will, um den Hörerinnen und Hörern deutlich zu machen, dass sie alle auf diesen Sozialabbau setzen und überzeugt sind, er sei unvermeidbar.

Kahle: Es geht ja in der Diskussion in Ihrer Partei, wenn ich das richtig verstanden habe, darum, wie konfrontativ man mit der SPD umgeht. Manche sagen: "wir dürfen nicht so unrealistische Politikangebote unterbreiten ...

Lafontaine: ... das hatten wir ja gerade widerlegt. (Hinweis: Er bezieht sich hier auf den ersten Teil der Sendung.) Das sind Leute, die die Prozentrechnung nicht beherrschen, auch wenn sie aus der eigenen Partei kommen.

Kahle: Ja gut, das war jetzt Ihr Co-Vorsitzender, der das gesagt hat. Lothar Bisky.

Lafontaine: ... der hat das bestimmt nicht auf unsere Forderungen bezogen…

Kahle: ... er hat gesagt, "wir können" ...

Lafontaine: ... darf ich jetzt meinen Satz zu Ende bringen?

Kahle: Nein, das Zitat müssen Sie sich schon anhören:

Lafontaine: Ja, bitte.

Kahle: "Wir können dauerhaft zweistellig werden, wenn wir die Bodenhaftung behalten und nicht abheben und wenn wir ganz realistische Politik-Angebote unterbreiten."

Lafontaine: Ja selbstverständlich. Das ist ja auch meine Auffassung. Aber Sie hatten das vorhin so hingestellt, als hätte er damit sagen wollen, wir machen Angebote, die nicht realistisch sind. Als hätte er also unsere Initiativen im Deutschen Bundstag als nicht realistisch hingestellt und das ist natürlich, wie ich aus vielen Gesprächen mit ihm weiß, nicht seine Meinung. Und ich habe Ihnen ja vorhin die finanziellen Berechnungen vorgestellt und sage noch einmal: jeder neoliberale Professor ist aufgerufen, sie zu widerlegen.

Kahle: Aber ich bleibe bei dem Kurs oder der Kursbestimmung der Partei. Es gibt ja Diskussionen darüber, wie man mit der SPD umgehen soll. Es gibt die Pragmatiker, die manches anders sehen als Sie. Wie gesagt, nicht so einen konfrontativen Kurs. Sie setzen den eher fort. Warum?

Lafontaine: Wir wollen Politik verändern. Und wir verändern derzeit auch Politik. Auch wenn es noch nicht jeder bemerkt hat. Nehmen wir mal die Außenpolitik. Die Tatsache, dass Grüne und SPD jetzt darüber diskutieren, ob man sich nicht aus den Kampfeinsätzen verabschieden soll, man nennt diesen Einsatz "Operation Enduring Freedom", oder ob man nicht doch die Tornados wieder zurückrufen soll, ist auch wesentlich ein Ergebnis unserer Politik. Denn ohne das Aufkommen der Linken sähe die Diskussion anders aus. Allerdings wird das von diesen Parteien sicherlich bestritten werden. Aber viele journalistische Beobachter sehen das so. Oder zweitens: Dass jetzt in der Sommerpause alle Parteien über Leistungsverbesserungen für Hartz IV diskutiert haben, oder über Leistungsverbesserungen bei Bafög-Beziehern oder über Erhöhungen des Kinderzuschlages, um die Kinder-Armut zu bekämpfen, ist ein Ergebnis unserer Arbeit. Denn sie sagen sich alle, wenn Die Linke weiter stark wird, geht das zu unseren Lasten. Also müssen wir versuchen jetzt auf die Themen der Linken einzugehen. Eine große Bestätigung unserer Politik war die Berichterstattung einer großen Zeitung in der Sommerpause, in der festgestellt wurde, dass alle konkreten Vorschläge, die wir machen, von einer großen Mehrheit der Bevölkerung getragen werden. Ein besseres Zeugnis kann eigentlich eine Partei nicht haben. Ich habe das auch noch nie erlebt, dass eine relativ kleine Partei, wie es Die Linke ja immer noch ist, sie wird jetzt bei 10 bis 13 Prozent gehandelt, dass sie in den Zeitungen das Zeugnis bekommt, ihre Forderungen werden auch von zwei Dritteln der Wählerinnen und Wähler der so genannten Volksparteien, also von CDU und SPD getragen. Das habe ich in meinem politischen Leben noch nicht erlebt. Insofern hat dieser Kurs eine hohe Bestätigung in der Bevölkerung und hat gar nicht so sehr etwas damit zu tun, wie wir die SPD behandeln. Es ist ein Kurs, der sich abgrenzt von allen anderen Parteien und das ist ja Aufgabe einer Partei. Denn Partei kommt von dem Wort "Pars", heißt also Teil des Ganzen. Und wir vertreten eben einen Teil der Bevölkerung, aber wenn ich mich jetzt an den Meinungen, die ich gerade zitiert habe, orientiere, einen großen Teil der Bevölkerung, nämlich Rentner, Arbeitnehmer und diejenigen, die soziale Leistungen empfangen.

Kahle: Aber Sie wollen ja auch regieren, um das, was Sie planen und fordern, umzusetzen. Manche sagen, Ihr Ziel ist die Wiedervereinigung der beiden Parteien möglichst unter Ihrer Führung. Die Debatte über Koalitionen wird geführt. "Nicht im Bund, nicht im Westen" sagt Kurt Beck. Es gibt durchaus viele andere Stimmen in der SPD. Und das bringt mich zu der Frage, Herrr Lafontaine, die ich mit einem Zitat von Ihnen im "Spiegel" einleiten will. Da haben Sie gesagt: "Wenn unsere inhaltlichen Forderungen erfüllt würden - wäre ich bereit, mich persönlich sehr zurückzunehmen. Ich möchte die Politik korrigieren (haben Sie jetzt auch gesagt) aber ich habe nicht mehr die Absicht noch einmal ein Bundesministerium zu führen." Könnte es sein, dass die Erkenntnis, wonach das größte Hindernis für ein schnelles Bündnis von SPD und der Linken Oskar Lafontaine heißt? Dass diese Erkenntnis bei Ihnen schneller reift, als Sie es jetzt vielleicht wahr haben wollen?

Lafontaine: Richtig an diesem Satz ist, dass ich nun in einer Lebensphase bin, in der man keine Ämter mehr anstrebt oder Posten, Ministerposten oder so etwas. Das ist vielleicht das Ziel eines jungen Mannes, der Karriere machen möchte oder vielleicht auch eines Mannes im mittleren Lebensalter. Wenn man aber in meinem Alter ist hat man andere Ziele. Ich möchte noch dazu beitragen, dass sich Politik verändert. Das Hindernis für ein Zusammengehen zwischen SPD und Linken ist nicht Oskar Lafontaine. Das habe ich ja vorhin schon gesagt. Das Hindernis ist Hartz IV und die Rente mit 67. Das Hindernis ist die Beteiligung an völkerrechtswidrigen Kriegen. Das Hindernis ist die Verweigerung der Beseitigung der Kinder-Armut. Also ich könnte das jetzt endlos fortsetzen. Das heißt: wir sind wirklich, obwohl das heute kaum noch Mode ist, so möchte ich mal sagen, eine Gruppe, die Politik verändern will. Und sobald die SPD eine Politik macht, die teilweise in wichtigen Fragen mit unseren Zielen wieder übereinstimmt, sind wir Bündnispartner. Solange die SPD eine Politik macht, die wir total ablehnen, wie auch die große Mehrheit der Bevölkerung sie ablehnt, und die eigene Mitgliedschaft sie ablehnt, kommt die SPD für uns als Bündnispartner - da sind wir uns alle einig - nicht infrage.

Kahle: Auf der anderen Seite sitzt zum Beispiel Martin Schulz. Der hat eigentlich ein ganz vernünftiges Verhältnis im Europaparlament zu Ihren Kolleginnen und Kollegen von der Linken. Der sagt "Wenn der Alt-Männer-Geruch von Leuten wie Oskar Lafontaine und Ulli Maurer erstmal weg ist, warum sollen die für uns nicht koalitionsfähig sein?"

Lafontaine: Gut. Herr Schulz ist sicherlich ein wichtiger Mann. Ich habe ihn nicht so kennen gelernt als Parteivorsitzender, aber er spielt jetzt eine Rolle im Europaparlament. Das ist die übliche Polemik zwischen politischen Gegnern, die mich nicht juckt, um es mal deutlich zu sagen.

Kahle: Haben Sie eigentlich wirklich, ich will das abschließend noch einmal aufgreifen, tatsächlich den Traum, die Linke und die SPD unter Ihrer Führung wieder zu vereinigen? Die Unterschiede sind ja nicht so fundamental wie sie beispielsweise zwischen einer SED im Nachkriegsdeutschland und einer SPD im Nachkriegsdeutschland waren.

Lafontaine: Ich durchdenke ja solche Fragen in alle Richtungen. Auch die Fragen der Regierungsbeteiligung. Auch die Frage, ob ich noch irgendwo eine Funktion übernehme. Und ich muss ja eine in sich schlüssige Antwort geben. Und diese schlüssige Antwort ist eben: ich möchte die Politik verändern. Das möchte ich noch einmal an den Anfang stellen. Und die Frage eben eines Zusammengehens, ob als Regierungspartner oder ein Traum von einem Zusammenschluss von zwei Parteien, zwischen SPD und der Linken, die stellt sich so lange überhaupt nicht, so lange diese fundamentalen Unterschiede in der Politikauffassung bestehen. Ich nenne Sie noch einmal konkret, dass jeder sie nachvollziehen kann: Die SPD steht für die Rente mit 67 - das ist Rentenkürzung. Die SPD steht für Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich - das ist Lohnkürzung - oder Sie können auch sagen Lohnnebenkostensenkung ist auch Lohnkürzung. Und die SPD steht eben für Hartz IV und damit für die Enteignung älterer Arbeitnehmer, die ja - um das Beispiel zu nennen - als über fünfzigjährige Durchschnittsverdiener 60-tausend Euro in die Arbeitslosenkasse einbezahlt haben und nur 10-tausend zurückbekommen, wenn sie arbeitslos werden. Und sie steht für völkerrechtswidrige Kriege. Das sind solch fundamentale Unterschiede, dass diese Fragestellung eben keine Relevanz hat.

Kahle: Wie viel Zeit geben Sie sich eigentlich für den Prozess, den Sie jetzt beschreiben - 2009 - 2013. Dann sind Sie 70?

Lafontaine: Ich sagte ja, unser Ziel ist Politik zu verändern. Und ich wies vorhin darauf hin, dass wir die Politik verändern. Sie werden das schon bei den Abstimmungen sehen im Deutschen Bundestag über die Afghanistan-Frage. Kurt Beck hat gesagt: "Die Zeit der Zumutungen ist vorbei". Er meinte damit, solche Geschichten wie die Rente mit 67 oder Hartz IV und die Agenda 2010 werden wir nicht mehr machen. Sie sehen: wir verändern die deutsche Politik.

Kahle: Auf die Frage, wie viel Zeit geben Sie sich noch, bekomme ich also keine Antwort?

Lafontaine: Doch. Die kann ich Ihnen ganz kurz beantworten. Das hängt von meiner Gesundheit ab.

rbb inforadio, 15. September 2007