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Hartz-Rücknahme machbar

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Oskar Lafontaine über die neue Linke, den Sozialismus und ein Schreckgespenst

Weder der Staat noch die Wirtschaft dürfen zu viel Macht haben - das sagt Oskar Lafontaine, der Vorsitzende der Partei Die Linke. Er spricht außerdem über seine Rolle als Schreckgespenst der SPD, Politik-Gestalter und seine Zukunftspläne.

Sie und die Linke sind das größte denkbare Polit-Schreckgespenst. Was ist Teil 2 Ihres Plans?

Oskar Lafontaine: Wir wollen die jetzige Politik verändern. Entscheidend sind der gesetzliche Mindestlohn, eine andere Rentenformel, die Rücknahme von Hartz IV, der Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Wir freuen uns, dass das viel Zuspruch findet.

Dafür nehmen Sie die Rolle des Schreckgespenstes gern in Kauf?

Wenn wir für die anderen Parteien ein Schreckgespenst sind, können wir ihnen nicht weiterhelfen. Für viele Wählerinnen und Wähler sind Sozialabbau und Krieg Schreckgespenster.

Sie als linker Populist sagen: Freiheit durch Sozialismus. Der Populist von der FDP-Seite, Guido Westerwelle, kontert mit der alten CSU-These: Freiheit statt Sozialismus. Ist das die populistische Zangenbewegung?

Wir verstehen unter Sozialismus nicht den erledigten Staatssozialismus, mit dem sich der rückwärts gewandte Guido Westerwelle auseinandersetzt. Wirtschaftliche Macht muss kontrolliert und deren Ausübung verhindert werden. Am früheren Sozialismus kritisieren wir die fehlende Machtkontrolle. Für uns ist jetzt die Machtkontrolle im Zentrum unserer politischen Arbeit. Weder Staat noch Wirtschaft dürfen zu viel Macht haben. Die Beschränkung der Macht der Wirtschaft unterscheidet uns von Westerwelles FDP.

Wer so wie Sie über den Sozialismus redet, der kann das nur, weil er ihn real existierend nicht selbst am eigenen Leib erlitten hat. Verstehen Sie, dass Ostdeutsche das anders als Sie sehen?

Ja und nein. Ja, weil viele damit das System der DDR verbinden. Dieses System war weder demokratisch noch sozialistisch. Nein, weil immer mehr Menschen erkennen, dass wir mit dem gegenwärtigen System nicht weiterkommen, weil es ausgrenzt, ausbeutet und entfremdet, wie Papst Johannes Paul II. sagte.

Ihre Drohung, Kurt Beck zum Bundeskanzler mitzuwählen, hat die SPD derart aufgeschreckt, dass sich die Spitze am Wochenende versammelt, um eine einheitliche Sprachregelung zu finden. Lügt Beck, wenn er sagt, mit Ihnen geht gar nichts oder ist er einfach nur naiv?

Ich kann Becks Gedanken nicht nachvollziehen. Er behauptet beispielsweise, nachdem er mit der CDU den Mindestlohn nicht verwirklichen kann und er so mitverantwortlich ist für die millionenfache Ausbeutung in Deutschland, dass er mit der FDP dieses Ziel erreicht. Das möge er doch bitte den SPD-Mitgliedern und den Wählerinnen und Wählern erklären.

Lügt Beck oder ist er naiv?

Er ist ein ratloser Stratege. So wie jetzt bei uns, hat sich die SPD auch schon mal gegenüber den Grünen und dann gegenüber der PDS verhalten. Aus ihren alten Fehlern und Misserfolgen lernt die SPDFührung nichts.

Ist das schon Politik-Gestaltung, wenn die Linke einfach Gewerkschaftsprogramme abschreibt?

Einspruch. Die Gewerkschaftsforderung nach einem Mindestlohn von 7,50 Euro ist nicht mehr zeitgemäß. Selbst der konservative französische Präsident Sarkozy tritt für 8,44 Euro ein. Da sind wir ganz bei dem.

Irgendwann wird die Linke ihre Forderungen auch umsetzen müssen. Dann kommt der große Frust.

Viele unserer Gegner sagen, die Forderungen der Linken sind nicht finanzierbar. Hätten wir eine Steuer- und Abgabenquote, die dem europäischen Durchschnitt entspräche, dann stünden 140 Milliarden Euro Mehreinnahmen für die öffentlichen Kassen zur Verfügung. Keine einzige soziale Kürzung der letzten Jahre war notwendig.

Das wäre dann schon der Einstieg in Ihren Sozialismus?

Nein. Mindestlohn, die Abkehr von der Rente mit 67, die Rücknahme von Hartz IV sind jetzt machbar und zu finanzieren. Das ist nichts Revolutionäres. Die Rückkehr der Bundeswehr aus Afghanistan hat nichts mit dem langfristig notwendigen Systemwechsel zu tun. Wir reden jetzt über kurzfristige Vorstellungen. Dafür wissen wir eine Mehrheit der Bevölkerung hinter uns.

Sie nennen Ihren Abzug aus der SPD selbst einen Fehler. Können Sie sich vorstellen, wieder einmal in die SPD zurückzukehren?

Die SPD hat leider ihre Grundsätze aufgegeben. Sie war unter Willy Brandt die Partei der sozialen Gerechtigkeit und des Friedens. Sie ist jetzt die Partei des Sozialabbaus und der Beteiligung an völkerrechtswidrigen Kriegen. Diese Partei muss sich grundsätzlich ändern.

Dann träten Sie wieder ein?

Die SPD hat sich nicht nur in der Führung, sondern auch auf der mittleren Funktionärsebene sehr stark geöffnet für neoliberale Politikvorstellungen. Daher hat Ihre Fragestellung keine reale Grundlage.

Würden Sie ins zweite Glied zurücktreten, wenn eine linke Regierung am Ende an der Person Lafontaine zu scheitern drohte?

Mir kommt es auf die Durchsetzung politischer Ziele an. Ämter strebe ich nicht mehr an.

Sie würden einer Links-Regierung nicht im Wege stehen?

Wenn die Inhalte der Koalitionsvereinbarung stimmen, bin ich zufrieden und stehe niemandem im Wege.

Beck oder Müntefering können also ruhig schlafen?

Mir kommt es auf die Durchsetzung politischer Ziele an. Andere Sorgen plagen mich nicht. Auch nicht der Schlaf von Müntefering oder von Beck.

Interview: Dieter Wonka

Leipziger Volkszeitung, 7. Juli 2007