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Mehrfamilienhäuser im Plattenbau-Stil mit einem roten Sonnenschirm auf einem Balkon © iStock/deepblue4you

Hartz IV: Wohnkostenlücke steigt weiter an

Nachricht von Jessica Tatti,

Aufgrund der Corona-Sonderregelungen werden seit Mitte 2020 neu in die Grundsicherung kommende Haushalte für sechs Monate vor einem Kostensenkungsverfahren geschützt. Daher übernehmen die Jobcenter für insgesamt mindestens ein Jahr die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung. Trotzdem mussten auch in 2021 mehr als 15 Prozent aller Bedarfsgemeinschaften einen Teil ihrer Miet- und Heizkosten selbst tragen. Das zeigt die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von Jessica Tatti.

Jessica Tatti, Sprecherin für Sozial- und Arbeitsmarktpolitik der Fraktion DIE LINKE: „Viele Menschen in Hartz IV müssen aus dem Regelsatz Miet- und Heizkosten mitfinanzieren, obwohl das so nicht gedacht ist. Davon sind knapp 400.000 Haushalte, also fast jede sechste Bedarfsgemeinschaft betroffen. 2020 mussten durchschnittlich 86 Euro je Monat draufgelegt werden. 2021 waren es schon 91 Euro, bei Familien mit Kindern sogar 106 Euro. Für dieses Jahr braut sich eine dramatische Verschlechterung dieser ohnehin angespannten Situation zusammen. Vor allem bei den Heiz- und Nebenkosten droht durch die Inflation ein Desaster. Eigentlich müssten die Jobcentern die gestiegenen Heizkosten übernehmen, aber viele Kommunen haben die Preisentwicklung noch nicht in ihre Richtlinien eingepreist. Das muss jetzt schnell geschehen. Der Bund muss jetzt dafür sorgen, dass die vollen Heizkosten übernommen werden. Ich fordere die Bundesregierung auf, sofort bundesweite Standards für die volle Übernahme von Wohn- und Heizkosten einzuführen. Sonst droht ein kalter Winter der Angst für Menschen in Hartz IV - und eine heiße Saison für Sozialgerichte, die für tausende Menschen Schulden und Energiesperren abwenden müssen.

Die mit dem Bürgergeld geplante zweijährige volle Anerkennung von Wohnkosten bei Neuanträgen ist dabei ein enorm wichtiger Schritt, der eine Forderung der Linksfraktion umsetzt. Das hilft aber nicht denen weiter, die bereits jetzt Monat für Monat einen Teil ihrer Wohnkosten finanzieren müssen – von Geld, das für Essen, Strom und Kleidung gedacht ist.

Die Grenzen für Miete und Heizung müssen endlich so festgelegt werden, dass man davon auch wirklich eine Wohnung mieten und warm kriegen kann. Eine grundlegende Lösung bietet nur der massive Bau von Sozialwohnungen. Die Ampel scheitert hierbei wie vor ihr die Große Koalition und zeigt sich damit an Menschen mit wenig Geld völlig desinteressiert. Die Ampel hat noch immer nicht kapiert, was ab Herbst auf uns zukommt, wenn nicht entschlossen gegen soziale Spaltungen gehandelt wird.“

Hintergrund

Die Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung (KdUH) nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) in tatsächlicher Höhe bis zu einer „angemessenen“ Obergrenze soll das Existenzminimum beim Wohnen sichern. Die Verfahren zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen sind seit vielen Jahren Gegenstand intensiver Auseinandersetzungen. Dies bringt Rechtsunsicherheit für alle Beteiligten und die Gefahr der Unterschreitung des Existenzminimums mit sich. Im Ergebnis bestehen zwischen der Miete, die Personen im Leistungsbezug nach dem SGB II und SGB XII tatsächlich zahlen müssen, und den als angemessen anerkannten Kosten der Unterkunft und Heizung regional teilweise erhebliche Differenzen. Regelmäßig muss diese „Wohnkostenlücke“ aus dem Regelbedarf bestritten werden – oft nicht als Ausdruck individueller Prioritätensetzung, sondern schlicht, weil es keinen günstigeren Wohnraum gibt. In zahlreichen Klagen von Leistungsbezieherinnen und -beziehern stellten Sozialgerichte immer wieder fest, dass kommunale Konzepte rechtswidrig – also zu niedrig bemessen – waren. Die letzte Anfrage der Linksfraktion zur Wohnkostenlücke 2020 zeigte, dass 16,9 Prozent der SGB-II-Haushalte nicht die vollen Wohnkosten bekam, sondern einen Teil ihrer Miete – durchschnittlich 86 Euro – selbst bezahlen musste. Aktuell sind zudem die explodierenden Preise für Heizkosten in den Fokus geraten.

Zusammenfassung der Ergebnisse

Für Grundsicherungshaushalte, die in Miete leben, ergaben sich für 2021 folgende Werte:

  • 15,4 Prozent aller Bedarfsgemeinschaften bekamen nicht die tatsächlichen Ausgaben für Unterkunft und Heizung erstattet. Diejenigen, die davon betroffen waren, mussten durchschnittlich rund 91 Euro im Monat, rund 15,3 Prozent der tatsächlichen Kosten, aus Regelbedarf oder Ersparnissen selbst finanzieren.

Werden die Kosten der Unterkunft getrennt nach Miete und Heizkosten betrachtet, gilt:

  • 11,2 Prozent aller Bedarfsgemeinschaften bekamen nicht die tatsächlichen Ausgaben für die Unterkunft (Miete) erstattet. Diejenigen, die davon betroffen waren, mussten durchschnittlich rund 98 Euro im Monat, rund 21,4 Prozent der tatsächlichen Mietkosten, aus Regelbedarf oder Ersparnissen selbst finanzieren.
  • Durchschnittlich 86.000 Bedarfsgemeinschaften bekamen bereits in 2021 nicht die tatsächlichen Ausgaben für die Heizung erstattet. Diejenigen, die davon betroffen waren, mussten durchschnittlich über 34 Euro im Monat, rund 30 Prozent der tatsächlichen Heizkosten, aus Regelbedarf oder Ersparnissen selbst finanzieren.

Wird die Wohnkostenlücke getrennt nach Familienverhältnissen betrachtet, gilt:

  • 14,5 Prozent aller 1-Personen-Bedarfsgemeinschaften bekamen in 2021 nicht die tatsächlichen Ausgaben für die Unterkunft und Heizung erstattet. Diejenigen, die davon betroffen waren, mussten durchschnittlich rund 79 Euro im Monat, rund 16,7 Prozent der tatsächlichen Kosten, aus Regelbedarf oder Ersparnissen selbst finanzieren.
  • 15,5 Prozent aller Bedarfsgemeinschaften mit Kindern bekamen nicht die tatsächlichen Ausgaben für die Unterkunft und Heizung erstattet. Diejenigen, die davon betroffen waren, mussten durchschnittlich rund 106 Euro im Monat, rund 14 Prozent der tatsächlichen Kosten, aus Regelbedarf oder Ersparnissen selbst finanzieren.
  • 17,1 Prozent aller Alleinerziehenden-Bedarfsgemeinschaften bekamen nicht die tatsächlichen Ausgaben für die Unterkunft und Heizung erstattet. Diejenigen, die davon betroffen waren, mussten durchschnittlich rund 99 Euro im Monat, rund 14,3 Prozent der tatsächlichen Kosten, aus Regelbedarf oder Ersparnissen selbst finanzieren.

Die Ergebnisse im Einzelnen [PDF]