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Hartz IV-Sanktionen verstoßen gegen Menschenwürde

Nachricht,

Mit Sachlichkeit und Fakten, mit Herz und Empathie gegen Hartz-Sanktionen: Inge Hannemann.

 

90.000 Menschen haben die Petition der „Hartz-IV-Rebellin“ – wie sie mittlerweile häufig genannt wird – Inge Hannemann unterstützt, alle Sanktionen im Bereich der Grundsicherungssysteme abzuschaffen. Damit war das notwendige Quorum für eine öffentliche Anhörung zum Thema im Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages mehr als erfüllt. Am heutigen Montag hat Inge Hannemann in ruhiger und überzeugender Weise die Argumente zur Abschaffung der Sanktionen vorgetragen. Zahlreiche Betroffene haben ihr mit ihrer Anwesenheit Rückendeckung gegeben. Die Regierung allerdings blockt.

Inge Hannemann war in der Vermittlung von SGB II-Beziehenden in einem Jobcenter in Hamburg tätig. Nachdem sie ihre Kritik am Repressionssystem von Hartz IV öffentlich gemacht hat, wurde sie von ihrem Arbeitgeber „freigestellt“. Inge Hannemann will sich aber nicht kalt stellen lassen und führt derzeit einen Arbeitsgerichtsprozess auf Weiterbeschäftigung. Über Jahre hat sie praktische Erfahrungen mit dem Sanktionsunwesen bei Hartz gemacht. Mit ihrem Insiderwissen ist sie heute eine der prominesten Kritikerinnen des Hartz-IV-Systems. Ihr Wissen und ihre Erfahrungen haben sie gelehrt: Sanktionen entwürdigen die Leistungsberechtigten, produzieren Ausschluss und Elend statt Hilfe und müssen daher abgeschafft werden.

Ausführlich hatte Inge Hannemann an diesem Tag die Gelegenheit, die Position zu begründen – und das machte sie in einer ausgesprochen souveränen Art und Weise.

Die wichtigsten Argumente:

Sanktionen stellen eine Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums dar. Es ist nicht zu akzeptieren, wenn in einem reichen Land wie Deutschland Menschen – trotz anerkannter Hilfebedürftigkeit – existentieller Not bis hin zu Obdachlosigkeit ausgesetzt werden. Mit Bezug auf das Bundesverfassungsgericht führt sie aus, dass die Garantie des menschenwürdigen Existenzminimums durch die Menschenwürde und das Sozialstaatsgebot ein zwingender Auftrag an den Staat ist. Sie zitiert Passagen aus den Urteilen, wonach das Existenzminimum „stets“, „zu jeder Zeit“ zu garantieren sei und das Grundrecht „unverfügbar“ sei. Mit diesem Grundrecht ist eine Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums durch Sanktionen nicht zu vereinbaren.

Sanktionen sind, so führt es Hannemann aus, Bestrafungen für aus Perspektive des Jobcenters falsches Verhalten. Sanktionen behandeln erwachsene Menschen wie unmündige Kleinkinder, denen ein Erziehungsberechtigter sagt,  was es zu tun und zu lassen hat. Das Jobcenter wird im Auftrag des Gesetzgebers zu einem „Erziehungsberechtigten“ – eine Funktion, die dem Jobcenter in keiner Weise zukommt, denn Leistungsberechtigte sind keine unmündigen Kinder, sondern vollwertige Mitbürgerinnen und Mitbürger, deren Würde und Autonomie zu respektieren ist. Hannemann macht das Problem konkret deutlich: Leistungsberechtigte haben vielfach gute Gründe, den Anforderungen der Jobcenter immer wieder mal nicht nachzukommen: sei es die X-te als sinnlos empfundene, aber trotzdem vom Jobcenter auferlegte Maßnahme, sei es der berechtigte Widerstand gegen einen nicht existenzsichernden Job. Sie nennt dieses Verhalten die „Intelligenz der Menschen.“ Die betroffenen Menschen wissen selbst am besten, welche Maßnahmen hilfreich und nützlich sind und welche Auflagen ihrer Würde widersprechen. Statt Hilfe und Unterstützung bei ihren eigenen Anstrengungen erfahren die Menschen einen bürokratischen Apparat, der sie entwürdigt und maßregelt. „Entfremdete Hilfe“ – so ist das System jüngst zutreffend in einer wissenschaftlichen Studie bezeichnet worden. Inge Hannemann macht anschaulich, was damit gemeint ist. Es fehlt den Jobcentern massiv an Zeit und Empathie für das Eingehen auf die individuellen Nöte und Bedürfnisse der hilfeberechtigten Personen. Hilfe und Unterstützung statt Gängelung und Entwürdigung – das ist das Leitmotiv von Inge Hannemann.

Das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hält dagegen im Grundsatz das Sanktionssystem von Hartz IV für richtig. Die Mitwirkung müsse auch erzwungen werden können. Gabriele Lösekrug-Möller, Parlamentarische Staatssekretärin im BMAS, bedankt sich zwar bei der Petentin für ihr Anliegen, hält dann aber trotzdem im Kern die Sanktionsregeln und -praxis für rechtens und sachlich angemessen. Sie beschränkt sich im Kern auf die Ankündigung einer Überprüfung der konkreten Praxis durch die Bundesregierung – insbesondere bei jungen Menschen. Dies sei im Koalitionsvertrag so vereinbart.

Die Abschaffung der Sanktionen ist ein zentraler Baustein für den Aufbau einer menschenwürdigen Existenzsicherung. DIE LINKE wird den abschließenden Wunsch der Petentin, dass dieses Anliegen in dem federführenden Ausschuss für Arbeit und Soziales weiter verfolgt wird, gerne aufgreifen und umsetzen. Ein entsprechender Antrag wird bald in den Bundestag eingebracht und zur Diskussion gestellt werden. Die Abschaffung der Sanktionen wird von der LINKEN solange immer wieder innerhalb und außerhalb des Parlaments zum Thema gemacht, bis das Ziel erreicht ist.

linksfraktion.de, 17. März 2014