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Hartz IV muss weg - ohne Wenn und Aber!

Interview der Woche von Katja Kipping,

Katja Kipping, sozialpolitische Sprecherin der Fraktion, bekommt täglich Briefe, in denen die Ungerechtigkeiten von Hartz IV beschrieben werden. Sie sagt: Wer menschenwürdig, also in Freiheit leben soll, kann nicht durch Armut, Repressionen und Sanktionen existenziell unter Druck gesetzt werden. Garantierte soziale Bürgerrechte schützen vor menschenunwürdigen Zuständen. Dazu kommt: Je schlimmer die Situation von Erwerbslosen, desto eher sind die Beschäftigten erpressbar.

Seit dem 1.Januar 2004 gilt das Arbeitslosengeld II, das unter einer Rot-Grünen Regierung eingeführt wurde. Welche Erfahrungen hast Du als sozialpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE in der vergangenen Wahlperiode damit gemacht?

Ich bekomme täglich viele E-Mails und Briefe, mein Büro viele Anrufe. Die Menschen beschweren sich über Ungerechtigkeiten, Drangsalierungen in den Jobcentern, über ihre existenziellen Nöte, wenn das Geld nicht reicht. In meinem Wahlkreis in Dresden kommen viele Bürgerinnen und Bürger, die Hilfe und Unterstützung suchen. So zum Beispiel ein Mann, der in einem Ein-Euro-Job im Winter Gras unter der Schneedecke entfernen sollte. Absurd! Und im Bundestag und im Ausschuss für Arbeit und Soziales, in dem ich Obfrau der Fraktion bin, höre ich von fast allen anderen Fraktionen: Hartz IV ist eigentlich ganz gut, bis auf kleine Mängel.

Die Regierungskoalition behauptet nach wie vor, dass die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe wirtschaftlich notwendig war und dazu beitrug Deutschland zu einem modernen konkurrenzfähigen Staat zu reformieren, der den Erfordernissen des 21.Jahrhunderts entspricht.

Dass das Arbeitslosengeld und die Arbeitslosenhilfe gravierende Mängel hatten, war bekannt. Viele bekamen gar keine Leistungen, weil sie vorher nicht beitragspflichtig beschäftigt waren - besonders Frauen. Für viele waren die Leistungen zu gering, so dass sie ergänzende Sozialhilfe beantragen oder noch unter dem Sozialhilfeniveau leben mussten. Die Gewerkschaften haben deswegen Mitte der Achtziger eine Mindestsicherung in den Sozialversicherungssystemen diskutiert. Die PDS-Fraktion im Bundestag legte 1993 einen Antrag auf eine repressionsfreie Grundsicherung vor. Die Arbeitgeberverbände haben allerdings auf alle großen Parteien Druck ausgeübt und erreicht, dass die Arbeitslosenhilfe abgeschafft und die Sozialhilfe zur Hartz IV verschärft wurde.

Der Hartz IV-Regelsatz ist auf Druck der LINKEN zwar in Ost- und West angeglichen worden, aber zugleich stieg die Armut in beiden Teilen Deutschlands erheblich. Damit verbunden waren zugleich Überwachungen, Repressionen und Zwangsumzüge. Wie lässt das mit der Menschenwürde vereinbaren?

Dass jeder und jede ohne Armut und ohne Zwang zur Gegenleistung Anspruch auf eine Existenz- und Teilhabesicherung haben muss, ist ein Grundrecht, was in Deutschland, aber auch anderswo mit Füßen getreten wird. Wer menschenwürdig, also in Freiheit leben soll, kann nicht durch Armut, Repressionen und Sanktionen existenziell unter Druck gesetzt werden. Garantierte soziale Bürgerrechte dagegen schützen vor menschenunwürdigen Zuständen.

Kinder von Hartz IV beziehenden Familien sind Mitglieder der Bedarfsgemeinschaften. Das heißt, dass ihr Verdienst, durch Ferienarbeit und Geschenke erworben, als zusätzliches Einkommen angerechnet wird. Es scheint, als hätten Union und SPD von solchen Absurditäten keine Kenntnis gehabt. Tun sie nur so realitätsfern oder sind sie es tatsächlich?

Man muss sich das einmal vergegenwärtigen. Zwei Jungs jobben nebeneinander in den Ferien. Der eine hat erfolgreiche Anwälte als Eltern und bekommt sowieso vom Elternhaus ein entsprechendes Kapital - kultureller wie finanzieller Art - mit auf den Weg. Der Sohn darf den Lohn aus seinem Ferienjob behalten und kann sich davon einen schönen Urlaub leisten. Der andere hat eine alleinerziehende Mutter, die auf Hartz IV angewiesen ist. Sie kann ihm leider nicht die Klavierstunden und die neuen Turnschuhe bezahlen. Bei diesem Jungen werden die Einnahmen sofort auf die Sozialleistungen angerechnet. Er bekommt einen Teil seines schwer verdienten Geldes wieder weggenommen. Bei ihm reicht es nicht mehr für eine Fahrt mit den Freunden.

DIE LINKE wird dieses konkrete Problem, die Anrechnung der Ferienjobs auf die Sozialleistung, im Bundestag thematisieren. Dann haben all die Politiker/-innen, die jetzt so betroffen tun, die Chance, für eine Änderung der Gesetze zu stimmen.

Das Schuljahr hat fast überall wieder begonnen SchülerInnen in Hartz IV-Haushalten werden jährlich zu Schuljahresbeginn mit 100 Euro gefördert. Allerdings ist diese Unterstützung nur bis einschließlich der 10. Klasse vorgesehen. Was heißt das für dich?

Die jetzige große Koalition musste aufgrund unserer politischen Intervention statt nur für die Schülerinnen und Schüler bis zur 10. Klasse nun auch für junge Menschen, die ihr Abitur machen, das Schulbedarfspaket fördern. Ein Erfolg für uns. Ist es aber nicht bezeichnend für Hartz IV, dass gesonderte Bedarfspakete geschnürt werden müssen, die das Minimalste sicherstellen sollen? Wäre nicht eine ausreichende Mindestsicherung angesagt, mit der das Geld für alle notwendigen Ausgaben gesichert wäre? Die gesamte Hartz-IV-Logik hat versagt.

Langzeiterwerbslose werden dazu gezwungen Ein-Euro-Jobs anzunehmen. Eine große Anzahl von Firmen nutzt dies aus, um die Löhne zu drücken, wodurch Arbeitnehmerinnen und Arbeitsnehmer zusätzliche Transfer-Leistungen beantragen müssen. Was tut Fraktion DIE LINKE dagegen?

Die Fraktion DIE LINKE hat zahlreiche Anträge für einen Mindestlohn, für die Abschaffung der Ein-Euro-Jobs und für eine öffentliche Beschäftigungsförderung (auf der Freiwilligkeitsbasis für Erwerbsarbeit Suchende und mindestens mit dem Mindestlohn vergütet) eingebracht. Die neue Fraktion wird diese Anträge wieder stellen und darüber hinaus Anträge zur sofortigen Abschaffung der Sanktionen bei Hartz IV (Streichung des Sanktionsparagrafen § 31) einbringen.

Täuscht der Eindruck, dass neoliberale Politiker eine Bugwelle von sozialen Problemen nur vor sich her schieben, statt sie anzupacken - oder ist gar deren Alternative weiterer Sozialabbau, der das Gebot der Gleichheit weiter verletzen wird?

Im Zuge von Hartz IV hat die Bereitschaft zugenommen, niedrige Löhne und ungesunde Arbeitszeiten zu akzeptieren. Viele sagen sich, ist doch immer noch besser als Hartz IV. Hier zeigt sich wieder einmal deutlich: Je schlimmer die Situation von Erwerbslosen, desto eher sind die Beschäftigten erpressbar. Das neoliberale Lied von der Leistungsgerechtigkeit unterstützt diese schlimme Entwicklung: Die Logik „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ erhöht den Druck auf Erwerblose. Im Zuge dessen sinken die Löhne. Insofern ist die Not von Erwerbslosen politisch gewollt von Neoliberalen, um freie Hand beim Lohndumping zu haben. Deswegen gilt für DIE LINKE: Die Kämpfe für die sozialen Rechte der Erwerbslosen und der Kampf für gute Arbeit gehören untrennbar zusammen.

2005 ist die Fraktion DIE LINKE angetreten mit der Forderung Hartz IV muss weg! Welches Fazit ziehst Du nach vierjähriger Tätigkeit im Bundestag und was muss aus deiner Sicht in der neuen Legislatur umgehend verändert werden?

Vier Jahre im Bundestag haben mich gelehrt, dass die Phalanx der Hartz-IV-Politikerinnen und -Politiker steht - aber auch aufzubrechen ist. Wichtig dafür - ist neben der parlamentarischen Arbeit - die außerparlamentarische Kraft der Menschen. Bürgerinnen und Bürger müssen viel direkter Zugang zur politischen Gestaltung der Gesellschaft haben. Dazu ist u. a. auch ein sozialer Bürgerrechtsanspruch auf eine Existenz- und Teilhabeabsicherung vonnöten. Hartz IV muss weg - ohne Wenn und Aber!

www.linksfraktion.de, 7. September 2009