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Hartz-IV-Leistungsberechtigte besser vor Zwangsumzügen schützen!

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Anhörung im Ausschuss Arbeit und Soziales zum Antrag der LINKEN: Mindeststandards bei der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung 

Allein in Berlin wurden im vergangenen Jahr 2011 über 60.000 Haushalte von Hartz-IV-Leistungsberechtigten aufgefordert, ihre Wohnkosten zu senken. Derartige Aufforderungen münden häufig in einen "Zwangsumzug", da nach Ablauf einer Frist von sechs Monaten nur noch Wohnkosten in Höhe der sogenannten "Angemessenheitsgrenzen" bezahlt werden.

Die LINKE setzt dem entgegen: Das Recht auf Wohnraum ist ein verfassungsrechtlich verbürgter Anspruch, der durch das Urteil vom Februar 2010 ausdrücklich als Teil des menschenwürdigen Existenzminimums durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt wurde.

Es ist notwendig diesen Anspruch durch bundesweite Mindeststandards zu sichern und Sicherungen einzubauen, damit Zwangsumzüge soweit wie irgend möglich verhindert werden. Diese Forderungen standen am Montag, dem 7. Mai 2012, in Form des Antrags "Mindeststandards bei der Angemessenheit der Unterkunft und Heizung" (17/7847) im Ausschuss Arbeit und Soziales in einer Sachverständigen-Anhörung zur Debatte.
  In zentralen Aspekten fühlt sich die LINKE durch die Stellungnahmen der Sachverständigen und den Ablauf der Anhörung bestätigt. Bundesweite Mindeststandards sind notwendig – dies bestätigt auch der Deutsche Gewerkschaftsbund. Der Bund muss bei der Sicherung der verfassungsrechtlich verbürgten Ansprüche einen bundesweit einheitlichen Rahmen setzen. Dies dient dem Schutz der betroffenen Personen, stärkt die Rechtssicherheit und trägt zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bund bei. Ein Beleg für die mangelnde Rechtssicherheit der derzeitigen Regelung dürfte auch in der relativ hohen Erfolgsquote von Rechtsmitteln in den Streitigkeiten, die ausschließlich die Kosten der Unterkunft zum Gegenstand haben, liegen. Nach Auskunft des Sachverständigen der Bundesagentur für Arbeit liegt die Erfolgsquote in diesen Verfahren für Widersprüche bei 39 und für Klagen bei 52 Prozent.
  Die jüngsten Reformbemühungen der Regierungen haben dagegen nicht mehr Rechtssicherheit und Schutz für die Leistungsberechtigen gebracht. Die 2011 im Rahmen der Regelsatzneuermittlung eingeführte Möglichkeit durch kommunale Satzungen die Kosten der Unterkunft und Heizung zu bestimmen, ist in der Absicht und in der Substanz ein abzulehnender Versuch der Bundesregierung, ihre Verantwortung in diesem grundrechtsrelevanten Bereich auf die Kommunen abzuwälzen. Ein erhöhter Spielraum der Kommunen, bei der Bestimmung der Angemessenheitswerte von den Vorgaben des Bundessozialgerichts zulasten der Betroffenen abzuweichen, entsteht dadurch nicht. Auf letzteres haben sowohl der Sachverständige Rechtsanwalt Holger Gautzsch als auch Herr Reiner Höft-Dzemski vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge auf Nachfrage der kommunalpolitischen Sprecherin der LINKEN im Bundestag Katrin Kunert ausdrücklich hingewiesen. 
  Auf allgemeine Ablehnung stieß die zweite Neuerung durch den Gesetzgeber: Die Möglichkeit Kosten der Unterkunft und / oder Heizung, kommunal durch eine Pauschale zu erstatten, läuft nach den Aussagen der meisten Sachverständigen ins Leere und sieht sich auch erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. Mehrere Sachverständige unterstützten die Forderung der LINKEN, die Regelung wieder aus dem Gesetz zu streichen.
  Mehrere  Sachverständigen stimmten der konkreten Forderungen der LINKEN zu:
 
  • So ist es sinnvoll, die Fristen vor der Aufforderung zur Wohnkostensenkung von einem halben Jahr auf ein Jahr zu verlängern; Rechtsanwalt Holger Gautzsch wies in diesem Zusammenhang auf die mietrechtlichen Bestimmungen, z. B. Kündigungsfristen, hin, die in der Praxis dazu führen, dass ein Wohnungswechsel häufig länger als sechs Monate dauert. An der derzeitigen Frist zur Wohnkostensenkung wurde auch von anderen Sachverständigen Kritik geübt. Rechtsanwalt Holger Gautzsch verwies zudem darauf, dass bestimmte Personengruppen, z.B. Familien mit Kindern, einen erhöhten Grundrechtsschutz genießen und von daher ganz aus dem Kostensenkungsverfahren ausgenommen werden müssten.
  • Es ist nicht sachgerecht, das Schonvermögen zur Finanzierung von Mietkautionen benutzen zu müssen, und verfassungsrechtlich höchst problematisch ist die jüngst eingeführte Praxis für geleistete Mietkautionen zehn Prozent des monatlich zu zahlenden Regelbedarfs einzubehalten. Diese Regel und Praxis führt angesichts eines ohnehin schon viel zu niedrigen Regelsatzes unmittelbar zu einer nicht zu rechtfertigenden Unterdeckung des menschenwürdigen Existenzminimums und ist daher auch aus verfassungsrechtlicher Sicht höchst problematisch.   
  • Bereits geltendes Recht – aber vermutlich nicht übliche Praxis – ist die Anforderung, dass Wohnraum in den festgelegten Angemessenheitsgrenzen tatsächlich vor Ort – wie der Sachverständige Rock ausführt: auf das soziale Umfeld der Betroffenen begrenzt – auch verfügbar ist.    

Der Verlust der angestammten Wohnung ist der sichtbarste Ausdruck des sozialen Abstiegs durch Hartz IV. Verlässliche Informationen zum Ausmaß dieses sozialen Problems gibt es nicht. Weder die Bundesagentur für Arbeit noch die kommunalen Spitzenverbände können verlässlich Auskunft darüber geben, wie viele Haushalte mit Hartz-IV-Leistungsberechtigung zur Senkung der Wohnkosten aufgefordert wurden oder wie viele Haushalte unterhalb des verfassungsrechtlich geschützten Existenzminiums leben müssen, weil sie Teile ihrer Regelleistungen für die Mietzahlungen aufwenden. Auch gibt es keine bundesweit verlässlichen Informationen, wie viele Haushalte durch unzureichende Wohnkosten Mietschulden angehäuft haben – womöglich mit der Konsequenz eines Wohnungsverlusts – und wie viele Haushalte und Menschen letztlich ihre Wohnung wechseln mussten ("Zwangsumzüge").

Dies sind dramatische soziale Verwerfungen. Das Statistische Bundesamt macht den Umfang der betroffenen Bevölkerungsgruppe deutlich: In 7 Prozent aller Haushalte leben Hartz-IV-Leistungsberechtigte. Dies entspricht 2,6 Millionen Haushalten, die nach einer kurzen Übergangsfrist mit der existenziellen Frage konfrontiert werden, ob ihre Wohnung eventuell in den Augen der Behörde zu teuer ist und ob sie dauerhaft ihren angestammten Wohnraum behalten können.