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Hamstern macht arm

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Europas Finanzminister liegen im Konsolidierungsfieber; eine Krankheit, die schlimme Folgen zeitigen wird.

Die Finanzminister der Eurozone haben sich von ihrem deutschen Kollegen anstecken lassen. Spätestens im Jahr 2010 wollen sie nun alle ohne neue Schulden auskommen. Kaum ist die größte europäische Volkswirtschaft, die Bundesrepublik, aus dem Gröbsten raus, wird das Sparen zum Programm erhoben. Es hat schon etwas vom "eingebildeten Kranken", wenn die Finanzelite Europas etwas zum Programm erhebt, das sich, kaum zieht das Wirtschaftswachstum etwas an, mittels der dadurch hervorgerufenen Steuermehreinnahmen und Minderausgaben wie von selbst erledigt. Gerade das Jahr 2006 war zudem durch auffallend wenige Ausgabenkürzungen der Regierungen gekennzeichnet, was das jetzt verzeichnete Wirtschaftswachstum gefördert haben dürfte.

Was macht das Sparen dennoch so populär in Europa? Es ist immer wieder die gleiche Drohkulisse, die die Regierenden vor den Bevölkerungen Europas aufbauen:

Die Alterung der Gesellschaft werde riesige Löcher in die Staatskassen reißen. Nulldefizite oder sogar Überschüsse verhinderten außerdem, dass die Gesamtschulden und die daraus folgenden Zinslasten weiter in den Himmel wachsen. Die würden schließlich Ausgaben für Schulen, Krankenhäuser und andere soziale Einrichtungen und Zukunftsinvestitionen unmöglich machen. Und über allem prangt der Stabilitätspakt, der von seinen Mitgliedern verlangt, Hamstern gleich in guten Zeiten für die nächste Konjunkturkrise vorzusorgen.

Leider nur geht es nicht allen dreizehn Ländern, deren Finanzminister sich jetzt einhellig einem ausgeglichenen Haushalt verschrieben haben, gut. Einigen geht es sogar ziemlich schlecht. Das Statistische Amt der Europäischen Gemeinschaften, Eurostat, hat dies gerade erst wieder bestätigt. Portugal, das ärmste Land der Eurozone, weist ein Haushaltsdefizit von vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Das wesentlich reichere Italien kämpft ebenfalls mit einem negativen Finanzierungssaldo (-4,4 Prozent).

Beide Länder haben gleichzeitig Probleme, im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Aufgrund hoher Einbußen im Außenhandel müssen sie neben ihren Haushalts- auch Leistungsbilanzdefizite hinnehmen. Wie diese Länder aus eigener Kraft einen ausgeglichenen Etat vorlegen sollen, ohne durch drastische Ausgabensenkungen weiter an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren, beantworten die EU-Finanzminister nicht. Wer das Sparen staatstragend zum Selbstzweck erklärt hat, muss sich über die möglichen Folgen offensichtlich keine Gedanken machen. Das würde ja voraussetzen, dass Ökonomen und andere Sachverständige dieses Finanzgebaren kritisch hinterfragen.

Die so genannten Finanzexperten befinden sich jedoch selbst im Konsolidierungsrausch. "Volkswirte stärken den Finanzministern der Euro-Länder den Rücken", ist allenthalben zu lesen. Sorge bereitet ihnen gewöhnlich nur, wenn sich in einem Land "ein Ende der Sparversuche abzeichnet". Ansonsten freuen sich vor allem deutsche Volkswirte über den neu entfachten Ehrgeiz der Finanzminister. Für Deutschland, so Alfred Boss, "Finanzexperte" am Institut für Weltwirtschaft in Kiel, bedeute das 2009 und 2010 jährliche Einsparungen bis zu 25 Milliarden Euro.

Was erklärt aber die Doppeldefizite von Portugal und Italien? Leben die Staaten dort in Saus und Braus, wie es der Vorsitzende der Euro-Finanzminister, Luxemburgs Staatschef Jean-Claude Juncker, unterstellt, wenn er sagt, "wir wollen 2007 nicht die großen Irrtümer und Fehler von 1999, 2000, 2001 wiederholen"?

Zwischen 1999 und 2001 sind die Gesamtausgaben des Staats gemessen am BIP in Italien und Portugal keineswegs gestiegen. In Italien sind sie zunächst einmal gesunken und haben dann 2001 wieder leicht zugenommen. Sie lagen aber mit 48 Prozent immer noch unter dem Niveau von 1998/1999. In Portugal blieb die Staatsquote in diesem Zeitraum nahezu unverändert. Beide Länder gaben auch nicht mehr aus als der Durchschnitt der Eurozone. Die Staatsquote Portugals liegt nach wie vor recht deutlich darunter. Da sich diese Zahlen auf die Wirtschaftskraft des jeweiligen Landes beziehen, bewegen sich die öffentlichen Ausgaben Portugals natürlich noch einmal deutlich unter denen der reicheren Eurostaaten mit einer ähnlich hohen Staatsquote.

Niemand hat in jenem Zeitraum demgegenüber so gespart wie der damalige deutsche Finanzminister Hans Eichel (SPD). Wegen seinen verzweifelten Sparbemühungen verlor die Wirtschaft zwischen 2001 und 2003 ein Auftragsvolumen von rund sechs Milliarden Euro. Je gewaltiger die Sparanstrengungen ausfielen und damit das Wirtschaftswachstum weiter schwächten, desto kräftiger stieg das Haushaltsdefizit im Verhältnis zum BIP. 2003 lag es bei vier Prozent. Eine Erfahrung also, die dem jetzigen Sparwillen der EU-Finanzminister eine Warnung sein sollte.

Die europäische Integration kann nur dann erfolgreich voranschreiten, wenn die Regierenden die unterschiedlichen Ausgangssituationen der einzelnen Länder in ihre Überlegungen und Entscheidungen einbeziehen. Wirtschaftlich schwächere Länder wie Portugal brauchen im Zweifelsfall nicht weniger staatliche Unterstützung, sondern mehr, um erfolgreich Anschluss an die führenden Volkswirtschaften der EU zu finden.

Dass sich gerade Deutschland diesem Grundsatz seit Jahren verweigert, zeigt ein Blick auf die Entwicklung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit. Während sich deutsche Produkte gemessen am realen effektiven Wechselkurs seit Jahren laufend verbilligt haben, ist in Italien und Portugal das Gegenteil der Fall. Ausgerechnet die größte und wettbewerbsfähigste Volkswirtschaft Euorpas hat sich dem Lohndumping verschrieben. Seit 2001 sind in Deutschland die Löhne ohne Unterbrechung hinter den gleichzeitig erzielten Produktivitätsanstieg zurückgefallen.

Auch hier haben Portugal und Italien keineswegs aus dem Vollen geschöpft. Immerhin aber bewegte sich der Zuwachs der Löhne dort in Höhe der Produktivitätsentwicklung. Weil Deutschland aber seinen Verteilungsspielraum nicht ausgeschöpft hat, haben sich portugiesische und italienische Produkte relativ verteuert und damit an Wettbewerbsfähigkeit verloren. "Die EU rechnet sich - Europa ist ein gutes Geschäft - für alle", ist ein gerade erschienener Nachrichtenüberblick der Europäischen Kommission überschrieben. Das entspricht leider nicht den Tatsachen.

Der Versuch, den Staatshaushalt durch fantasieloses Sparen zu konsolidieren, schürt soziale Ungleichheit, geht zu Lasten von Investitionen und Beschäftigung und benachteiligt damit auch künftige Generationen. Schon unter diesem Gesichtspunkt ist die verbreitete Behauptung falsch, zum Abbau der Staatsschulden die Ausgaben senken zu müssen, um nachfolgende Generationen nicht zu belasten. Die heranwachsenden Menschen bezahlen für diesen wirtschaftspolitischen Fehler. Sie müssen in unterfinanzierten Schulen und Universitäten lernen und studieren, sich mit fehlenden Ausbildungs- und Arbeitsplätzen abfinden und in immer stärkeren Ausmaß für Gesundheit, Bildung und Altersvorsorge finanziell selbst aufkommen.

Die Entwicklung in Deutschland hat gezeigt, dass bei einer anhaltend schwachen Konjunktur weniger ausgegeben und in die Zukunft investiert wird. Das Wachstumspotenzial der Wirtschaft sinkt unter diesen Voraussetzungen.

Würde Deutschland in der jetzigen Situation die öffentlichen Ausgaben zumindest im gleichen Tempo steigern wie die Einnahmen, würde das die inländischen Wachstumskräfte stärken und dazu beitragen, die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte innerhalb und außerhalb Europas nicht noch weiter zu vergrößern.

Der Finanzminister würde die Situation der privaten Haushalte und der Betriebe, die auf inländische Nachfrage angewiesen sind, stärken und so die Wirtschaftsentwicklung stabilisieren. Die Beschäftigungsaussichten würden sich verbessern. Ein Sparen, das zu Mindereinnahmen und Mehrausgaben führt, kann man sich sparen.

Von Oskar Lafontaine

Frankfurter Rundschau, 2. Mai 2007