Zum Hauptinhalt springen

Häßliches Bürokratiemonster

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,

Der faule Doppelpaß-Kompromiß

Von Sevim Dagdelen, Sprecherin für Migration und Integration der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 

 


Wie befürchtet, entpuppt sich der Doppelpaß-Kompromiß aus der Koalitionsvereinbarung von SPD, CDU und CSU nun als faul. Weder die generelle Möglichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft noch die Abschaffung der Optionspflicht wird es geben, bleibt es bei dem von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vorgelegten Gesetzentwurf zur Reform des Staatsbürgerschaftsrechtes. Das »Bürokratiemonster« Optionspflicht soll trotz erheblicher verfassungsrechtlicher und inhaltlicher Bedenken nicht abgeschafft, sondern lediglich »gezähmt« werden. Darüber hinaus ist eine weitere spitzfindige Ausnahmeregelung geplant, bei der es um den Nachweis der Bedingung des »Aufwachsens« in Deutschland geht, wie es der Koalitionsvertrag vorsieht. Es zeigt sich, daß die SPD nicht nur ein Wahlversprechen gebrochen, sondern auch noch miserabel verhandelt hat. Dabei geht selbst der noch nicht mit der SPD abgestimmte Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums davon aus, daß mehr als 90 Prozent der Betroffenen die Nachweise zum Aufwachsen in Deutschland erbringen werden können. Angesichts der vermutlich sehr kleinen Zahl von überwiegend im Ausland aufgewachsenen Kindern ist es fragwürdig, den Riesenaufwand Zehntausender Optionsverfahren pro Jahrgang fortzuführen. Aus den Reihen der großen Koalition hört man, daß es nur darum gehe, im Endeffekt einigen wenigen Deutschen die doppelte Staatsangehörigkeit vorenthalten zu können.

Insbesondere türkische Migranten fühlen sich erneut vor den Kopf gestoßen. Denn Kinder mit einer deutsch-EU- oder deutsch-schweizerischen Doppelstaatsangehörigkeit sollen nach dem Entwurf künftig generell nicht mehr optieren müssen. Für alle anderen, und das sind vorwiegend türkische Migranten, gilt dies nicht. Sie müssen nachweisen, daß sie »wirkliche Deutsche« sind, wenn sie ihren »Doppelpaß« behalten wollen. Dieser diskriminierende Effekt ist offensichtlich auch gewollt.

Auch wenn es nicht direkt übertragbar ist, so scheinen mir doch Kernaussagen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.2013 (Behördenanfechtung der Vaterschaftsanerkennung zur Vermeidung aufenthaltsrechtlicher Vorteile) auch für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Optionspflicht bedeutsam zu sein. Demnach gibt es ein schutzbedürftiges Vertrauen von Kindern in den Bestand der Staatsangehörigkeit, und mit zunehmendem Alter müßten dem Aberkennen der deutschen Staatsangehörigkeit enge Grenzen gesetzt werden. Daß nach dem Gesetzentwurf ein einfaches Vergehen gegen Meldepflichten letztlich zum Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit führen können soll, hält einer verfassungsrechtlichen Prüfung ebensowenig stand wie das unbestimmte Kriterium des »Aufwachsens« in Deutschland. Daß sich der Gesetzentwurf mit diesem Urteil und der verfassungsrechtlichen Problematik nicht einmal mit einem Wort auseinandersetzt, halte ich für skandalös.

Die große Koalition macht die Optionspflicht zu einem häßlichen Bürokratiemonster, das verfassungsrechtlich weiter hochproblematisch und in seinen Auswirkungen inakzeptabel ist. Mindestens 248 Deutsche hat die Optionspflicht bereits zu Ausländern gemacht. Es geht hier um Menschen, die als Deutsche in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Jetzt neue bürokratische Ausnahmeregelungen einzuführen, weil gerade einmal drei Prozent der Optionspflichtigen von 2013 im Ausland gemeldet waren, würde lediglich die Überlastung der Verwaltung verschlimmern. Die Optionspflicht muß endlich abgeschafft werden. Das würde viel Bürokratie sparen. Und Deutsche würden nicht mehr ausgebürgert.

junge Welt, 20. Februar 2014