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Große Koalition Mist, immer feste druff auf die Kleinen.

Nachricht von Gregor Gysi, Oskar Lafontaine,

Gregor Gysi und Oskar Lafontaine vor den Medien in Berlin zum Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD:

Gregor Gysi: "Für DIE LINKE. ist der Koalitionsvertrag eine große Enttäuschung. Im Unterschied zu Herrn Merz sehen wir auch keine deutliche sozialdemokratische Handschrift oder wir verstehen darunter etwas völlig anderes als er, das kann natürlich auch sein. Es ist kein Aufschwung vereinbart worden hinsichtlich der Schaffung von Arbeitsplätzen auch nicht bei der Konjunktur auch nicht in Wachstumsfragen, sondern wir sehen die Vereinbarung eines Stillstandes und auch von Rückschritt. Im Kern kann Gerhard Schröder zwar sagen, seine Politik wird fortgesetzt zum Teil noch forciert fortgesetzt, aber das genau bringt keine Lösung der Probleme. Das Versprechen, das Sie seit Jahren gehört haben, wir auch, lautete ja immer gleich, man muss die Steuern für Konzerne senken, für Besser- und Bestverdienende senken und dann gäbe es einen ungeheuren wirtschaftlichen Aufschwung. Die Konzerne beweisen uns täglich das Gegenteil, letztes Beispiel ist Telekom. Sie gibt einen der größten Gewinne bekannt und gleichzeitig die Entlassung von 32 000 Leuten, das führt dann auch sofort zum Kursanstieg mit allen Folgen, die das hat.

Es ist glaube ich einmalig, dass eine Mehrheit von über zwei Dritteln von vornherein in einem Vertrag bekannt gibt, dass sie das Grundgesetz brechen wollen und brechen werden mit dem Haushaltsgesetz des Jahres 2006. Wir sehen da durchaus andere Wege. Man kann die Verfassung einhalten. Man kann dabei den Weg gehen, den die FDP vorgeschlagen hat, den wir natürlich ablehnen, noch mehr Einsparungen, noch mehr Sozialabbau. Oder man kann einen Weg gehen, den wir immer vorgeschlagen haben, nämlich gerechte Steuern in Deutschland einzuführen und da kann man auch vergleichen mit anderen Ländern, ich sag das unter dem Stichwort der Globalisierung.

Lassen Sie mich dazu zwei Bemerkungen machen. Es geht nicht nur um die Vermögenssteuer, die wir immer vorgeschlagen haben, die, wie es Oskar Lafontaine gestern im Fernsehen gesagt hat, 35 Milliarden bringen könnte, sondern es geht auch um eine gerechte Körperschaftssteuer für die Kapitalgesellschaften. Und es geht auch um eine Steuer für Veräußerungserlöse. Ich darf an diesen Widerspruch erinnern. Ab jetzt sollen ja alle Leute die Grundstücke und Aktien verkaufen, auf die Veräußerungserlöse Steuern zahlen. Darüber kann man wirklich reden auch ohne Fristen. Aber gleichzeitig zu sagen, Veräußerungserlöse der Kapitalgesellschaften, also Verkaufspreiseinnahmen der Kapitalgesellschaft der Deutschen Bank und anderer Einrichtungen bleiben völlig steuerfrei, ist absurd. Das musste unter Kohl schon mal versteuern werden und hat ein paar Milliarden gebracht. Doch selbst in einer solchen Notlage kommen Sie nicht auf die Idee zu sagen, wir müssen dafür eine Steuer erheben. Dann beschweren sie sich aber gleichzeitig über die Hedgefonds, die ja nur deshalb kommen, weil das alles bei uns steuerfrei ist.

Also wir haben auf verschiedenen Wegen etwas vorgeschlagen, auch was die Erbschaftssteuern betrifft und anderes. Wir brauchen mehr Einnahmen in den Staat, damit der Staat seine sozialen seine ökologischen aber auch seine wirtschaftlichen Aufgaben erfüllen kann. Also mit diesem ganzen Part sind wir höchst unzufrieden. Lassen Sie mich noch ein Beispiel nennen. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die sagen, eine Partei muss alles umsetzen, was sie im Wahlkampf versprochen hat. Das muss sie nur, wenn sie allein regiert. Aber wenn sie eine Koalition macht mit einem Partner, muss man Kompromisse finden, denn der Partner hatte ja andere Wahlversprechen und dann muss man sehen, wie man irgendwie miteinander hinkommt.

Aber eines ist wirklich unerklärlich und das ist für mich ein schwerwiegender Bruch von Wahlversprechen - das ist die Mehrwertsteuererhöhung um 3 %. Wenn der eine für 2 % in den Wahlkampf geht und geprügelt wird und der andere macht es zu einem Hauptschwerpunkt zu sagen, dass das ein völlig falscher Ansatz ist die Merkelsteuer, macht noch Plakate das man ehrlich sein muss im Wahlkampf etc., und der Kompromiss besteht dann nicht etwa, wie man vielleicht gedacht hätte, wenn die einen nichts und die anderen 2 Prozent wollen, bei einem Prozent, sondern bei 3 Prozent, dann ist das wirklich unerträglich. Und es ist auch überhaupt nicht wirtschaftlich und sozial nachvollziehbar. Denn im Unterschied zu einer Vermögenssteuer, zu einer Körperschaftssteuer und zu einer Steuer auf Veräußerungserlöse zahlen natürlich eine Mehrwertsteuer auch die Rentnerinnen und Rentner, die Arbeitslosen, die Geringverdiener - lauter Gruppen, die es sich überhaupt nicht leisten können, das ist das sozial Ungerechte. Verbesserungen bei den Beiträgen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern kommen ja auch nicht in der versprochenen Höhe, d. h. es trifft auch sie im großen Stil. Das aber bedeutet nicht nur, dass es sozial ungerecht ist, sondern es bedeutet, dass die Kaufkraft reduziert wird und wenn die Kaufkraft reduziert wird, sage ich Ihnen voraus, dass weitere kleinere und mittlere Unternehmen in die Insolvenz gehen und dann haben wir noch mehr Arbeitslose und dann stehen wir wieder vor dem Problem, dass die Kosten zunehmen.

Ich weiß, dass das natürlich erst ab 2007 geplant ist, ich glaube die wollen so eine Art Konjunkturstrohfeuer 2006 erzeugen, das aber wird dann alles 2007 wieder weggeblasen. Ob das Strohfeuer überhaupt kommt, wage ich zu bezweifeln, das muss man alles abwarten.

Lassen Sie mich noch zwei Bemerkungen machen, die mir wichtig sind. Es sind immer diese Kleinigkeiten. Also ich war in einer Wahlsendung mit Gerhard Schröder und in der er betont hat, dass Hartz IV, und darauf sei er so stolz, gerade jungen Leuten nütze. Das ist wirklich hoch interessant. Was sie jetzt vereinbart haben, ist die jungen Leute rauszunehmen aus Hartz IV und dadurch Milliarden einzusparen. Also das, worauf sie im Wahlkampf noch stolz waren, das fällt jetzt weg, denn bis 25 Jahre sollst du ja dann nichts mehr bekommen. Ich bin immer für Logik in der Politik, man muss mir eines erklären: Ab 18 bist du erwachsen, volle strafrechtliche Verantwortlichkeit, plötzlich sagen sie dir, bis 25 bist du doch abhängig von deinen Eltern. Was denn nun, was wollen wir eigentlich rechtlich. Grundgesetz sagen sie mal, interessiert sie nicht im Haushalt, interessiert sie auch nicht bei der Volljährigkeit, ab wann hat man Anspruch. Wieso zwingen ich Leute zu ihren Eltern, die aus irgendwelchen Gründen mit 22, 23 das nicht mehr können.

Noch eine Bemerkung zu den neuen Bundesländern. Die überfällige Angleichung des ALG-Satzes Ost an den von West gab es erst nach langen Debatten. Das wirft das gleiche Licht auf die Politik, die die unterschiedlichen Sätze überhaupt erst festgelegt hat, obwohl es keinerlei Gewissheit darüber gab, ob es einen Preisunterschied gibt. Sie müssen sich mal überlegen, ein Gesetzgeber der sagt, ich vermute mal, es gibt einen. Um das zu prüfen, wenn das Gesetz in Kraft ist, setze ich eine Kommission ein, nicht vorher. Die sagt dann nach 7 1/2 Monaten - es gibt keine Preisunterschiede - und dann mache ich irgendwie nach einem Jahr eine Korrektur. Darf ich dann darauf hinweisen, dass diese eine Jahr schon ungerecht war, dass man das auch für verfassungswidrig halten kann, wenn es gar keinen Preisunterschied gab. Wieso haben dann in diesem einen Jahr die Ostdeutschen weniger bekommen als die Westdeutschen. Die Frage ist nicht beantwortet.

Wenn die Koalition nun bei Hartz IV weiter einsparen will werden das alle zu spüren bekommen. Eine wirkliche Korrektur von Hartz IV ist überhaupt nicht in Sicht, sondern umgekehrt, eine Korrektur zum Nachteil von Betroffenen. Das ist der völlig falsche Weg.

Im Koalitionsvertrag stehen viele Prüfaufträge. Aber es ist ja wenig wirklich fest vereinbart, was Investitionen betrifft usw. Und weil das so ist, werden wir den Vorschlag machen, einen Ausschuss für die neuen Bundesländer und strukturschwache Regionen einzurichten. Dabei können wir uns sogar ein bisschen und indirekt auf die Koalitionsvereinbarung stützen. Wenn sie so viel prüfen wollen, braucht man auch einen Ausschuss, der da mitprüft, damit sich das nicht auf 12 Ausschüsse verteilt. Es muss einen Ausschuss geben, der sich diesen Fragen vorrangig widmet, deshalb werden wir diesen Antrag auch stellen.

Oskar Lafontaine: Diese große Koalition ist von Anfang an belastet, weil sie das Vertrauen in unsere Demokratie untergräbt. Wenn die Wählerinnen und Wähler immer wieder erfahren, dass das, was vor den Wahlen gesagt wird, eigentlich für den Schornstein ist, dass man sich gewissermaßen daran gewöhnen muss, dass alles, was vor den Wahlen gesagt wird, keine Verbindlichkeit mehr hat, dann werden die Wählerinnen und Wähler zu recht immer politikverdrossener, weil sie sagen, man kann denen ja überhaupt nichts mehr glauben. Das betrifft dann nicht nur die Koalitionäre, das betrifft die gesamte politische Klasse, wie wir mit Bedauern feststellen müssen, denn die Wählerinnen und Wähler differenzieren bei fortgesetzter Wählertäuschung irgendwann nicht mehr, sondern glauben, die lügen uns alle nur die Hucke voll und vor den Wahlen ist es praktisch die Regel, dass gelogen wird. Das ist jetzt die Erfahrung der letzten beiden Jahrzehnte, dass immer wieder in ganz zentralen Fragen schlicht und einfach gelogen wurde.

Heute ist es die Mehrwertsteuer. Da sagt eine Partei im Wahlkampf, wer die Merkelsteuer verhindern will, der muss SPD wählen. Ich frage mich, was jetzt eigentlich SPD-Wählerinnen und Wähler sich denken. Und man muss auf der anderen Seite dann Wählerinnen und Wähler in ihrer Treue bewundern, dass sie selbst bei den gravierendsten Vertrauensbrüchen in Serie dann doch immer wieder bereit sind, derselben Partei das Vertrauen zu schenken.

Ich bin dafür, dass wir, so wie diese Wahl eine Mehrwertsteuerwahl war, die nächsten Wahlen zu Vermögensteuerwahlen machen und der Bevölkerung sagen, wer jetzt will, dass es etwas gerechter zugehen kann in Deutschland, der muss die Parteien unterstützen, die für den Ausbau der Vermögensteuer eintreten. Also erste Feststellung, Vertrauen in unsere Demokratie ist untergraben worden.

Zweite Feststellung: Diese Koalition hat kurze Beine, denn das deutsche Sprichwort "Lügen haben kurze Beine" trifft nun hier in doppelter Hinsicht zu. Denn diese kurzen Beine tragen nicht weit. Das, was ökonomisch vereinbart wurde, dient in keinem Fall dem Hauptziel der Koalition - dieses Bonbon ist ja schon so abgelutscht seitens der Koalitionsparteien, in schöner Regelmäßigkeit tragen sie immer wieder vor, ihr Hauptziel sei es, die Arbeitslosigkeit zu senken, sie machen aber alles, um die Arbeitslosigkeit weiter zu steigern. Deutschland wird im Export nach wie vor Erfolge haben und die Binnenwirtschaft wird nach wie vor darben. Wir werden mit dieser Politik Gesamteuropa belasten, weil die Lohnsenkungsdrift, die wir in Deutschland haben, die Löhne in Gesamteuropa nach unten zieht mit dem entsprechenden Ergebnissen. Zwar ist es richtig, wenn einzelne Wirtschaftsforscher darauf hinweisen, dass im nächsten Jahr nicht gravierend in den Kreislauf eingegriffen wird zu Lasten der Konjunktur, weil man den Haushalt nicht drastisch zurückfährt und weil die Steuererhöhungen im nächsten Jahr noch nicht greifen, aber das ist ja dann eben nur ein Aufschub.

Wie das im nächsten Jahr ausgeht, weiß keiner, weil wir in einer Ausnahmesituation sind, von der in den Koalitionsverhandlungen und auch in der öffentlichen Debatte überhaupt nicht die Rede war: Wir haben zum ersten Mal in Deutschland nach dem Kriege fallende Bruttolöhne. Das gab es noch nie. Das ganze Geschwafel von Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich, von Öffnung der Tarifverträge, von betrieblichen Bündnissen für Arbeit, die ja gravierende Bündnisse gegen Arbeit darstellen, weil sie die Lohnsenkungsspirale in Gang setzen - dies ist heute das entscheidende Problem Deutschlands. Diese fallenden Löhne gehen einher mit steigenden Energiepreisen in einem Ausmaß, wie das lange Zeit nicht der Fall war, so das der Durchschnittsverbraucher, ohne dass die Politik bisher etwas getan hat, von zwei Seiten her in seiner Möglichkeit, Geld auszugeben, drastisch beschnitten wird.

In diese Ausnahmesituation hinein macht diese Koalition, wenn auch mit einem Zeitaufschub von einem Jahr, das Verkehrteste, was man überhaupt machen kann, man erhöht drastisch die Verbrauchssteuern. Und was die Energiepreise angeht, hat man dann noch den Clou, dass man die Pendlerpauschale kürzt und damit die beweglichen Arbeitnehmer weiter in ihren Möglichkeiten, einen Arbeitsplatz zu finden, einschränkt. In Münteferingschem Deutsch würde es heißen: Große Koalition Mist, immer feste druff auf die Kleinen.

Dass man sich dann tatsächlich nicht schämt, eine Reichensteuer als kleine Kosmetik anzubringen, die natürlich in der Summe lächerlich ist - es sind 1,2 oder 1,3 Milliarden Euro für diejenigen, die 250000 bzw. bei Verheirateten 500000 Euro im Jahr verdienen. Das Volk wird verarscht, ich muss das jetzt wirklich einmal so sagen. Alle, die ein hohes Einkommen hatten, mussten, bis die große Koalition unter Einschluss von FDP und Grünen dem Steuersenkungswahn verfallen ist, der die Staatshaushalte ruiniert hat in den letzten Jahren, 53% zahlen, auch die Abgeordneten, auch die Minister, und diese 53% haben dann Jahr für Jahr elf Milliarden mehr Einnahmen im Vergleich zum jetzigen Zustand in die Staatskassen gebracht. Um solche Beträge geht es bei der Einkommensteuer, nicht um diese Peanutsreichensteuer von 1,2 Mrd. Das ist ja unglaublich, wie das Volk an dieser Stelle verarscht wird.

Und wenn wir jetzt Salden bilden, wie wird das Volk belastet: auf der einen Seite Mehrwertsteuer, Pendlerpauschale, Eigenheimzulage, Kürzungen im sozialen Bereich, dann sind sie bei 40 Milliarden zu Lasten das Volkes und dann damit das nicht ganz so schlimm klingt, 1,2 oder 1,3 Mrd. zu Lasten der Bezieher hoher Einkommen. Der Hamburger Reeder Peter Cremer sagt dagegen, ihr könnt von den Vermögenden 35 Mrd. Euro haben und fällt dann sein Urteil über die große Koalition: Ihr seid eigentlich Volksparteien, ihr sollt Politik für das Volk machen, ihr macht aber Politik für die oberen zehn Prozent der Bevölkerung. Besser kann es die Linke eigentlich auch nicht formulieren."