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Griechenland: Eine unbequeme Wahrheit

Im Wortlaut,

                                                                                              Foto: Irina Neszeri


Von Fabio De Masi, für DIE LINKE im Europäischen Parlament und Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung
 

Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hat daher Recht: Die Deutschen haben bereits zu viel gezahlt. Die Bilanz der Euro-Politik ist vernichtend: Griechenlands Wirtschaftskraft ist um 25 Prozent eingebrochen, die öffentliche Schuldenquote ist trotz oder wegen des härtesten Sparpakets einer Industrienation in der Nachkriegsära von etwa 109 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in 2008 auf über 170 Prozent des BIP explodiert, jeder zweite Jugendliche ist ohne Job, an Korruption und miserablen Steuervollzug in der öffentlichen Verwaltung hat sich nichts geändert.   Umso erstaunlicher ist es, dass ausgerechnet jene griechische Regierung in Berlin zu Bluthochdruck führt, die sich ehrlich machen will, permanente Kredithilfen ablehnt und eine langfristig tragfähige Lösung für das Schuldenproblem anstrebt, um die Kosten für Europa zu reduzieren. Die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) hat in Griechenland alles geregelt: Von den Taxi-Lizenzen, dem Kündigungsschutz, über die Privatisierung der Häfen zu Ramschpreisen bis zu Öffnungszeiten der Apotheken. Den verlotterten Steuervollzug und die Vetternwirtschaft hat sie den bevorzugten Partnern der Bundeskanzlerin – den korrupten Eliten von Pasok und Nea Dimokratia – stets durchgehen lassen.   Bei Ausbruch der Euro-Krise waren die Gläubiger Griechenlands überwiegend deutsche und französische Banken. Die Bundesregierung hat daher einen frühzeitigen, aber kontrollierten Schuldenschnitt verweigert. Eine Finanzierung öffentlicher Investitionen durch die EZB beziehungsweise EU-vertragskonform über die Europäische Investitionsbank (EIB) hätte einen solchen Schuldenschnitt absichern können, um Griechenland bei einem Anstieg der Anleiherenditen eine Anschlussfinanzierung zu sichern. Denn Investitionen in den Strukturwandel des weitgehend de-industrialisierten Landes wären allemal sinnvoller gewesen als Rettungsmilliarden in einem schwarzen Loch zu versenken.   Nun liegen etwa 80 Prozent der Forderungen gegenüber Griechenland bei den Rettungsschirmen beziehungsweise der öffentlichen Hand. Die Griechenland-Kredite kamen zudem zu etwa 90 Prozent nie in Athen an. Sie dienten der Befriedigung des Schuldendienstes und flossen an den Finanzsektor. Es ist daher ehrlicher, von einer Bankenrettung zu sprechen.   Varoufakis hat die griechische Tragödie mit folgender Situation beschrieben: Die Griechen-Rettung hätte der Empfehlung an einen überschuldete Freund entsprochen, auf Jobverlust oder Lohnkürzung mit der Anschaffung einer Kreditkarte zu reagieren. Sicher: Die Zinsen sind für Griechenland bis 2022 niedrig. Theoretisch lässt sich die öffentliche Schuldenquote (Schulden im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt) nur senken, wenn das nominale Wachstum der Volkswirtschaft die  Zinsrate übertrifft oder entsprechende  Überschüsse im Primärhaushalt (vor Zinsen) erzielt werden. Die griechische Wirtschaft ist im letzten Quartal 2014 zwar real gewachsen, aber nominal geschrumpft.   Daher soll Griechenland nach Forderung der Gläubiger 2015 einen enormen Überschuss im Primärhaushalt erzielen, der jedoch das Wachstum drosselt. Das hieße, dass das Land anfinge Geld an seine Gläubiger zurückzuzahlen. Da Griechenland sich aber vor allem durch eine hohe Auslandsverschuldung auszeichnet, würde dieses Geld ins Ausland fließen und im Land für dringend notwendige Investitionen fehlen.   Der griechische Vorschlag, die Bedienung der griechischen Schulden an die Wachstumsrate zu koppeln, die Schulden bis zur Maastricht Grenze von 60 Prozent Bruttoschuldenstand zum BIP über die EZB zu garantieren und über ewige Anleihen Laufzeiten zu strecken, ist daher sehr vernünftig. Dies wäre  auch im Interesse der deutschen Steuerzahler. Jedes Kind versteht: Schulden lassen sich nur mit Einkommen bedienen.   Der Vorschlag des Anleihetauschs ist vollständig mit dem EU-Recht vereinbar, wurde bereits in Irland teilweise praktiziert und würde die Schuldenlast erheblich senken: Die EZB würde die höher verzinsten Anleihen Griechenlands und Griechenland würde niedriger verzinste Euro-Anleihen der EZB oder der EIB bedienen. Letztere dürften nicht der Deckung von laufenden konsumtiven Ausgaben, sondern nur Investitionen dienen. Mit Quantitative Easing wird nur mehr Liquidität in den Bankensektor gepumpt, der aufgrund der schwachen Investitions- und Kreditnachfrage wegen der Kürzung von Staatsausgaben, Löhnen und Renten, kaum Investitionen finanziert und Vermögenspreisblasen oder Währungskrisen begünstigt. Die EIB-Anleihe würde jedoch Investitionen und Wachstum statt Börsen und Devisenspekulation finanzieren.   Darüber hinaus sollte die Bundesregierung die griechische Verwaltung bei der Verwirklichung eines effizienten Steuervollzugs unterstützen. Mit einer EU-weit koordinierten Vermögensabgabe für Millionäre – wie sie selbst von der Bundesbank und dem IWF diskutiert wird – würde zudem endlich die Mittelschichten in Deutschland und Griechenland und nicht länger die Mega-Reichen gerettet.   Der Tagesspiegel, 18. Februar 2015