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Gregor Gysi (70): »Ich wäre gern ein bisschen glücklicher«

Im Wortlaut von Gregor Gysi, Berliner Kurier,

Berlin - Mut, Gelassenheit – und Glück sind Leitmotive der Autobiografie, die Gregor Gysi unlängst vorgelegt hat („Ein Leben ist zu wenig“). Wir treffen den Linken-Politiker und Polit-Popstar einen Tag vor seinem runden Geburtstag in seinem Bundestagsbüro. Ist er glücklich? „Das wäre etwas übertrieben“, sagt Gysi. Er hätte es nicht immer leicht gehabt in seinem Leben.  „Auf der anderen Seite habe ich so viel Reichtum erlebt. Nicht materiell, sondern an Erlebnissen und Gesprächen. Da darf ich auch nicht unzufrieden sein.“ Von diesem Reichtum wollen wir mehr wissen. Gregor Gysi – sieben Fragen zum 70. Geburtstag. 

 

1. Was nennen Sie selbst Ihren größten Erfolg?

Gregor Gysi: Mein größter politischer Erfolg war, dass ich einen Beitrag dazu leisten konnte, in Deutschland eine Partei links von der Sozialdemokratie zu etablieren.

… und privat?

Das war ganz sicher, dass ich zuschauen konnte, wie meine Tochter zur Welt gekommen ist. Wenn aus einem Leben zwei werden. Das ist schon beeindruckend. 

2. Und was war ihre größte Enttäuschung? 

Ich wusste 1990, dass es schwer wird, meine Partei zu vertreten. Aber dass es so schwer wird in den ersten Jahren, das habe ich nicht geahnt. Wissen Sie, wenn Sie durch ein Spalier von Menschen laufen und dabei angespuckt werden, das ist schon hart. Aber ich habe damals auch festgestellt, dass ich preußisch-stur werde. Ich gehe dann nicht, ich bleibe und kämpfe. Wegrennen demütigt mich selbst. Das gilt bis heute. Zum Glück ist es mir manchmal gelungen, den Eindruck von mir ins Positive zu drehen. 

Bei wem zum Beispiel?

Wolfgang Schäuble, damals noch Innenminister, sagte schon Ende 1991 zu mir, er und Kohl wüssten sehr wohl, dass man es in erster Linie Hans Modrow und mir zu verdanken habe, dass in der DDR kein Schuss gefallen sei. Er hat mir lange nicht erlaubt, das zu erzählen. Inzwischen darf ich es.  

3. Was war Ihre größte Angst?  

Es klingt vielleicht komisch, aber ich habe kaum Angst. Das liegt daran, dass ich so wenig Fantasie habe. Ich kann mir immer das Negative gar nicht so vorstellen. Nicht einmal vor meiner Gehirn-Operation. Ich lasse negative Gedanken nicht zu. Vielleicht hat mir diese Fähigkeit sogar vieles in meinem Leben erleichtert.

4. Ihre größte Niederlage?

Natürlich war es bitter, als meine Partei 2002 nicht wieder in den Bundestag gewählt wurde. Aber schlimmer war der Finanzskandal 1990. Der hat mir so richtig die Beine weggehauen. Ich habe mich damals so bemüht, die Partei zu erneuern und wieder aufzubauen und dann kriegst du so eine Klatsche. Da schüttelt es mich noch heute. 

5. Ihre größte Liebe?

Das sind selbstverständlich meine Kinder. Ich bin doch nicht wahnsinnig und unterscheide jetzt bei den Frauen. Aber natürlich habe ich auch meine Frauen sehr geliebt.

6. Die größte Wut?

Am wütendsten war ich in meinem Leben auf mich selbst. Und zwar wenn ich etwas gemacht habe, worüber ich mich so geärgert habe, dass ich das gemacht habe. Das Blöde ist, man kann sich so schlecht selbst bestrafen.

 Wissen Sie, woher ich meine Souveränität habe: Ich lehne mich da gern an die Bergpredigt an, obwohl ich gar nicht religiös bin. 1990 habe ich den Entschluss gefasst: Du hasst nicht zurück! Wenn ich zurückgehasst hätte, hätte ich meine Souveränität verloren. 

Es gibt also nichts, was Sie aus der Fassung bringt?

Meine Partei konnte mich schon aus der Fassung bringen. Dann konnte ich wütende Reden halten, obwohl ich eigentlich eher harmoniesüchtig bin. 

7. Was wollen Sie unbedingt noch erreichen? 

Träume habe ich. Natürlich wünsche ich mir, dass es eine Menschheit ohne Krieg gibt. Aber das glauben wir alle nicht, dass ich das noch erleben darf. Was ich mir aber vorstellen kann, ist neben einem sicheren und souveränen Israel ein sicheres und souveränes Palästina zu erleben. Das wäre mir wichtig, bevor ich die Augen schließe. Außerdem wäre es mir wichtig, einige Wege zu gehen, um den Hungertod auf der Erde auszuschließen. Und ich wünsche mir, dass die europäische Integration gerettet wird. Ich möchte nicht zurück zum Nationalstaat. Privat wünsche ich mir, dass ich glücklicher werde. Mehr sage ich dazu nicht. Und ein paar Reisen möchte ich noch machen.

Wenn man 70 wird, wird man dann weise und altersmilde?

Weise bin ich natürlich schon lange. Aber im Ernst: Es gibt schon Fähigkeiten, die nachlassen. Mein Namensgedächtnis ist eine Katastrophe, was mich sehr ärgert. Natärlich fällt esmir manchmal schwerer, aus dem Auto auszusteigen. Und die Kameras filmen das besonders gern, ein bisschen in der Hoffnung, du fällst aufs Maul. 

 

Das Interview führten Jan Schmidt und Michael Heun

Linksfraktion ehrt Gregor Gysi zum 70.Geburtstag

Berliner Kurier,