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Gnadenlose Ausbeutung junger Beschäftigter stoppen

Im Wortlaut von Klaus Ernst,

 

Von Klaus Ernst, Leiter des Arbeitskreises Wirtschaft, Arbeit und Finanzen und stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 

Exportweltmeister Deutschland. Das Zugpferd Europas. Die deutsche Wirtschaft als Vorbild für Europa. So oder so ähnlich ist der Tenor, den man oft zu hören bekommt. Geschichten von Wachstum, Wohlstand und niedrigen Arbeitslosenzahlen. Doch für viele Menschen klingen diese Erzählungen wie Märchen aus einer anderen Welt. Denn bei ihnen kommt der Wohlstand trotz Arbeit nicht an. Für sie bedeuten höhere Gewinne ihres Unternehmens oft mehr Arbeit zum gleichen Lohn. Mehr unbezahlte Überstunden. Schnelleres Putzen. Zügigeres Ausliefern. Mit dabei, die stetige Unsicherheit des Arbeitsplatzes. Noch mal ein Praktikum ohne Festanstellung. Der zehnte befristete Arbeitsvertrag in Folge. Wieder in Leiharbeit für ein Jahr. Schon wieder nur eine Stelle im Minijob. Die Hoffnung auf eine Festanstellung. Ein Lohn unterhalb der Niedriglohnschwelle. Aufstocken, um über die Runden zu kommen. Gerade jüngere sind Menschen stecken überdurchschnittlich oft in prekären Beschäftigungsverhältnissen fest. Fast die Hälfte der Beschäftigten unter 25 Jahren arbeitet zu einem Niedriglohn. Für viele junge Menschen ist selbstbestimmte Lebens- und Familienplanung so kaum möglich.

Viele profitträchtige Branchen haben in den letzten Jahren massiv auf den Einsatz von Leiharbeitern und Werkvertragsnehmende gesetzt. So kamen im Jahr 2013 allein in der Automobilindustrie laut IG Metall 100.000 Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer und 250.000 Werkverträge auf 763.000 Stammbeschäftigte. Inzwischen ist hinlänglich bekannt, dass Leiharbeit und Werkverträge nicht dazu dienen, Auftragsspitzen abzufedern, sondern Belegschaften zu spalten, Löhne zu drücken und Mitbestimmungsrechte zu umgehen. Auch die oft zitierte „Brücke in reguläre Beschäftigung“ stelle sich laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Wirklichkeit nur als „schmaler Steg“ heraus. Angesichts des Abgasskandals deutscher Autohersteller sind es gerade die extern Beschäftigten, die Folgen der kriminellen Machenschaften jetzt mit einem schnellen Jobverlust tragen sollen – ohne jedoch zuvor vom Aufschwung profitiert zu haben. Ein zutiefst ungerechtes System, das vor allem jüngere Menschen betrifft: Mehr als ein Drittel aller Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer sind unter 26 Jahre alt.

Zwar hat die Große Koalition werbewirksam in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, Leiharbeit und Werkverträge regulieren zu wollen. Im Grunde geht es dabei aber nur um die weitere Verfestigung des Systems. Die geplanten Regelungen, soweit sie denn überhaupt irgendwann einmal kommen, gehen meilenweit an der Realität vorbei. Eine Überlassungshöchstdauer in der Leiharbeit von 18 Monaten und eine Gleichstellung mit den Stammbeschäftigten nach 9 Monaten bringt wenig, wenn sich die Hälfte aller Leiharbeitskräfte nach drei Monaten bereits wieder auf der Straße wiederfinden. Gleichzeitig sollen Tarifverträge von dieser Regelung auch zum Nachteil der Beschäftigten abweichen dürfen. Eine wirkliche Regulierung zu Gunsten der Beschäftigten sieht anders aus. Eine strikte Begrenzung der Leiharbeit ist notwendig. Das heißt nicht nur „Gleicher Lohn bei gleicher Arbeit“ ab dem ersten Einsatztag, sondern auch ein Flexibilitätszuschlag in Höhe von 10 Prozent des Bruttolohns für Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer. Gleichzeitig muss die Überlassungshöchstdauer auf drei Monate begrenzt werden. Selbstverständlich müssen Betriebs- und Personalräte auch bei Werkverträgen und Leiharbeit ein zwingendes Mitbestimmungsrecht erhalten.

Gute Arbeit ist gerecht entlohnt, unbefristet und ab dem ersten Euro sozialversicherungspflichtig. Wer junge Menschen vor prekärer Arbeit schützen will, muss hier ansetzen – und zwar konsequent und ohne Ausnahmen. Das wollen wir mit unserem Antrag, der am Donnerstag zur Debatte steht, erreichen.

linksfraktion.de, 4. November 2015