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Gloria Cuartas im Interview

Im Wortlaut von Heike Hänsel,

Gloria Cuartas ist ehemalige Bürgermeisterin von Apartadó, ausgezeichnet von der Unesco als „Bürgermeisterin für den Frieden“. Bei den Präsidentschaftswahlen Ende Mai hat sie den Polo Democratico unterstützt. Anfang Juni war sie auf Einladung der Fraktion DIE LINKE. Referentin einer Kolumbien-Anhörung im Bundestag.

Was ist der POLO DEMOCRATICO ALTERNATIVO?

Der POLO DEMOCRATICO ALTERNATIVO (P.D.A) oder ALTERNATIVER DEMO-KRATISCHER POL ist eine VEREINIGUNG unterschiedlicher politischer und sozialer Bewegungen. Seine Vorgeschichte liegt im politischen Leben des Landes und in den Jahren der Ausrottung und des politischen Ausschlusses linker Kräfte. Jede dieser politischen und sozialen Kräfte ging ihren eigenen Weg. Vor 8 Jahren sind über den FRENTE SOCIAL Y POLITICO, F.S.P (SOZIALE UND POLITISCHE FRONT) verschiedene Plattformen für den Dialog eröffnet worden und als Teil dieses Prozesses entstanden dann die ALTERNATIVA DEMOCRATICA (Demokratische Alternative) und der POLO DEMOCRATICO INDEPENDIENTE (unabhängiger demokratischer Pol). Adressaten waren Gewerkschaften, Kleinbauern und indianische Bevölkerung, KolumbianerInnen afrikanischer Abstammung, Frauenbewegung, StudentInnen, ArbeiterInnen, UmweltaktivistInnen und viele andere mehr.

Im Dezember 2005 entstand aus den vielfältigen Strömungen von progressiven Linken und Unabhängigen erstmalig eine VEREINIGUNG der Linken. Dies ist eine vereinte Alternative, der sich die reale Möglichkeit eröffnet, zu einer starken politischen Kraft zu werden, die mit Würde auf soziale Veränderungen abzielt; Veränderungen, die Arbeit, Bildung, Gesundheit und öffentliche Daseinsfürsorge für das kolumbianische Volk garantierten sollen; ohne diese Veränderungen wird eine Befriedung des Landes kaum möglich sein.

Was ist Deine Meinung zu den Wahlen?

Die in Kolumbien am 28. Mai 2006 abgehaltenen Wahlen gehörten zu den meistbe-achteten in Lateinamerika und in der Karibik, u. a. auch wegen der Prozesse des Aufbaus und des zivilen Widerstands und der Konsolidierung von alternativen Ansätzen, die sich in Venezuela, Kuba, Bolivien, Ecuador, Brasilien, Argentinien und Uruguay herauskristallisieren. Wir erkennen den Fortschritt des POLO an, denn zum ersten Mal hat sich die Linke in Kolumbien für die Wahlen vereint und 2,6 Millionen Menschen haben für die Vorhaben von POLO, für den Aufbau der Demokratie, für das Leben und für den Frieden gestimmt. Es sind die Stimmen derjenigen, die erkennen, dass es in Kolumbien eine andere Art zu leben gibt, eine andere Art, interne Konflikte zu lösen, die keine Ungleichheit und keinen Ausschluss akzeptieren und auch keine wirtschaftliche, militärische und politische Besetzung unseres Landes durch die Regierung der Vereinigten Staaten.

In welchem Klima fanden die Wahlen statt?

Inmitten eines Klimas der Einschüchterung, der Legalisierung paramilitärischer Handlungen und des Bündnisses mit dem Drogenhandel über das Gesetz "Gerechtigkeit und Frieden"; das die Straflosigkeit fördert, indem es die Paramilitärs in die Gesellschaft integriert, sie legalisiert, ihnen Straffreiheit gewährt und dabei von Rechts wegen ihre grauenhafte Vergangenheit löscht. Die Unterstützung, die dies durch die Medien, den Gesetzgeber, die Machthaber und durch Eingriffe in die Lokal- und Regionalpolitik, in die Parteipolitik und in die Institutionen und auch durch die internationale Zusammenarbeit erfahren hat, lässt bei uns Zweifel aufkommen, ob es unter diesen Umständen tatsächlich möglich ist, von Frieden zu reden. Die Verfassungsänderung zugunsten der Wiederwahl, das war eine Gesetzgebung zu persönlichen Zwecken. Die Wiederwahl ist NICHT das eigentliche Problem, das Problem ist das Programm zur Vertiefung des Krieges, die territoriale Umgestaltung im Dienste multinationaler Unternehmen, wie bereits aus Alvaro Uribes langfristig ausgelegtem Programm "Vision Kolumbien 2019" ersichtlich; schon bevor er seine zweite Amtsperiode antritt, wird im kolumbianischen Parlament bereits ein neues Gesetzesvorhaben vorbereitet, um durch eine erneute Verfassungsänderung eine weitere Wiederwahl zu ermöglichen.

Wie beurteilst Du das Ergebnis und die bisherige Politik von Alvaro Uribe?

Der so genannte Sieg von Alvaro Uribe, d.h. mit 7 Millionen Stimmen, scheint wahrhaftig überwältigend zu sein. Aber man muss auch die starke Wahlenthaltung im Lande berücksichtigen; von 26 Millionen wahlberechtigten Kolumbianerinnen und Kolumbianern sind letztendlich nur 12 Millionen zu den Wahlurnen gegangen.
Die internationale Gemeinschaft sieht Uribe an der Seite derjenigen, die das von den Vereinigten Staaten propagierte Modell des globalen Terrorismus anwenden. Dieses Modell kann in dem Satz zusammengefasst werden: "Wer nicht für die Expansions- und Beherrschungspolitik der Vereinigten Staaten von Amerika ist, der ist auf der Seite des Terrorismus" (eine Aussage, die zum Teil auch eindeutig in der Sicherheitspolitik des Wahlsiegers enthalten ist). Uribe ist in Lateinamerika und der Karibik ein bedingungslos ergebener Verbündeter der USA - diesbezüglich möchte ich daran erinnern, dass im Irak-Krieg Kolumbien eines der Länder gewesen ist, die die Invasion unterstützt haben - und Garant einer Politik, die im Dienste der kolumbianischen Oligarchie steht.
Mit anderen Worten: Seine Politik "des großen Herzens und der harten Hand" bedeutet, die tiefe soziale Ungleichheit aufrechtzuerhalten und die sozialen und bewaffneten Konflikte mit Gewalt zu lösen; dabei wird die von den USA strategisch vorgegebene Kriegspolitik verstärkt und durch den "Plan Patriota" umgesetzt, um durch Waffengewalt den Aufstand auszulöschen, der in der öffentlichen Meinung als Terrorismus dargestellt wird; ohne ein politisches Projekt und ohne Faktoren wie Ungleichheit und historischen Ausschluss der Mehrheit der kolumbianischen Bevölkerung zu berücksichtigen.
Die Einführung des Gemeinschaftsstaates macht den Staat zum gewinnorientierten Unternehmen, Wirtschaftswachstum soll durch Kosteneinsparungen herbeigeführt werden - zum Beispiel durch Reduzierung der Anzahl öffentlicher Angestellter.

Die Rechten konsolidieren sich in einer einzigen politischen Bewegung, in der sich Liberale und Konservative, d.h. die Traditionsparteien Kolumbiens, vereint haben, um sich an der Macht zu halten. Mit dem Wahlsieg der Anhänger und Parteien Uribes, die 63 Prozent der Sitze im Senat und 53 Prozent in der Abgeordnetenkammer erhalten haben, wird die Situation für die linke parlamentarische Plattform schwieriger; einer der hier zu verfolgenden Wege wird die Mobilisierung der Bevölkerung sein. Wir werden den zivilen Widerstand im Lande fortführen als Männer und Frauen, die in einem politischen Prozess wie dem POLO zusammengefunden haben. Allerdings werden die Akteure des zivilen Widerstands, u. a. Angehörige indigener Gemeinschaften, Kolumbianer afrikanischer Abstammung oder die Bauerngemeinschaften größeren Bedrohungen ausgesetzt sein, da die Regierung verstärkt ihre Macht gegen sie einsetzt.

Viele loben Uribe wegen seiner Friedenspolitik, wegen der Demobilisierung der Paramilitärs. Wie ist Situation heute in Kolumbien?

Es ist nicht möglich, in Kolumbien von einer Friedenspolitik zu sprechen. Zurzeit verfestigt sich ein Prozess der Straflosigkeit, der die soziale Bewegung zu einer Spaltung führt. Wir stellen bei der kolumbianischen Opferbewegung eine ablehnende Haltung gegenüber der internationalen Zusammenarbeit fest; es sollen KEINE Prozesse unterstützt werden, die sich gegen die Wahrheit, die Gerechtigkeit und die Entschädigung richten.

Es gibt zum Beispiel die Friedensgemeinde San José de Apartadó. Seit über 9 Jahren verlangt diese Gemeinde, man möge sie respektieren und auf ihrem Territorium leben lassen, ohne ihre Teilnahme an den bewaffneten Auseinandersetzungen zu erzwingen. Das Militär und auch die paramilitärischen Kräfte verstärkten daraufhin die Verfolgung, und es gibt über 620 Fälle der Gewalt gegen die Bevölkerung; von diesen Straftaten sind heute über 170 straffrei gestellt worden, und die Gemeinde wird weiterhin bedroht. Wie diese gibt es Tausende von Fällen, die sich im ganzen Lande wiederholen, sogar in den so genannten "Friedenslabors" [1] besteht die Gewalt gegen die Bevölkerung fort; dies erfordert eine Reaktion, die der Gewalt einen Riegel vorschiebt.

Welche politischen Alternativen gibt es für die Lösung dieses Konflikts?

Der Ausweg aus diesem kolumbianischen Konflikt sind der Dialog und die Politik, aber nicht die Gewalt, nicht das Militär. Auf internationaler Ebene muss die tatsächliche Bedeutung des Plans "Militärische Besetzung Kolumbiens durch die Vereinigten Staaten" erkannt werden; es muss überprüft werden, ob die Unterstützung der Europäischen Union tatsächlich Prozesse von Entwicklung und Frieden in Gang setzt, oder ob es erforderlich ist, nach der Wahl den Dialog mit den sozialen und politischen Organisationen zu intensivieren. Es ist wichtig, entschieden den Dialog zu unterstützen, der humanitäre Abkommen und Verhandlungen zwischen der Guerilla und der Kolumbianischen Regierung ermöglicht. Auch der POLO braucht Unterstützung als politische und soziale Linke, die bestrebt ist, den Dialog zu eröffnen mit verschiedenen Sektoren der Gesellschaft: Unternehmern, Universitäten und Gemeinschaften, und die nicht weiter eine passive Rolle als Zuschauer der Ausrottung und des Völkermords an breiten Schichten der Gesellschaft einnehmen will; wir bestehen auf unserem Recht auf ein Leben in Würde, auf Frieden und auf soziale Gerechtigkeit.

Was erwartest Du von der deutschen und europäischen Politik?

Wir möchten mit ihr einen Dialog eröffnen, um zu zeigen, wie schlimm die Menschenrechtssituation in Kolumbien tatsächlich ist. Kolumbien erfüllt die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen noch immer nicht, und dies müsste die Europäische Union dazu bringen, eine stärkere politische Kontrolle über die Beziehungen mit Kolumbien auszuüben, indem sie auf die Einhaltung besteht. Wir erwarten, dass sie die Rechte der Bauernorganisationen, der indigenen Organisationen und der Kolumbianer afrikanischer Abstammung anerkennt, sowie die Frauenbewegung, die dabei ist, alternative Lebensformen auszuarbeiten; wir wünschen, dass die EU den kolumbianischen Staat auffordert, diese legitimen Alternativen zu respektieren und nicht zu bekämpfen.

Was erwartest Du von der Linken und von den sozialen Bewegungen, wie können sie den Friedensprozess unterstützen?

Die Unterstützung und Solidarität, die wir von deutschen Schwesterorganisationen erhalten haben, waren für uns sehr wichtig, um mit dem Aufbau von Friedensvorschlägen vorankommen zu können.
Also ich glaube, dass es sehr wichtig ist, den POLO als die Kolumbianische Linke und in seinem Recht auf politische Opposition zu unterstützen. Es ist sehr wichtig, eine politische Beziehung mit der deutschen und der europäischen Linken zu vertiefen, die tatsächlich in die internationale Politik, von Europa nach Kolumbien, eingreift. Wir brauchen den wirtschaftlichen, politischen, sozialen und sozialwissenschaftlichen Austausch mit den Organisationen, die an anderen Alternativen in Kolumbien arbeiten.
Wir sollten einen 'Wanderlehrstuhl Kolumbien' für die Schulen in Deutschland einrichten, um das Land mit seinem Potential und mit seinen Schwierigkeiten zu zeigen, als eine Landschaft der Hoffnung. Damit die Kinder ein lebensbejahendes Kolumbien kennen lernen, ein Kolumbien, das die Mitarbeit und die Solidarität braucht, für den Respekt und die Beziehungen unter Gleichen, die uns als Grundlage für die nächsten Generationen dienen möge. Es ist wichtig, zwischen den sozialen Bewegungen in Europa und Kolumbien einen solidarischen Austausch zu entwickeln, der den interkulturellen Dialog und die Friedensarbeit fördert. Wir wollen auch die Kommunikation auf gleicher Augenhöhe mit sozialen Bewegungen Deutschlands vertiefen.

Fragen: Heike Hänsel

[1] Die Friedenslabors sind die Projekte für ganzheitliche Arbeit einer Gemeinschaft, die von der EUROPÄISCHEN UNION in drei Regionen des Landes (in Magdalena Medio, im Osten von Antioquia und im Süden Kolumbiens) unterstützt werden; neuere Untersuchungen zeigen die Erfordernis, dieses Investitionsvorhaben der Europäischen Union zu überprüfen, da es zu wiederholten Menschenrechtsverletzungen gekommen ist und Modelle der territorialen Neuordnung erarbeitet wurden.