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Gleichheit tut gut

Im Wortlaut von Sabine Zimmermann,

Gleichheit tut Gesellschaften gut – so kann man die Forschung von Richard Wilkinson und Kate Pickett zusammenfassen. Das gesellschaftliche Wohlergehen ist größer, wenn Einkommensunterschiede geringer sind – diese Erkenntnis ist weder Sozialromantik noch Utopie, sondern wissenschaftlich belegt. In ihrem Buch „Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind“ haben die beiden britischen GesundheitswissenschaftlerInnen unzählige wissenschaftliche Statistiken verglichen und überall denselben Zusammenhang gefunden: In Ländern, die keine große Schere zwischen Arm und Reich zeigen, sind auch gesundheitliche und soziale Probleme kleiner: Die Lebenserwartung ist höher und die Säuglingssterblichkeit niedriger. Kinder können besser lesen, schreiben und rechnen. Es sitzen weniger Menschen im Gefängnis, und das gegenseitige Vertrauen ist größer. Diese Ergebnisse überraschen mich nicht. Aber die Breite der Belege ist beeindruckend.

Wenn CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen demnächst eine Koalition auszuhandeln versuchen, sollten sie das nicht ausblenden. In der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik bestehen zwischen Grünen und FDP massive Unterschiede, und auch der Arbeitnehmerflügel der Union kann kaum unbefangen in eine solche Koalition gehen. Es ist zu hoffen, dass diese Konflikte nicht nur mit Glaubenssätzen vom Wirtschaftswachstum als Allheilmittel bestritten werden, sondern auch mit Fakten.

Wer dazu nicht gleich ein ganzes Buch lesen möchte, findet eine Zusammenfassung in Wilkinsons Kurzvortrag „Wie ökonomische Ungleichheit Gesellschaften schadet“. Der Forscher drückt sich darin klar aus: „Die Botschaft zum Mitnehmen ist, dass wir die tatsächliche Qualität menschlichen Lebens verbessern können, wenn wir die Einkommensunterschiede zwischen uns beheben.“ Denn vom wirtschaftlichen Stand eines Landes hängt Lebensqualität nur begrenzt ab. Auf dem hohen Niveau von westeuropäischen Ländern und Nordamerika steigert Wirtschaftswachstum nicht mehr das allgemeine Wohlergehen. Gesellschaftlicher Wohlstand ist eben kein Kuchen, dessen Stücke automatisch größer werden, wenn der ganze Kuchen wächst. Stattdessen kommt es auf die Verteilung an. Neoliberale machen dann gerne Panik, dass Menschen bequem werden. Aber die Realität widerlegt diesen Mythos von der anspornenden Wirkung von Ungleichheit. Das Gegenteil ist wahr: In Ländern mit gleicheren Einkommen ist die soziale Mobilität höher, berufliche Aufstiege sind verbreiteter. Wilkinson fasst das präzise zusammen: „Wenn Amerikaner den Amerikanischen Traum leben wollen, sollten sie nach Dänemark gehen.“

Diese Erkenntnisse sollten endlich auch bei Union und FDP ankommen – zumindest bei den Teilen mit sozialem Gewissen. Wenn sie jetzt den Mindestlohn aushebeln wollen anstatt ihn zu erhöhen, wenn sie Armut als allgemeines Problem ignorieren, dann müssen sie wissen, was sie tun: Sie schaden diesem Land. Und sie bereiten den Boden für die AfD. Unter der abgewählten großen Koalition ist die Armutsquote gestiegen,  Einkommen sind ungleicher geworden. Eine zukünftige Bundesregierung muss hier endlich eine bessere Bilanz schaffen. Die Bekämpfung sozialer Ungleichheit muss zur Chefsache werden – das lohnt sich für die gesamte Gesellschaft.