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Gesetz ist mächtig, mächtiger ist die Not

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,

Zum Eigeninteresse des Goethe-Instituts an der Aufrechterhaltung von verpflichtenden Sprachkursen im Ausland vor dem Ehegattennachzug. Ein Gastbeitrag in MiGAZIN von Sevim Dagdelen.



Matthias Makowski, bis vor kurzem Leiter der Abteilung Sprache des Goethe-Instituts, rechtfertigte in der Süddeutschen Zeitung vom 2. April 2012 die seit 2007 geltende Regelung im Aufenthaltsgesetz, wonach Ehe- und Lebenspartner im Ausland einen Deutsch-Test bestehen müssen, bevor sie zu ihren Partnern in Deutschland ziehen dürfen. Die Überschrift des Beitrags lautete „Goethe und die Liebe“. Allerdings ist zu vermuten, dass der Namensgeber der deutschen Sprachinstitute sich im Grabe umdrehen würde, wenn er wüsste, wie die deutsche Sprache genutzt wird, um Liebende auseinanderzubringen bzw. um ihr Zusammenkommen zu erschweren.

Es ist bemerkenswert zu sehen, wie Verbandsinteressen eine realitätsnahe und abgewogene Sicht behindern können. Selbstverständlich ist das Goethe-Institut daran interessiert, die Vielzahl der infolge der neuen Regelung entstandenen Sprachkurse aufrecht zu erhalten. Sie stärken die Bedeutung des Instituts für die Politik, sorgen für finanzielle Einnahmen und schaffen Arbeitsplätze für Lehrkräfte. Soweit, so gut. Doch dass die allermeisten Menschen nicht freiwillig, sondern gezwungenermaßen in diese Kurse gehen, räumt auch Makowski ein. Die Betroffenen würden die deutsche Sprache nämlich lieber in Deutschland, im deutschen Sprachumfeld und mit Unterstützung ihrer Ehepartner erlernen. Makowski erklärt in entwaffnender Offenheit, dass für viele der Spracherwerb im Ausland so schwierig und belastend ist, etwa wenn ein Kurs nur in weiter Entfernung vom Heimatort angeboten wird, dass eine institutionelle „psychologische Begleitung“ erforderlich wird. Ist das, was das Goethe-Institut unter günstigem Lernumfeld versteht?

Die zur Rechtfertigung vorgebrachte Aussage, dass Menschen, die erfolgreich einen Sprachkurs besucht haben, froh hierüber sind und die neuen Kenntnisse als „hilfreich“ empfinden, ist banal. Ja was denn sonst? Solche Erfolgserlebnisse hätten die Betroffenen aber genauso und umso mehr nach einem entsprechenden Kursbesuch in Deutschland! Das Lob der Sprachkurse im Ausland wird jedoch zynisch, wenn man bedenkt, was Makowski ausblendet: Nur eine Minderheit hat überhaupt die Möglichkeiten und Mittel, einen Sprachkurs des Goethe-Instituts im Ausland zu besuchen. In einigen Ländern gibt es überhaupt keine entsprechenden Angebote, in anderen lediglich in großen Städten und keinesfalls flächendeckend. So mussten im Jahr 2010 weltweit 77 Prozent aller Prüfungsteilnehmenden ohne vorherigen Kurs beim Goethe-Institut auskommen, und 37 Prozent von ihnen fielen bei der Deutsch-Prüfung durch. Hat Herr Makowski diese Menschen überhaupt im Blick? Die Bundesregierung schon. Sie nimmt es als Resultat ihrer Politik billigend in Kauf, dass viele tausend Menschen jährlich aufgrund einer unzureichenden Punktzahl in einem Sprachtest für eine unabsehbare Zeit zwangsweise von ihren Liebsten getrennt werden. Für die Betroffenen ist dies eine kaum erträgliche Zeit des Leidens und Verzweifelns an den deutschen Gesetzen, wie ich aus einer Vielzahl von Einzelfällen weiß. Ist Herr Makowski der Auffassung, dass die Gewährleistung des Menschenrechts auf Familienzusammenleben vom Bestehen eines Deutsch-Tests abhängig gemacht werden darf – und zwar ohne Rücksicht darauf zu nehmen, welche Bildungs- und Sprachlernerfahrungen, welche konkreten Sprachlernmöglichkeiten die Betroffenen haben und ob sie womöglich erst einmal alphabetisiert werden müssen? Nur ein von den realen sozialen Verhältnissen abstrahierendes vermeintliches Bildungsbürgertum kann eine solche Regelung mit einer ihr innewohnenden sozial selektiven Wirkung gut heißen und rechtfertigen. Der politische Kontext einer restriktiven Einwanderungspolitik nach Nützlichkeitskriterien darf aber nicht ausgeblendet werden.

Geradezu grotesk ist, wenn jetzt auch noch – unter dem schönfärberischen Titel „Übergangsmanagement“ – Spracherhaltungs-Angebote geschaffen werden sollen, da die im Ausland mühsam erworbenen Deutschkenntnisse bis zum Beginn des in Deutschland ohnehin noch einmal erforderlichen Sprachkurses zumeist wieder verloren gehen. Die Betroffenen fangen in Deutschland fast alle wieder bei Null an, wie selbst ein Vertreter der Ministerialbürokratie bei einer Anhörung im Deutschen Bundestag einräumen musste. Man könnte somit sagen, bei der Regelung handelt es sich um eine Schikane ohne Sinn und Verstand – wenn es nicht ihr eigentlicher, unausgesprochener Zweck wäre, die Einreise von sozial ausgegrenzten, bildungsbenachteiligten Menschen im Rahmen einer allgemein restriktiven Einwanderungspolitik zu erschweren.

Makowski räumt offen ein, dass der vorgebliche Zweck der Regelung, Zwangsverheiratungen zu verhindern, „natürlich“ nur „höchst begrenzt“ erfüllt werde. Und deshalb stimmt, was auch Makowski ahnt: Nachdem die Rechtsprechung in Deutschland so kläglich versagt hat, wird der Europäische Gerichtshof diese europa- und menschenrechtswidrige Regelung kippen, sobald er hierzu die Gelegenheit erhält. Deutschland hat mit der Auslagerung des Spracherwerbs ins Ausland einen Irrweg beschritten, bei dem ihm kaum ein anderes EU-Land gefolgt ist. Im Gegenteil: Selbst die ausländerrechtlich wahrlich nicht mit Samthandschuhen agierenden Niederlande haben diesbezüglich infolge der Rechtsprechung bereits einen Rückzieher machen müssen. Es ist nur noch eine Frage der Reihenfolge, ob der Gerichtshof zuerst einen Verstoß gegen EU-Recht im Allgemeinen oder einen Verstoß gegen das EWG-Türkei-Abkommen im Besonderen feststellen wird. Die Bundesregierung sollte im Interesse der Menschen hierauf nicht mehr warten und die Initiativen der Opposition im Bundestag zum Anlass nehmen, eine zutiefst ausgrenzende Regelung endlich zurückzunehmen. Denn die Liebe spricht nicht Deutsch.

MiGAZIN, 5. April 2012