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»Genauso schlimm wie befürchtet«

Interview der Woche von Klaus Ernst,

 

Klaus Ernst, Leiter des Arbeitskreises Wirtschaft, Arbeit und Finanzen, im Interview der Woche über die Handelsabkommen TTIP, TiSA und CETA, die Aushebelung sozialer Standards, Investor-Staat-Schiedsverfahren und die Erfolgsaussichten einer Europäischen Bürgerinitiative (EBI) gegen TTIP

 

Im Juli ist die sechste Verhandlungsrunde der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zwischen EU und USA abgeschlossen worden. TTIP soll, so die Befürworter, den Handel erleichtern und den wechselseitigen Marktzugang verbessern. Umgekehrt gefragt: Worin bestehen eigentlich die Handels- oder Marktzugangsbarrieren?

Klaus Ernst: Zum einen ist der öffentliche Beschaffungsmarkt der USA bisher nicht für ausländische Anbieter geöffnet, zum anderen gelten unterschiedliche Zulassungsregelungen oder verschiedene Normen und Standards. Diese sollen nun aneinander angeglichen werden. Vielfach genanntes wird etwa die Farbe von PKW-Blinkern. In den USA müssen sie rot sein,in der EU gelb. Doch dieses Beispiel lenkt vom eigentlichen Problem ab: Die unterschiedlichen Standards sind Ausdruck unterschiedlicher Produktionsverfahren und Schutzniveaus. So sind bei uns im Sinne der Verbraucher- und Gesundheitsschutzes Wachstumshormone in der Tiermast oder bestimmte Chemikalien in Lebensmitteln und Kosmetika verboten, andersrum gelten in den USA strengere Zulassungsvorschriften für Arzneimittel. Wie gemeinsame Regeln vereinbart werden sollen, ohne dass eine Seite ihre Standards senken muss, ist mir völlig schleierhaft.

Welche Folgen haben die Menschen in Deutschland und Europa zu befürchten, sollte TTIP Realität werden?

Da uns noch kein endgültiger Text vorliegt, ist es natürlich schwierig, konkrete Wirkungen zu nennen. Klar ist, dass die Verhandlungen ein weites Themenspektrum abdecken, es geht nicht nur um den Handel. Effekte gäbe es deshalb auch auf die Arbeitswelt, beim Verbraucher-, Daten- und Umweltschutz und der Lebensmittelsicherheit. Auch die Landwirtschaft wäre stark betroffen, denn sie müsste sich verstärkt gegen US-Waren behaupten, die ganz anders produziert werden. Insgesamt wird der Druck auf die Beschäftigten steigen und in unterschiedlichsten Bereichen würde die Anerkennung der Gleichwertigkeit der Standards dazu führen, dass sich zumeist die kostengünstigere Alternative bei der Produktion und im Handel durchsetzen wird.

EU-Handelskommissar und Chefunterhändler Karel de Gucht sagte in der vergangenen Woche in einem Zeitungsbeitrag, es gehe nicht darum, Standards abzusenken. Er meinte, in Deutschland würden die Gefahren von TTIP übersteigert wahrgenommen, die Chance hingegen nicht gesehen...

Die Menschen haben eine andere Warte als die EU-Kommission. Für die EU-Kommission stehen offenkundig die Interessen international tätiger Unternehmer im Vordergrund – worüber sich die EU-Kommission freuen mag. Für die breite Bevölkerung sind jedoch ganz andere Punkte wichtig: gut bezahlte sichere Jobs, vertrauenswürdige Lebensmittel und Produkte, eine intakte Umwelt. Doch Ziel des Abkommens sind eben nicht höhere Standards zum Wohle der Allgemeinheit. Die Verhandlungen sind darauf ausgerichtet, die Bedingungen für die Unternehmen zu erleichtern, oft geht dies nur auf Kosten der Bevölkerung oder der Umwelt.

Können Sie an einem Beispiel zeigen, wie Standards durch TTIP unterlaufen werden könnten, selbst dann, wenn in den EU und USA auch nach den Verhandlungen unterschiedliche Standards und Rechtsvorschriften bestehen?

Es sollen unterschiedliche Standards anerkannt werden, wenn das Schutzniveau gleich scheint. Was das heißt, lässt sich sehr schön am viel diskutierten Chlorhuhn zeigen. Trotz Chlorbad wird das US-Endprodukt nicht zwingend ungesünder sein als das europäische. Aber es geht eben auch um die Prozessqualität: In Europa muss das Hähnchen vom Stall bis zur Ladentheke so erzeugt werden, dass eine Trinkwasserbehandlung des Fleisches ausreicht, um die Hygienestandards zu erfüllen. In den USA hingegen eine Oberflächenbehandlung mit Chlor am Ende des Prozesses. Bei Anerkennung der US-Standards könnte eine bäuerliche und artgerechte Fleischerzeugung beim Rennen um Marktanteile nicht mithalten.

Ein Freihandelsabkommen, das im Geheimen verhandelt wird – das klingt paradox. Welche Interessen sorgen dafür, dass das so ist, und wer sitzt an den Verhandlungstischen?

Am Verhandlungstisch sitzen Vertreter der EU-Kommission und Vertreter der USTR (Office of the United States Trade Representative), also Technokraten und Beamte. Dabei hat sich zumindest die neoliberal geprägte EU-Kommission verselbständigt. Das sieht man etwa beim Streit mit den EU-Mitgliedsstaaten um die Frage, ob gemischtes Abkommen oder nicht (d.h. ob die nationalen Parlamente zustimmen müssen oder nicht) und beim Investitionsschutz. Heribert Prantl beschreibt das zu Recht in der Süddeutschen Zeitung so: "Die Europäische Union geht bei den Verhandlungen über die diversen Freihandelsabkommen mit ihren Bürgern und den nationalen Parlamenten um wie die Eltern mit ihren Kindern in der Vorweihnachtszeit: Man tut sehr heimlich, man trifft die Vorbereitungen hinter verschlossenen Türen; (…) So kann man mit dem Souverän, so kann man mit den Parlamenten nicht umgehen. (…) Die Heimlichtuerei diskreditiert die Abkommen in toto.“

Welche Rolle spielt dabei die Bundesregierung, die ja zumindest versprochen hat, sich für mehr Transparenz einzusetzen?

Das sind Lippenbekenntnisse. Am Ende kann sich die Bundesregierung immer hinter den anderen EU-Mitgliedsstaaten verstecken. So regt die Bundesregierung zwar die Veröffentlichung des Verhandlungsmandates an, verweist aber darauf, dass sie sich mit ihrer Position im Handelsrat der EU nicht gegen die anderen Mitgliedsstaaten durchsetzen konnte. Die Bundesregierung ist ein politisches Schwergewicht in Europa. Wäre es ihr ernst mit der Transparenz, könnte sie diese durchsetzen. Offenbar hat sie andere Prioritäten.

Es gibt noch ein weiteres Abkommen, über das derzeit verhandelt wird. Es nennt sich TiSA (Trade in Services Agreement). Worum geht es?

TiSA ist ein plurilaterales Dienstleistungsabkommen, das von 23 WTO-Mitgliedern verhandelt wird – wie üblich im Geheimen. Wieder geht es um Marktöffnung für ausländische Anbieter, hier beschränkt auf den Dienstleistungsbereich. Doch unter den Dienstleistungsbegriff fallen auch die Wasser- und Energieversorgung, das Finanz-, Gesundheits- und Bildungswesen. Mit einer weiteren Deregulierung dieser Bereiche werden Privatisierungen begünstigt. Nur explizit gelistete Dienstleistungen sollen davon ausgeschlossen sein. Durch eine "Standstill-Klausel" soll das aktuelle Liberalisierungsniveau festgeschrieben werden und über eine "Ratchet-Klausel" sollen alle künftigen Liberalisierungsschritte von Dienstleistungen automatisch neues Verpflichtungsniveau werden. Damit dreht sich die Spirale der Liberalisierung ständig weiter und so beschränkt TiSA politische Handlungsspielräume.

In der vergangenen Woche hieß es das Freihandelsabkommen zwischen EU und Kanada (CETA) sei ausverhandelt. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) erklärte, er gehe davon aus, dass die Zustimmung des Bundestags benötigt werde. Ein gutes Zeichen?

Ich halte die Beteiligung der nationalen Parlamente für eine Grundvoraussetzung. Es ist im Grunde eine Selbstverständlichkeit, dass politische Entscheidungsträger für einen möglichst demokratischen Abstimmungsprozess sorgen. Ein gutes Zeichen ist die damit notwendige Zustimmung auch des Bundesrates erst dann für mich, wenn eine der Länderregierungen auch wirklich den Mut finden wird, gegen allen Druck die eigene Zustimmung zu versagen.

Mitte Juli hat sich eine Europäische Bürgerinitiative (EBI) gegründet, die TTIP zu Fall bringen will. Von wem wird sie getragen und bestehen Aussichten auf Erfolg?

Es gibt ein europaweites Bündnis "Stop TTIP". Dieses hat im Juli die EBI gegen TTIP und die Ratifizierung von CETA bei der Europäischen Kommission angemeldet. Das Bündnis wächst stetig und besteht derzeit aus an die 150 Organisationen aus 18 EU-Mitgliedsländern. In Deutschland koordinieren Attac, Campact, BUND, Mehr Demokratie e.V., das Umweltinstitut München und der NABU die EBI. Der Parteivorstand der LINKEN und die Europäische Linke (EL) haben die aktive Unterstützung der EBI beschlossen. Zum Erfolg der EBI müssen innerhalb eines Jahres europaweit eine Million Unterschriften zusammenkommen. Dann muss sich die Europäische Kommission mit dem Thema befassen. Die EBI ist also formal schwach, aber politisch ein starkes Signal. Angesichts der großen Skepsis gegenüber TTIP gehe ich von einem Erfolg für die Anti-TTIP-EBI aus.

Warum ist der Protest gerade jetzt wichtig und nicht erst, wenn TTIP Realität ist?

Ist das Freihandelsabkommen erstmal beschlossene Sache, wird es noch schwerer sein, einzelne Regelungen oder das ganze Abkommen wieder zu kippen. Keiner der Verhandlungspartner möchte über ein Aufzurren des Gesamtpaketes wieder einzelne für ihn vorteilhafte Regelungen gefährden. Der Protest ist also jetzt gefragt. Das gilt insbesondere auch beim CETA-Abkommen mit Kanada. Die Vertragstexte stehen. Ende September soll das Abkommen paraphiert werden. Seit Freitag liegt allen Bundestagsabgeordneten der Text vor, eine erste Sichtung zeigt: Das Abkommen ist genauso schlimm wie befürchtet – auch Investor-Staat-Schiedsverfahren sind drin und zwar mit weitgefasstem Spielraum für die Schiedsgerichte.

linksfraktion.de, 12. August 2014