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Für Krieg kein Verständnis

Im Wortlaut von Stefan Liebich,


 

Von Stefan Liebich, für DIE LINKE Obmann im Auswärtigen Ausschuss


Die ukrainische Armee bombardiert die ukrainische Großstadt Donezk. Die NATO führt Seemanöver im Schwarzen Meer durch, um "Stärke zu zeigen". Russland lässt laut Medienberichten an der ukrainischen Grenze tausende Soldaten aufmarschieren.

"Ja, sind die denn alle wahnsinnig geworden?", möchte man fragen. Da wird mit eindrucksvollen Worten an den Beginn des Ersten Weltkriegs vor einhundert Jahren erinnert und gleichzeitig gehandelt, als hätte man nichts dazu gelernt. Der mutmaßliche Abschuss eines Passagierflugzeugs von Malaysia Airlines über dem Osten der Ukraine riss 298 Menschen in den Tod. Sie hatten nichts mit dem Konflikt zu tun, der gegenwärtig in unserem europäischen Nachbarland tobt. Plötzlich spürt man, wie nahe die militärischen Auseinandersetzungen sein können. Fliegt man in den Urlaub über den syrischen Bürgerkrieg mit seinen inzwischen über 160.000 Toten? Geht die Route vielleicht über den Irak, wo eine islamistische Terrororganisation mit brutaler Gewalt für einen neuen Staat kämpft? Über den Nahen Osten, wo der seit Jahrzehnten schwelende Konflikt zwischen den Palästinensern und Israel zu einem neuen Krieg führte oder eben über die Ukraine?

Was die Konfliktparteien antreibt

Es ist notwendig, den Konflikt in unserer Nachbarschaft ganz besonders ernst zu nehmen. Wer in einer derart verfahrenen Situation helfen und vermitteln will, muss nachvollziehen können, was die Konfliktparteien wollen, was sie antreibt. Unsere Partei und unsere Fraktion setzen für Russland den gleichen Maßstab an, wie bei jedem anderen. Deshalb haben wir am Beginn der Krise klar formuliert, dass Russlands Präsident Putin und seine Regierung falsch und völkerrechtswidrig gehandelt haben, als sie mit Annexion der Krim einseitig Grenzen in Europa verschoben haben. Zu Recht hat dies die Vollversammlung der Vereinten Nationen verurteilt. Auch Putins Antrag an den Föderationsrat Russlands, russische Soldaten auf ukrainischem Territorium zum Schutze russischer Bürger einzusetzen, war ein eindeutiger Verstoß gegen das Verbot der Androhung militärischer Gewalt, wie es die Charta der Vereinten Nationen formuliert und wird von uns in aller Deutlichkeit kritisiert.

Es ist aber wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, warum Russland so handelt, wie es handelt. Putin sah seine Vision einer Eurasischen Gemeinschaft bedroht von einer Ukraine, die sich – in eine Entweder-oder-Situation gebracht – für die Europäische Union, womöglich sogar die NATO entscheiden würde. Er sah sich, nicht zu Unrecht, betrogen vom Westen, der beim Fall des Eisernen Vorhangs versprach, dass die NATO sich "nicht einen Inch" weiter nach Osten bewegen würde. Er fühlt sich eingekreist von einem Raketenabwehrschild, der an seinen Grenzen errichtet wird. Die Reaktionen Russlands darauf stehen jedoch den zentralen Interessen Russlands nach einer stabilen Entwicklung in einem friedlichen Umfeld arg entgegen.

Ist das im Interesse Russlands? Hat Putin das gewollt?

Die Kalten Krieger im Westen haben nun einen "Weckruf" für die NATO gehört, wollen ihre Verteidigungsetats erhöhen und planen mehr Aktivitäten ihrer Armeen an den Grenzen zwischen NATO und Russland. Der Zustrom von Kämpfern und Waffen über die Grenze zur Ukraine hat eine dauerhaft unkalkulierbare Sicherheitslage für Russland geschaffen. Die Propaganda in den Medien, die mit Journalismus nur noch wenig gemein hat, vergiftet nachhaltig die Beziehungen zwischen den Menschen in den beiden Ländern, die dauerhaft miteinander auskommen müssen, da sie ja Nachbarn bleiben werden. Und schließlich führen die immensen Kosten der Annexion der Krim und die Konsequenzen der – aus meiner Sicht falschen, weil nicht zielführenden – Sanktionen des Westens zu Belastungen, die die Menschen in Russland unweigerlich spüren werden. Ist das im Interesse Russlands? Hat Putin das gewollt? Nein, hier verstehe ich ihn nicht mehr. Ich verstehe auch den ukrainischen Präsidenten Poroschenko nicht, der glaubt, mit einem Krieg im eigenen Land einen Konflikt lösen zu können, der zwar auch, aber eben nicht nur auf einem Konflikt mit Russland beruht, sondern längst schon zwischen Nachbarn und Familien geführt wird. Ich verstehe den Generalsekretär der NATO, Rasmussen, nicht, der meint "der Kreml würde nur die Sprache der Einheit und Stärke des Westens verstehen". Das aber sind die Sprache und das Denken aus der Zeit der Kuba-Krise 1962.

Resignation ist keine Option für die internationale Politik. Was in den 1980er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gelang, sich trotz des NATO-Doppelbeschlusses, trotz des sowjetischen Einmarschs in Afghanistan und trotz der Verhängung des Kriegsrechts in Polen bei der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in Madrid an einen Tisch zu setzen und über unterschiedliche Interessen zu reden und akzeptable Lösungen zu finden, das muss auch heute möglich sein.


linksfraktion.de, 7. August 2014