Zum Hauptinhalt springen

»Für eine Politik der Anti-Wachstumsimpulse«

Im Wortlaut von Sabine Leidig,

 

Am Dienstag beginnt die 4. Internationale "Degrowth"-Konferenz in Leipzig. Sabine Leidig, verkehrspolitische Sprecherin und Koordinatorin für die Projektgruppe sozialökologischer Umbau sowie Mitglied der Enquête-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität…“ des Deutschen Bundestages, spricht im Interview über eine Welt, in der Wachstum nicht mehr das Maß aller Dinge ist.


Worum geht es eigentlich bei dieser Konferenz und warum ist dies für Sie als LINKE interessant?

Das Mantra, dass die Wirtschaft immer weiter wachsen muss, formt unsere heutige Welt – auf Kosten von Lebensqualität, unter Ausbeutung der Natur und in immer schärferer Konkurrenz.
Mit "Degrowth" ist eine Verringerung von Produktion und Konsum gemeint, die menschliches Wohlergehen, die ökologischen Bedingungen und die Gleichheit auf diesem Planeten fördert. "Degrowth" stellt nicht nur das Bruttoinlandsprodukt als zentralen Politikmaßstab in Frage, sondern sucht Wege für einen radikalen Wandel unseres Wirtschaftssystems, damit mehr Raum ist für menschliche Kooperation, intakte Ökosysteme und neue demokratische Institutionen für gerechtere Verteilung der Ressourcen. Diese Anliegen sind mit den Zielen der LINKEN identisch und es ist gut, unsere Vorstellungen zur Überwindung des Kapitalismus in die Debatte zu bringen.

Mit mehr als 2.500 Anmeldungen war die "Degrowth-Konferenz" schon vor vier Wochen ausgebucht. Woher kommt dieses große Interesse?

Seit etwa 15 Jahren gehen weltweit Menschen auf die Straße und engagieren sich für einen freiwilligen, gerechten und nachhaltigen Schrumpfungsprozess. Neben dem organisierten Widerstand gegen allerlei unsinnige Großinvestitionen stehen unzählige Initiativen und Nischenprojekte mit Tauschbörsen, Gemeingütern, Reparaturwerkstätten und lokaler Lebensmittelproduktion usw. 2010 waren schon über 3.000 Interessierte beim Attac-Kongress "Jenseits des Wachstums" in Berlin. Inzwischen sind eine Reihe neuer Gruppierungen entstanden. Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen, sehr viel junge Menschen (Studierende vor allem) haben sich über Wachstumskritik politisiert. Ich sehe starke Parallelen zur globalisierungskritischen Bewegung.

Welche Aspekte oder Positionen sind aus Ihrer Sicht besonders wichtig – auch für die Linke?

Das Wichtigste ist, dass die Verantwortung für die notwendigen Veränderungen nicht privatisiert wird, sondern politisiert. Moralische Appelle, wie "Konsumiert weniger!", führen in die Irre, wenn nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse geschaffen werden, die ökologisches und solidarisches Leben für alle möglich machen. Dazu sind auch Gesetze, Regeln, Angebote und Infrastrukturen nötig. Für Beschäftigte in zu schrumpfenden Industrien braucht es planmäßige und sozial abgesicherte Übergänge. Wir brauchen eine Politik der Anti-Wachstumsimpulse – gegen die Wachstumsstrategien, die mit Freihandelsabkommen wie CETA/TTIP oder mit dem Fiskalpakt verfolgt werden. Die Macht von Konzernen und Finanzindustrie muss eingeschränkt und wesentliche Güter wie Wasser, Energie, Rohstoffe oder Grund und Boden müssen gemeinnützig bewirtschaftet werden. Öffentliche Dienste und öffentliche Unternehmen sind an den Zielen der sozialen und ökologischen Gerechtigkeit auszurichten.

Nicht zuletzt geht es auch darum, den Kampf um das Ganze der Arbeit zu erneuern: für weniger, aber bessere Erwerbsarbeit; für die geschlechtergerechte Verteilung von Sorgearbeit; für mehr Zeit zum Leben, Lernen, Lieben, Lachen.

Wie sieht Ihre Beteiligung an der Konferenz in Leipzig aus?

Ich habe zu meinem Fachthema ein Impulspapier eingereicht und ein Panel vorbereitet unter dem Motto "Mobilität für alle – mit weniger Verkehr". Als Gäste sprechen dort die Mitorganisatorin des Europäischen Forums gegen unnütze Großprojekte Maggie Klingler-Lauer vom Stuttgart21-Protest, Patrick Kayemba aus Uganda als Experte für nachhaltigen Verkehr in Afrika und Winfried Wolf, der die Globalisierung des Tempowahns untersucht hat. Dazu zwei Workshops, in denen es um Low-Cost-Mobility geht und um die Frage, wie wir Vernetzung und Protest für Alternativen zur zerstörerischen Verkehrspolitik weiter entwickeln können. Außerdem diskutiere ich auf einem Podium mit MdB-Kolleg*innen zu den Ergebnissen der Wachstums-Enquête-Kommission.

Was kann die LINKE im Bundestag zu einer "Postwachstumsgesellschaft" beitragen?

Wir haben einerseits mit unserem Projekt "Plan-B, der rote Faden für sozialökologischen Umbau" eine Perspektive entworfen, die eine Degrowth-Utopie mit konkreten politischen Schritten verknüpft. Für die zentralen Felder Energie, Landwirtschaft, Verkehr  und Industrie haben wir mittelfristige Ziele und Wege dorthin skizziert. Ich denke, dass diese Arbeit und die Diskussionen, die wir dazu in Partei und Fraktion organsiert haben, hilfreich sind.

Im Übrigen sehe ich es als unsere Aufgabe, Positionen und Forderungen aus der Degrowth-Bewegung im Bundestag zur Sprache zu bringen, parlamentarische Initiativen daraus zu entwickeln und das hohe Haus mit den außerparlamentarischen Herausforderungen zu konfrontieren.


linksfraktion.de, 1. September 2014