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Für eine offene Einwanderungsgesellschaft – gegen ausgrenzende Punktsysteme

Kolumne von Sevim Dagdelen,

 

Von Sevim Dagdelen, Sprecherin für Migrations- und Integrationspolitik der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 

Im Schlepptau der Pegida-Märsche und deren verschiedenen Ablegern geben jetzt CDU/CSU, SPD und auch Grüne dem Druck nach. Als Reaktion auf die Demonstrationen steht das Thema "Zuwanderung" wieder ganz oben auf der Agenda. Während die CSU erneut nach einer Verschärfung der Asylpolitik ruft, wollen CDU, SPD und Grüne – unabhängig von Differenzen zwischen ihnen und innerhalb der Parteien – die selektive Steuerung der Einwanderung nach Kosten-Nutzen-Kalkül auf eine "neue" gesetzliche Grundlage stellen. Vergessen wird dabei, dass etwa 60 Prozent aller Einwanderinnen und Einwanderer in Deutschland im Rahmen der EU-Freizügigkeitsregelungen aus einem anderen Mitgliedstaat der EU kommen. Ihre Einwanderung kann nicht kontingentiert werden, da sie sich auf einen Rechtsanspruch stützt. Die Einwanderung von Asylsuchenden lässt sich ebenfalls nicht begrenzen, sollen beim Schutz von Flüchtlingen nicht Grundgesetz und internationales Recht außer Kraft gesetzt werden. Auch der Familiennachzug ist menschenrechtlich besonders geschützt, was die Bundesregierung allerdings nach wie vor in Teilen ignoriert.

Einreise nach Punkten?

Es geht also um so genannte "Drittstaatsangehörige", Menschen, die nicht aus anderen EU-Staaten kommen. Und hier schielen CDU/CSU, SPD und Grüne wie die FDP und AfD gemeinsam mit der deutschen Wirtschaft auf die Hochqualifizierten und Fachkräfte mit besonders gefragten Berufsqualifikationen. Deren Einreise soll mittels eines Punktesystems "geregelt" werden. SPD und Grüne verfolgen dabei die Idee eines Punktesystems erneut, das sie mit dem so genannten "Zuwanderungsgesetz" im Jahr 2004 nicht durchsetzen konnten und als schlagkräftige Waffe in der internationalen Konkurrenz um die "fähigsten Köpfe" dienen soll. Dabei wird mit dem Argument eines vermeintlichen Fachkräftemangels gearbeitet. Den gibt es aber laut Bundesagentur für Arbeit nicht; zumindest nicht flächendeckend. Die Engpässe in einzelnen Berufen – neben technischen Berufsfeldern vor allem bei Gesundheits- und Pflegeberufen – sind zudem hausgemacht, zum Beispiel durch schlechte Arbeits- und Entlohnungsbedingungen und durch den Kahlschlag in der Arbeitsmarktpolitik und der beruflichen Weiterbildung.

Ein Einwanderungsgesetz wird an diesen strukturellen Defiziten nichts ändern. Es wird schon gar nicht die rechtliche Stellung von Einwanderern verbessern. Die strukturelle Diskriminierung und soziale Ausgrenzung von Migrantinnen und Migranten wird durch die nach "Nützlichkeit" eines Menschen orientierte Migrationspolitik neoliberaler Ideologie noch weiter verschärft werden. Der aktuell diskutierte Fachkräftemangel mit der Forderung nach erleichterter Einwanderung von Hochqualifizierten orientiert sich ausschließlich an den Interessen und Bedürfnissen der Wirtschaft.

Scheinargument Fachkräftemangel

Der von Wirtschaftsverbänden beklagte Fachkräftemangel ist, wenn er so überhaupt existiert, hausgemacht. Seit Jahren schaffen die Unternehmen zu wenig Ausbildungsplätze oder bauen Stellen ab und verweigern sich ihrer Verantwortung mit der Begründung, zu viele  Schulabgänger und -abgängerinnen seien nicht ausbildungsfähig. Tatsächlich wollen sie in die Qualifikation von jungen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund nicht investieren. Seit Jahren wird die Wirtschaft regelrecht dafür belohnt, dass sie die Jugendlichen nicht mehr ausbildet und Lohndumping mit staatlicher Unterstützung betreibt. Die Forderungen nach mehr Fachkräften aus dem Ausland sollen dafür sorgen, dass der Arbeitsmarkt ein Nachfragemarkt ist. Und somit weiterhin ein Lohndruck nach unten aufrecht erhalten werden kann. Denn je mehr potenzielle Bewerberinnen und Bewerber zur Verfügung stehen, desto weniger müssen sich die Unternehmen hinsichtlich ihrer Ausbildungs- und Lohnpolitik bewegen. Und die Beschäftigten können besser gegeneinander ausgespielt werden. Dabei arbeiten bereits ein Drittel der Migrantinnen und Migranten derzeit im Niedriglohnbereich. Sie bekommen bis zu 40 Prozent weniger Geld als jene ohne Migrationshintergrund.

Die 2012 eingeführte "EU-Blue Card"-Regelung zeigt, wohin die Reise gehen soll: Weit unter den durchschnittlichen Verdiensten liegende Gehaltsgrenzen ermöglichen es Fachkräften aus Nicht-EU-Staaten Beschäftigungsverhältnisse in der EU aufzunehmen und dabei in eine üble Konkurrenzsituation auf dem Rücken der Beschäftigten zu treten.

DIE LINKE ist für eine offene Gesellschaft

Mit dieser Politik, die Beschäftigten radikal in Konkurrenz gegeneinander zu bringen, wird eine Entsolidarisierung in der Gesellschaft immer weiter befördert. Generell führt der Lohndruck zur Angst vor dem eigenen – perspektivisch zu befürchtenden – Ausschluss oder sozialen Abstieg. Die Wirtschaft will sich vor der Aufgabe drücken, selbst Fachkräfte auszubilden. 58,9 Prozent der aktiven Ausbildungsbetriebe haben noch nie einem Jugendlichen mit Migrationshintergrund eine Lehrstelle gegeben. Und die Wirtschaft will eine adäquate Bezahlung der benötigten Fachkräfte umgehen – egal, ob sie aus Deutschland oder aus dem Ausland kommen. Wir warnen auch vor einem Brain Drain zu Lasten der Entwicklungsländer, nur um die deutsche Wirtschaft beim Thema Ausbildung zu entlasten. Was wir brauchen sind tariflich abgesicherte und gut bezahlte Arbeitsplätze, eine Ausbildungsplatzumlage und gleichen Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort.

DIE LINKE hat schon immer die bestehenden bürokratischen Einwanderungsregelungen – zudem mit sperrigen Titeln wie "Aufenthaltsgesetz" und "Beschäftigungsverordnung" ausgestattet – kritisiert und eine grundlegende Öffnung des Rechts auf Einwanderung gefordert. DIE LINKE ist für eine offene Gesellschaft – auch für Fachkräfte. DIE LINKE akzeptiert aber keinesfalls, dass Menschen nach Qualifikation und Arbeitsmarktlage in "Nützliche" und "Unnütze" oder "Erwünschte" und "Unerwünschte" eingeteilt werden. DIE LINKE will nicht, dass mit einer Politik der nützlichen Einwanderer Löhne hierzulande abgesenkt werden. Quoten, Kontingente und Punktesysteme sind Instrumente einer menschenverachtenden, selektiven Einwanderungspolitik, die einer menschenrechtsorientierten Migrations- und Integrationspolitik widersprechen. Wir lassen uns nicht darauf ein, an der Selektion, wer rein darf, teilzuhaben und selber über vermeintlich andere, "emanzipativere" oder "humanere" Quoten nachzudenken.

Die Wahrheit ist: Wer für Punktesysteme und Auslese nach Maßgabe der Wirtschaft eintritt, will gerade keine Rahmenbedingungen für eine sozial gerechte Verteilung schaffen; weder in der Innen- noch Außenpolitik. DIE LINKE wendet sich gegen nützlichkeitsrassistische Ansätze. Wir stehen für Menschlichkeit und eine offene Einwanderungsgesellschaft statt einer kapitalistischen Auslesepolitik. Eine solidarische Gesellschaft lässt sich nur mit gleichen Rechten für Alle und einem Ausbau des Sozialstaats erreichen. Gesetze, die die Beschäftigten weiter spalten und soziale Ängste befördern, dienen weder der Integration noch sind sie Teil einer notwendigen "Willkommenskultur" in Deutschland.

linksfraktion.de, 4. Februar 2015