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Frieden in weiter Ferne

Im Wortlaut von Paul Schäfer,

Die Gefahr für Leib und Leben steigt für die Besatzer in Afghanistan. Schon zu Beginn der militärischen Handlungen warnten viele, dass dieser Krieg nicht gewonnen werden könne. Doch für eine friedliche Lösung wird zu wenig getan. Paul Schäfer, verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Bundestag kam vor wenigen Tagen aus Afghanistan zurück. Er zeichnet für die NRhZ in diesem Interview düstere Aussichten für einen Frieden - nicht ohne Alternativen aufzuzeigen. Die Redaktion.

Herr Schäfer, Sie haben jetzt Afghanistan eine Woche lang besucht. Gut, dass Sie heil wieder hier sind. Seit wieder zwei Bundeswehrsoldaten getötet wurden, spricht Verteidigungsminister Jung inzwischen von „Gefallenen“. Von einem Krieg mag er dennoch nicht sprechen. Sind wir nun im Krieg oder in einem Friedenseinsatz?

Diese Begriffsdebatte, die die Bundesregierung führt, ist nicht einmal akademisch, sie ist schlicht hanebüchen: Akademische Konfliktforscher haben klare Kriterien für den Begriff „Krieg“, und sämtliche modernen Definitionen treffen auf die Situation in Afghanistan zu. Der gesunde Menschenverstand bejaht die Frage erst recht: In einem Land, das im Schnitt zehnmal täglich bombardiert wird, herrscht Krieg.

In einem Land, in dem täglich Soldaten auf Leben und Tod kämpfen, herrscht Krieg. In einem Land, in dem täglich Menschen durch Kampfhandlungen sterben, herrscht Krieg. Während meiner Afghanistanreise habe ich erfahren, dass auch die vor Ort eingesetzten Bundeswehrsoldaten sich eindeutig als im Krieg stehend begreifen. Dort gibt es wenig Verständnis für die Begriffsklauberei des deutschen Verteidigungsministers.

Um deutlich zu antworten: Ja, Deutschland führt Krieg in Afghanistan.

Medienberichten zufolge findet dieser Krieg aber im Süden und Osten statt, nicht in der Nordregion, in der die Bundeswehr stationiert ist. Das dürfte die Situation doch ziemlich unterscheiden...

Dass die Situation in Nordafghanistan derzeit noch entspannter ist, dass US-amerikanische, kanadische und niederländische Soldaten häufiger in direkte Kämpfe verwickelt sind, stimmt. Es stimmt allerdings auch, dass sich auch in Nordafghanistan die Bedrohungslage ändert. Die zunehmende Häufung der Anschläge und Angriffe spricht da eine deutliche Sprache.

Und schließlich: Die Gleichung „Bundeswehrgebiet ist nur Nordafghanistan“ geht nicht auf. Erstens ist die Bundeswehr mit Fernmeldern, Aufklärungsflügen und Verwundetentransport weit über den Norden des Landes hinaus aktiv; zweitens handelt sie nicht isoliert, sondern ist Teil der ISAF-Truppe. Damit muss sie sich vor der Bevölkerung auch für die Gewaltexzesse der anderen ISAF-Truppensteller - und sogar der oft nicht besonders deutlich abgegrenzten OEF - verantworten. Beim derzeit zu beobachtenden Anstieg der zivilen Opferzahlen wird das auch für die Bundeswehr schwierig.

Dennoch betont Verteidigungsminister Jung immer wieder, man müsse die „Herzen und Köpfe“ der Afghanen gewinnen, um im „ zivilen Aufbau“ voran zu kommen. Militärische Einsätze beinhalten aber ein Freund-Feind-Denken, auch mit Folgen für die Zivilbevölkerung. Oder gibt es da Fortschritte?

Im Gegenteil. Wir stecken mitten in einer Konfliktdynamik. Die Unterstützung des zivilen Aufbaus, mit der die Bundeswehr sich zunächst Sympathien zu erkaufen versuchte, erweist sich immer deutlicher als unverträglich mit ihrer Kriegslogik: Die zunehmende Eskalation und das militärische Denken in Freund-Feind-Schemata gehen auch an den Soldaten nicht spurlos vorbei. Die gefühlte Bedrohungslage führt bestenfalls zu angespannter Zurückhaltung, schlimmstenfalls zu Überreaktionen. Gerade hat es an einem Checkpoint wieder Schüsse auf Zivilisten gegeben. Das ist einem vertrauensvollen Verhältnis zur Bevölkerung nicht zuträglich.

Gerade für den „zivilen Aufbau“ wurden aber viele Hoffnungen auf die NGOs gesetzt. Gelegentlich fühlen die sich aber in ihren Aufgaben durch die Bundeswehr eher behindert. Wie kommt die Hilfe ohne Bundeswehrbeteiligung voran?

Punktuell ist da sicher vor allem von den Nichtregierungsorganisationen einiges erreicht worden. Die kriegerische Gesamtsituation gefährdet indessen auch diese Erfolge: Erstens, weil sich nicht alle Parteien in Afghanistan dem Wiederaufbau verpflichtet fühlen. Zweitens, weil die desolate Sicherheitslage ihn hintertreibt: Wem nützen neue Schulen und Brunnen, wenn sich niemand auf die Straße traut? Drittens, und auch das muss man sehen, zeigt der Ansatz, möglichst viel Geld in den Wiederaufbau zu pumpen, ein bescheidenes Kosten-Nutzen-Verhältnis: Ein großer Teil der Mittel bleibt gar nicht in Afghanistan, sondern fließt über Beraterverträge an Consulting-Unternehmen der Geberländer zurück. Ein weiterer Teil finanziert die Kabuler Prachtvillen korrupter Minister und Provinzfürsten, die man gewähren lässt, weil man aus militärischen Gründen auf ihre Loyalität angewiesen ist. Bei den Menschen vor Ort kommt zu wenig an, und das Verhältnis wird auch durch zusätzliche Millionenaufstockungen nicht besser.

Sie zeichnen ein düsteres Bild, dass Verteidigungsminister Jung sicher nicht gern hören wird. Hat DIE.LINKE brauchbare Alternativen anzubieten?

Jedenfalls keine Militärischen, das ist der völlig falsche Weg. Die Bundesregierung muss sich entscheiden: Will sie Krieg führen oder Frieden stiften? Selbst innerhalb der militärischen Logik ist kaum bestreitbar, dass die NATO diesen Krieg nicht gewinnen kann - und dass die Aufständischen ihn nicht gewinnen müssen, um ihre Ziele zu erreichen.

DIE LINKE fordert es seit Jahren: Bundeswehr und NATO-Truppen müssen raus aus dem Land, Deutschland muss sich aus der einseitigen Allianz mit der korrupten Zentralregierung und den lokalen Warlords lösen; die kriegsmüde Zivilgesellschaft muss gestärkt werden und die Bundesregierung sollte versuchen, sich als ehrlicher Vermittler bei der Suche nach einer politischen Lösung, einem Verhandlungsfrieden, anzubieten. Ich sage aber nochmals: Solange sie Kriegspartei ist, ist auch dieser Ansatz zum Scheitern verurteilt. (CH)

Von Hans-Dieter Hey

Neue Rheinische Zeitung, 29. Oktober 2008