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Fraktion vor Ort: Armut bekämpfen - Reichtum teilen

Nachricht von Sahra Wagenknecht, Azize Tank,

Sahra Wagenknecht in der Tempelhofer Ufa-Fabrik

Radikal umsteuern: Sahra Wagenknecht                                             Foto: Rico Prauss
 

Armut und Reichtum in Deutschland und wie sie zusammenhängen: Dieses Thema ist – leider – aktueller denn je. So war der Andrang groß, als am Dienstag die Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, Sahra Wagenknecht, gemeinsam mit der Abgeordneten Azize Tank aus Tempelhof-Schöneberg und dem Bezirksverordneten Harald Gindra Vorschläge für eine gerechtere Gesellschaft vorstellte. Die Ufa-Fabrik in Tempelhof war dafür ein passender Ort: ein selbstverwaltetes soziokulturelles Zentrum, aus einer Besetzung hervorgegangen, mit einer etwa 40-köpfigen Kommune und vielen Projekten – von der Bäckerei bis zum Theatersaal. Dorthin kamen am Dienstag rund 450 Interessierte. Schon Stunden vor der Veranstaltung sammelten sich viele Gäste in den benachbarten Cafés. Eine schöne Geste war die herzliche Begrüßung Sahra Wagenknechts durch die Leitung der Ufa-Fabrik.

Der Theatersaal konnte gar nicht alle Interessierten fassen, sodass eine Außenübertragung ins Foyer Abhilfe schaffen musste. Trotz des bedrückenden Themas: Im Theatersaal machte sich eine kämpferische, aber auch optimistische Stimmung breit, die sich auch auf das Foyer und die Außenanlagen der Ufa-Fabrik übertrug.

Deutschland gehört in Europa zu denjenigen Ländern, in denen die Kluft zwischen Arm und Reich am größten ist – und wächst! Mit der Deregulierung des Arbeitsmarktes, mit Hartz IV, der Rentenreform und mit der Absenkung der Spitzensteuersätze haben SPD, Grüne, Union und FDP diese Schieflage herbeigeführt. In Berlin ist jedes dritte Kind von Hartz IV abhängig, deutschlandweit wachsen 1,5 Millionen Kinder mit Hartz IV auf. Den Kindern soll es einmal besser gehen als ihnen selbst – diese Hoffnung, eigentlich eine Selbstverständlichkeit, erfüllt sich für immer weniger Eltern. Nicht nur Reichtum, auch Armut wird vererbt.

Sahra Wagenknecht beließ es in ihrem Vortrag nicht bei der Analyse, sondern stellte die Vorschläge der LINKEN für eine gerechtere Gesellschaft vor: Wir müssen jetzt radikal umsteuern. Wir brauchen sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze, die zugleich das Fundament bilden für ein starkes umlagefinanziertes Rentensystem statt Riester-Betrug. Die Riester-Verträge sollen in die gesetzliche Rente überführt werden. Altersarmut in einem reichen Land wie Deutschland ist ebenso wenig hinnehmbar wie die immer stärkere Ausdehnung der Lebensarbeitszeit. Angesichts des Produktivitätszuwachses wäre beides trotz der üblichen Demagogie mit der Demographie nicht nötig. „Geld verschwindet nicht, es wechselt nur den Besitzer“, so Sahra Wagenknecht unter Bezugnahme auf ein altes Sprichwort. Deshalb brauchen wir endlich ein gerechtes Steuersystem, das große Vermögen und Kapitaleinkünfte ordentlich besteuert sowie die Mittelschicht entlastet, und eine Rentenversicherung, in die alle einzahlen.

Armut ist nicht nur ein Mangel an finanziellen Ressourcen, betonte Azize Tank, sondern bedeutet auch Ausschluss von gesellschaftlicher Teilhabe. Sie forderte: „Auch der ungehinderte Zugang zu Kultur, Bildung und sozialen Dienstleistungen für alle Kinder und Jugendliche muss gesichert werden.“ Azize Tank setzt sich seit langem dafür ein, dass Deutschland die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte, die in internationalen und europäischen Verträgen niedergelegt sind, endlich im Grundgesetzt verankert: „Dann wären sie endlich allgemein verbindlich, und jeder Arbeitslose, jeder Mieter, alle Kranken und alle Bildungshungrigen könnten sich darauf berufen und notfalls auch vor Gericht ziehen, um sie durchzusetzen.“

Harald Gindra schwenkte über zur Kommunalpolitik: Leere Bezirkskassen, (Kaputt-)Sparzwang, Personalmangel, marode Schulen – das Tempelhofer Publikum verstand sehr gut, wovon Harald Gindra berichtete. Nicht nur von unten nach oben, sondern auch aus öffentlichen Kassen in private Hände wurde in den letzten Jahrzehnten umverteilt. Beim Sozialen wird gespart, öffentliche Gebäude und Anlagen verwahrlosen, die Verkehrsinfrastruktur wird nicht gewartet, die Bürgerämter sind wegen Personalabbau überlastet. Dieser Trend muss umgekehrt werden. Mehr Gelder für die Kommunen, die Bezirke, Kreise und Gemeinden, damit diese wieder gestalten können. Nur so kann auch Demokratie wieder lebendig und für die Bürger*innen erfahrbar werden.  

Im Anschluss an die Veranstaltung wurden bis in die Nacht hinein anregende Gespräche geführt, Verbindungen geknüpft und Pläne für politische Aktionen geschmiedet. Und es wurde überdeutlich: Der Wunsch nach Veränderung ist groß. Es kommt darauf an, den Glauben daran zu stärken, dass Veränderung machbar ist.

linksfraktion.de, 09. Juni 2016