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Figuren-Rücken spielen wir nicht

Im Wortlaut von Lothar Bisky,

Im Gespräch: Lothar Bisky, Vorsitzender der Linkspartei, über genutzte Chancen und übersprungene Barrieren

Im Vorfeld der Wahlen war von einer historischen Chance für die Linke in Deutschland die Rede. Sind 8,7 Prozent Zustimmung genug, um zu sagen: wir haben diese Chance adäquat genutzt?
Ja. 8,7 Prozent sind ein hoher Wert. Natürlich ist immer mehr drin. Aber das Ergebnis ist sehr gut - ein hörbarer Paukenschlag, mit dem wir uns in die Bundespolitik einmischen werden. Meine Prognose von vor drei Monaten ist eingetroffen.

Der Wahlkampf, der ja zum ersten Mal zusammen mit der WASG geführt wurde, verlief relativ reibungslos. Wird das Bündnis in entscheidenden Fragen im Parlament auch so funktionieren?
Linkspartei und WASG dürften eines verstanden haben: Wählerinnen und Wähler wollen, dass sie ihre Kräfte bündeln und sich für soziale Gerechtigkeit, für den Frieden stark machen. Wer das missversteht, gefährdet die historische Chance.

Der Prozess Richtung gemeinsame Partei ist noch nicht zu Ende. Wo könnten die Konflikte liegen?
Ich gehöre zu denen, die von der Überwindung möglicher Schwierigkeiten mehr halten als vom Auftürmen. Natürlich gibt es unterschiedliche Kulturen, unterschiedliche Sozialisationen, andere Erfahrungen. Das ist wahr. Aber, wenn der feste Wille da ist, gemeinsam für mehr soziale Gerechtigkeit zu streiten, den anderen als Partner ernst zu nehmen und auf gleicher Augenhöhe miteinander zu agieren, dann sind die Schwierigkeiten zu überwinden. Das ist unser Ansatz. Man kann immer zwei Wege gehen. Man kann die Schwierigkeiten zu solchen Bergen türmen, dass selbst Bergsteiger nicht mehr rüberkommen, man kann sie aber auch mit Blick auf ihre Überwindung angehen. Ich bin dafür, mutig zu sein, Neues zu versuchen und die Schwierigkeiten, die es zweifellos gibt, zu definieren, um sie zu bewältigen. Ins Zentrum der Überlegungen rücken so die Strategien, mit denen wir an die Lösung gehen. Wir haben sehr viele Hoffnungen bei den Wählern geweckt. Wer die enttäuscht, wird bitter bestraft.

Wie würden Sie das Kräfteverhältnis interpretieren, das sich im Ergebnis der Wahlen ausdrückt?
Es gibt eine links-mittige Mehrheit - und das ist gut zu wissen. Dass sie nicht genutzt werden kann, hängt mit dem gegenwärtigen deutschen Parteiensystem zusammen. Das ist im Regelfall auf Dominanzverhalten aus. Es ist weniger als in anderen Ländern auf Mehrheitssuche, sondern auf Rechthaberei und Machtgebaren gestützt. Wer das noch nicht wusste, kann es gerade besonders deutlich erleben. Die beiden großen Parteien gebärden sich wie Herrscher eines Landes. Egal, was aus dem Land und aus der Lösung der reichlich vorhandenen Probleme wird, Hauptsache, wir sind an der Macht. Auf diesem Gebiet ist Deutschland weit rückständiger - mit rückläufiger Tendenz - als viele andere Länder. Ich denke, wenn man das Macht- und Trotzgebaren ablegen könnte, wäre links von der Mitte wenigstens Verständigung möglich. Das setzt ein demokratisches Verhalten voraus, dem das, was jetzt gerade stattfindet - wenn etwa der Kanzler oder der Vorsitzende der SPD arrogant definieren, wie die Anderen zu beurteilen sind - ins Gesicht schlägt.

Wenn dieses Gerangel denn mal in eine Sachdiskussion übergehen sollte. Wie ist Ihre Prognose für die Regierungsbildung?
Ich beteilige mich nicht an der Debatte darüber, wer als Erster kippt, rot, grün oder gelb. Für mich, als einem Sprecher für die Linkspartei, ist wichtig, werden Agenda 2010, Hartz IV und die Auslandseinsätze der Bundeswehr zurückgerufen oder wenigstens ernsthaft verhandelt. Bis das geklärt ist, werden Debatten über die Regierungsbildung von uns nicht bedient.

Die Linke hat - auch in den alten Bundesländern - ein respektables Ergebnis eingefahren. Wie viel davon ist Oskar Lafontaine geschuldet und wie viel der Veränderung des Namens in Linkspartei?
Das ist nicht zu entscheiden. Ich gehe davon aus, Oskar Lafontaine hat in den alten Bundesländern viele Wähler gewonnen. Unser Ergebnis ist aber weder ost-, noch westgemacht. Es ist das Resultat einer erstmals sichtbaren Gemeinsamkeit. Die beiden Spitzenkandidaten - Lafontaine und Gysi - haben sicher viele Wähler überzeugt, aber das Zusammengehen von Linkspartei.PDS und WASG, das ja auch im Wahlkampf, trotz gelegentlichen Streits, deutlich erkennbar war, ist das eigentlich Entscheidende. Darauf bauen Wähler ihre Hoffnungen.

Die Linkspartei.PDS hat im Osten hohe Wahlergebnisse erreicht, weil sie sich als authentische Vertreterin der Ostinteressen dargestellt hat. Kann eine gesamtdeutsch geführte und gesamtdeutsch agierende Partei weiterhin Ostinteressen vertreten?
Sie ist und bleibt diejenige, die sich für die Interessen der Ostdeutschen einsetzt. In allen Gesprächen waren wir uns einig, dass der Osten mehr Aufmerksamkeit verdient. Auch andere sprechen für ihn, ich will das anmerken, aber wir werden seine Stimme sein und die der strukturschwachen Gebiete des Westens. Unsere Partner im Westen sind diejenigen, die für die Wahrnehmung des Ostens plädieren, die ablehnen, dass er wie eine Kolonie behandelt wird, die nicht wollen, dass die Lebensläufe von selbst ernannten Oberrichtern eingeteilt werden in gute und böse Kader, wie Mao Zedong es einstmals tat. Genauso wie die Mitgliedschaft der Linkspartei.PDS genau weiß, dass es in den strukturschwachen Regionen des Westens ganz ähnliche Probleme wie im Osten gibt. Wir wollen nicht gegen die sozial Schwachen im Westen Vorteile für den Osten herausschlagen. Wir wollen gesamtdeutsch vorgehen, die Armut überall in Deutschland bekämpfen. Für mehr Arbeit und soziale Gerechtigkeit in Ost wie West arbeiten.

Das hätte man ganz ähnlich auch für die PDS definieren können. Wo ist die neue Qualität?
Neu ist, diese Programmatik wird nun von einer gesamtdeutschen Partei voran getrieben. Natürlich hat die PDS ähnliche Auffassungen vertreten, aber sie ist damit im Westen nicht akzeptiert worden. Die Linkspartei ist akzeptiert. Dahinter dürfen wir nicht mehr zurück. Die Barrieren sind gebrochen, weil Leute wie Oskar Lafontaine, Klaus Ernst, Ulrich Maurer und viele Gewerkschafter als Vertreter der WASG, die erkennbar nicht aus dem Osten kommen, mit uns zusammen in den Wahlkampf gezogen sind und dieselben Positionen vertreten haben. Damit sind wir als gemeinsame Kraft erkennbar geworden, und das hat sich ausgezahlt.

Trotzdem ist es Schröder gelungen, einen Teil seiner Wählerschaft zurück zu gewinnen. Wie werden sich Linkspartei-Wähler verhalten, wenn die SPD in die Opposition geht und zu ihrem alten Vokabular zurück findet?
Die Linkspartei wird eine starke Kraft bleiben. Denn bisher ist sich die SPD einig, dass der Kurs "Weiter so" heißen wird. "Weiter so" meint, die Agenda 2010 wird ebenso verteidigt wie Hartz IV. Deshalb haben 1,3 Millionen früherer SPD Wähler die Linke gewählt. Schröder und Fischer haben eine vernichtende Niederlage erlitten. Wir haben ein Gegenkonzept, und dieses Gegenkonzept wird - auch wegen des dummen Schröder-Satzes "Zu unserer Politik gibt es keine Alternative" - zwingend benötigt. Deshalb muss man um die Zukunft der Linkspartei.PDS keine Angst haben.

Wenn Merkel mit ihrer Regierungsbildung scheitert, könnten Sie sich eine Unterstützung Schröders bei der Kanzlerwahl vorstellen?
Nein. Ganz eindeutig: Nein. Wir haben uns deutlich geäußert. Wir sind Opposition - in jeder Phase. Wir wollen einen Politikwechsel. Für uns beginnt die Möglichkeit, über Zustimmung nachzudenken, erst, wenn die Agenda 2010, die Hartz IV-Gesetze und die Auslandseinsätze der Bundeswehr zur Disposition gestellt werden, so dass man eine Lösung finden kann. Bei einem "Weiter so" sind wir nicht bereit, über irgendein Abstimmungsverhalten nachzudenken. Das haben wir den Wählern versprochen. Wir haben nicht gesagt, auf ewig wird es keine Gespräche mit uns geben. Aber wir haben gesagt, diese Politik muss grundlegend verändert werden und nicht nur dadurch, dass Figuren - machtbesessene Figuren - gegeneinander ausgetauscht werden. Wir wollen eine Veränderung der Politik. Damit fangen wir jetzt als erkennbare Opposition an.

Das Gespräch führte Regina General

Freitag, 23. September 2005