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Foto: Rico Prauss

»Festschreibung des legalen Betrugs an den Versicherten«

Interview der Woche von Susanna Karawanskij,

 

Die Finanzaufsicht über Versicherungen will die Bundesregierung jetzt verbessern, Risiken von Anlagen besser bewerten und mit Absicherungsauflagen versehen. Damit setzt sie eine EU-Richtlinie in deutsches Gesetz um. Aber ob das Verbraucherinnen und Verbraucher wirklich vor Finanzspekulation und Abzocke durch die Versicherungen schützt? Susanna Karawanskij, für DIE LINKE Mitglied im Finanzausschuss, spricht im Interview der Woche von berechtigten Zweifeln daran und erklärt, was stattdessen im Sinne der Versicherten wäre.

  Die Bundesregierung legt dem Bundestag in dieser Woche ein Gesetz zur Beschlussfassung vor, das die Finanzaufsicht über Versicherungen modernisieren soll. Welchen Hintergrund hat das?

Susanna Karawanskij: Es handelt sich um einen Gesetzentwurf, mit dem die Solvency-II-Richtlinie der Europäischen Union in deutsches Recht umgesetzt werden soll. Das Aufsichtsrecht von Versicherungen im europäischen Binnenmarkt soll so harmonisiert werden – ein Mammutprojekt, das schon seit Jahren seine Kreise zieht. Unter Solvabilität versteht man die Eigenmittelausstattung der Versicherungsunternehmen. Es ist längst überfällig, dass Versicherungsunternehmen ihre Kapitalanlagen nach Marktrisiken bewerten müssen und einer strengeren, besser koordinierten europäischen Aufsicht unterstellt werden. Der Gesetzentwurf verfolgt im Kern zwei Ziele: Er soll die Stabilität des Versicherungssystems ohne den Einsatz von Steuermitteln gewährleisten und damit systemische Finanzmarktrisiken senken, und Verluste der Versicherten sollen reduziert werden.

Glauben Sie, dass dadurch Verbraucherinnen und Verbraucher, die Versicherungen abgeschlossen haben, besser vor möglicher Zockerei der Versicherungskonzerne geschützt sind?

Verbraucherinnen und Verbraucher werden leider nicht besser geschützt. Nach wie vor ist es Versicherungen möglich, in hochriskante Marktbereiche und Finanzinstrumente zu investieren. Dies läuft dem Stabilitätsgedanken zuwider, und letzten Endes haften die Kunden mit ihrem eingezahlten Geld. Solvency II schiebt zum Beispiel Investitionen in Hedge Fonds oder Private Equity Fonds keinen Riegel vor. Auch der Derivatehandel wird völlig unzureichend begrenzt. Und die Pläne gehen ja noch weiter. Versicherungen sollen auch leichter in den Ausbau öffentlicher Infrastruktur investieren können. Hier baut die Branche wieder auf den Kniff, dass – wie schon in anderen Bereichen und Anlageformen – die Eigenmittelanforderungen gesenkt werden. Der Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge und Infrastruktur darf nicht noch weiter Vorschub geleistet werden, und schon gar nicht, wenn das Risiko dabei die Kunden tragen, weil ihr Kapital zu Risikokapital wird.

Warum ist die EU, weshalb die Bundesregierung, hier nicht konsequenter? Weshalb werden im siebten Jahr der Finanzkrise hochriskante Finanzprodukte nicht einfach verboten?

Die Versicherungslobby ist sehr wirkmächtig und hat einen großen Einfluss. Doch will sich die Bundesregierung dem gar nicht so richtig entziehen. Denn das würde bedeuten, den eingeschlagenen Weg, die gesetzliche Rente radikal auszuhöhlen und der Teilprivatisierung der Altersvorsorge (z.B. über kapitalgebundene Lebens- oder Rentenversicherungen), als Irrweg zu benennen. Doch die Bundesregierung nimmt nicht Abstand von Riester-Rente und Co., sie will die gesetzliche Rente nicht nachhaltig stärken. Das führt im Bereich der privaten Altersvorsorge dazu, dass die institutionellen Anleger wie Versicherungen sich seit langem einen Renditewettbewerb liefern, immer riskanter investieren und die bekannten Finanzmarktrisiken weiter erhöhen. DIE LINKE will deshalb intransparente, unseriöse oder volkswirtschaftlich riskante Finanzinstrumente erst gar nicht auf den Markt lassen und bestehende vom Markt nehmen. Wir wollen als präventive Regulierung einen Finanz-TÜV einsetzen – auf deutscher und am besten auch auf europäischer Ebene. Dies sorgt für ein Gesundschrumpfen der Märkte und für mehr Finanzmarktstabilität. Die Bundesregierung muss endlich die richtigen Lehren aus der Finanzmarktkrise ziehen.

Die Bundesregierung spricht davon, dass das Gesetz einen »Paradigmenwechsel« einleitet. Inwiefern? Inwieweit betrifft dieser Wechsel auch den Schutz der Versicherten?

Der größte Einschnitt besteht darin, dass für mehr Gleichlauf in der europäischen Versicherungsaufsicht gesorgt wird und eine Bewertung der Kapitalanlagen nach Marktrisiken erfolgt. Es gibt eine neue Risikobetrachtung mit feingliedrigeren Bewertungsvorschriften. Dies ist gewiss ein großer Schritt. Doch wenn eine neue schwere Finanzmarktkrise über uns hereinbricht, wird auch das Solvency-Gebäude keinen umfassenden Schutz vor Insolvenzen bringen. Und schon jetzt wurde versäumt, Versicherte besser zu schützen. Versicherungen schröpfen ihre Kunden in drei Bereichen: 1. in den den Kunden zustehenden Bewertungsreserven, die allzu leicht gekürzt werden dürfen; 2. in den sogenannten freien Rückstellungen für Beitragsrückerstattung, wo Kundengelder als Eigenmittelersatz der Versicherungen genutzt werden und unklar ist, ob und wenn ja, wann diese Gelder an die Kunden zurückfließen; und schließlich 3. in der Zinszusatzreserve, mit der Kunden unfreiwillig einen Reservepuffer der Versicherungen finanzieren, was wiederum ihre Überschussbeteiligungen reduziert. Aus Versichertensicht begründet der Gesetzentwurf einen Paradigmenwechsel hin zur Festschreibung des legalen Betrugs an den Versicherten. Wir sagen: Gelder, die Kunden zustehen, weil sie mit ihrem Geld erwirtschaftet wurden, müssen auch den Kunden zugutekommen.   

Die Umstellung kostet ja eine Menge Geld – und zwar vor allem die Konzerne. Die Bundesregierung beziffert die Mehrkosten für die Wirtschaft auf satte 127 Millionen Euro. Woher kommt dieses Geld? Können wir sicher sein, dass die Versicherungskonzerne das nicht aus den Taschen der Versicherten angeln?

Das Mammutprojekt Solvency II kostet die Versicherungen Mühe und Geld, daran besteht kein Zweifel. Das Solvenzkapital wird entweder gemäß einer modular aufgebauten Standardformel oder unter Verwendung eines internen Modells berechnet – gerade bei Letzterem lassen sich die Risiken aber wieder kleinrechen. Unterschiedliche Modelle erschweren eine einheitliche, effektive Aufsicht. Die Etablierung gleich welchen Modells kostet die Versicherungen aber ebenso Geld wie die neu eingeführten umfangreichen Veröffentlichungspflichten und das Meldewesen. Zudem müssen die meisten Versicherungen zukünftig etwas mehr Eigenkapital hinterlegen, um ihre Anlagen besser abzusichern. Bedauerlich ist dabei, dass der Großteil dieser Gelder von Erträgen, die den Versicherten zustehen, abgezwackt wird: über Kürzungen an den Bewertungsreserven, über Zweckentfremdung von Kundengeldern, die zu Eigenmitteln werden, und über Reservetöpfe, die Kunden finanzieren, um Garantien zu bewahren, die Konzerne selbst einst gegeben haben – erfreulich nur für die Aktionäre, werden sie doch regelmäßig gegenüber den Kunden bei Gewinnausschüttungen bevorzugt. Das gesamte Überschusssystem muss deshalb reformiert und endlich transparent und fair gestaltet werden.

linksfraktion.de, 3. Februar 2015