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Fehlstart bei der NATO

Im Wortlaut von Stefan Liebich,

 

Von Stefan Liebich, Obmann der Fraktion DE LINKE im Auswärtigen Ausschuss

 

Am Mittwoch besuchte der neue Generalsekretär des nordatlantischen Militärbündnisses Jens Stoltenberg Deutschland. Neben Gesprächen mit Regierungsvertretern stellte er sich auch der Debatte mit Abgeordneten des Bundestags in den Ausschüssen für Verteidigung und Auswärtiges.

Der Norweger Stoltenberg ist Sozialdemokrat, doch sollte niemand allzu große Erwartungen hegen, der Generalsekretär könne unmittelbaren Einfluss auf die Ausrichtung der Allianz nehmen. Er ist an die Beschlüsse der Mitgliedsstaaten gebunden und hier dominieren die USA als die mit Abstand größten Finanziers. Gleichwohl ist es ein Amt mit hoher Außenwirkung und kann daher in Konflikten zur weiteren Eskalation beitragen, so wie es Stoltenbergs Vorgänger, der Däne Anders Fogh Rasmussen, immer wieder auf unrühmliche Weise praktiziert hat.

Meine vorsichtige Hoffnung, dass sich zumindest diesbezüglich etwas in eine andere Richtung bewegen könnte, wurde auch dadurch genährt, dass Stoltenberg als Regierungschef einer rot-rot-grünen Koalition von 2005 bis 2013 nach den schrecklichen Morden auf der Insel Utøya und in Oslo mit insgesamt 77 Todesopfern nicht für schärfere Sicherheitsgesetze, sondern für das Festhalten an einer offenen Gesellschaft warb. Er wiederholte dies auch vor wenigen Tagen nach dem Terroranschlag in Paris in einem Interview und betonte, dass Muslime die größte Opfergruppe islamistischen Terrors sind.

Stoltenberg: Deutschland soll Rüstungsausgaben erhöhen

Doch er ist nicht Verantwortlicher für Bürgerrechte und öffentliche Sicherheit Europas, sondern seit wenigen Wochen der oberste Angestellte eines anachronistischen Militärbündnisses. Zwar warb er dafür, mit Russland trotz der Ukraine-Krise zu kooperieren, will dies aber ausschließlich aus einer Position der militärischen Stärke heraus tun. "Stärke und Kooperation sind kein Widerspruch", lautete seine Begründung. Deutschland solle mehr militärische Führungsverantwortung übernehmen und, ebenso wie die anderen Mitgliedsstaaten, seine Rüstungsausgaben erhöhen. Doch gerade die aktuellen Krisen, das habe ich Stoltenberg in der Debatte im Namen der größten Oppositionsfraktion auch mit auf den Weg gegeben, sind vor allem ein Weckruf für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) und nicht für die NATO. Selbst in der Debatte um die Aufweichung der Mitsprache des Parlaments bei der Entsendung der Bundeswehr ins Ausland redete er jenen das Wort, die den bisherigen Parlamentsvorbehalt in Frage stellen. Als Antwort auf meine Frage, wie er denn Einsätze der NATO in der letzten Zeit bewerten würde, zum Beispiel den in Libyen, einem Land, das im Chaos versinkt und eine ganze Region destabilisiert, fiel ihm nur der Allgemeinplatz ein, dass Kritik zur Demokratie gehören würde.

Es wäre sicher verfrüht, nach diesem ersten Auftritt im Auswärtigen Ausschuss ein abschließendes Urteil über seine Arbeit zu fällen, aber die Hoffnung auf einen Neustart in der NATO mit einem Generalsekretär Stoltenberg kann man getrost begraben. Ob der einstige Vietnamkriegsgegner künftig doch noch sein Amt prägen wird oder das Amt ihn verändert, werden die kommenden Jahre zeigen.

linksfraktion.de, 16. Januar 2015