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»Europa könnte eine Friedensmacht sein«

Interview der Woche von Jan van Aken,

 

Jan van Aken, außenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, im Interview der Woche über internationale Politik in einer multipolaren Welt, aktuelle Konflikte, den "Panzer im Kopf" der Bundesregierung und Alternativen zu einer Militarisierung der Außenpolitik

 

Feldzüge des Islamischen Staats (IS) in Syrien und im Irak, Bürgerkrieg im Jemen, barbarische Morde der islamistischen Terrororgruppe Boko Haram in Nigeria, ein ungelöster Nahost-Konflikt, Krieg in der Ostukraine - 25 Jahre nach Ende des Kalten Kriegs ist die Welt gewalttätiger denn je. Woran liegt es, dass die internationale Politik auf dem Gebiet der Friedenssicherung und der Eindämmung von Gewalt derzeit nichts erreicht?

Jan van Aken: Das hat natürlich auch etwas mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Ende des Kalten Krieges zu tun – damals waren viele Konflikte, gerade innerstaatliche, überlagert von der Blockkonfrontation, das heißt im Konfliktfall war es oft ein Stellvertreterkrieg mit zwei beteiligten Seiten. Heute werden Konflikte nicht vor allem zwischen, sondern innerhalb von Staaten ausgetragen, und es sind deutlich mehr Konfliktparteien beteiligt. So mischen im Syrienkrieg mindestens fünf andere Länder, aber auch nichtstaatliche Akteure mit jeweils eigenen Interessen aktiv mit. Eine friedliche Beilegung von Konflikten wird dadurch viel schwieriger.

Wie muss internationale Politik auf die Konflikte in einer multipolaren Welt mit wechselnden Allianzen reagieren?

Wir müssen ganz dringend gerade weg von dem Denken in "Allianzen", Lagern und egoistischen Eigeninteressen einzelner Staaten. Die Vereinten Nationen sind dabei nach wie vor die richtige Instanz, auch wenn ihre Ausgestaltung mit Sicherheitsrat und Vetorecht dringend reformiert werden muss. Und perspektivisch brauchen wir eine neue Weltfriedensordnung. Leider gibt es bis heute nicht den Hauch einer realistischen Idee, wie eine solche neue Ordnung aussehen könnte. Auch, weil noch immer an der Kalten Kriegs-Logik von Aufrüstung und gegenseitiger Bedrohung von Nationalstaaten festgehalten wird. Dass diese "Friedensordnung" nicht funktionieren kann, zeigt sich doch an den vielen aktuellen Konflikten, die weder staatliche Grenzen kennen noch einen Mangel an Waffen.

Im Jemen bekämpfen sich Huthi-Rebellen, IS und al-Qaida. Auch Saudi-Arabien und Iran drängen auf Einfluss. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Die Situation ist hier ähnlich wie in Syrien oder auch Libyen: Es gibt im Land krasse Ungerechtigkeit und Unterdrückung, berechtigten Widerstand dagegen, aber auch Einmischung von außen. Im Jemen werden die Huthis offenbar vom Iran unterstützt, deshalb werden sie auch so massiv von Saudi-Arabien bekämpft. Hier wird deutlich, wie bitter es ist, dass ausgerechnet der saudische Machtapparat von Merkel zu "Stabilitätsankern" geadelt wurde. Ein schlechter Scherz, wenn man sich die saudische Eskalationspolitik im Jemen oder auch die Unterstützung jihadistischer Gruppierungen anschaut! 

Der Islamische Staat hat innerhalb kürzester Zeit einen Eroberungsfeldzug begonnen, der die bisherigen Grenzen im Nahen Osten verändern könnte. Was, wenn dem IS tatsächlich eine Staatenbildung gelänge?

Die dauerhafte Etablierung einer Staatlichkeit halte ich fast für ausgeschlossen. Was ISIS jedoch gelingen könnte, ist die Etablierung von Staatszerfall. Irak, Syrien und möglicherweise auch Länder wie Libyen und Nigeria sind durch die vorangegangen Kriegsjahre in einem Maße destabilisiert, das ISIS brutal für sich nutzen konnte. Nur in diesen zerfallenden Nationalstaaten hat der konfessionalisierte Wahnsinn von ISIS Erfolgschancen. Deswegen ist es so wichtig, dass es gemeinsame, kollektive Antworten von Sunniten, Schiiten, Arabern und Kurden auf diese Angriffe gibt – egal, ob in Syrien oder im Irak.

Deutschland liefert Waffen an die kurdischen Peschmerga. Welche Risiken birgt das, welche langfristigen Folgen könnte das haben?

Gerade weil mir – wie gesagt – an einer friedlichen und gemeinsamen Lösung gelegen ist, bin ich entschieden gegen die deutschen Waffenlieferungen. Woran es im Nahen Osten nämlich überhaupt nicht mangelt, sind Sturmgewehre und Panzerfäuste. Die Flut von Waffen und Munition befördert hier nur den Krieg. Wer die KurdInnen stärken möchte, müsste als erstes alles dafür tun, ISIS zu schwächen: den Zufluss von Kämpfern und Waffen stoppen, ihren Geldfluss durch Ölschmuggel oder Spenden abschneiden – das hätte wahrscheinlich einen viel schnelleren und größeren Effekt. So schnell kann man kann nicht Waffen nach Erbil fliegen, wie ISIS über die türkische Grenze Nachschub erhält.

Welche Rolle sollten Europa und Deutschland zukünftig bei der kollektiven Friedenssicherung übernehmen?

Ob in der Ukraine oder in Syrien, die Bundesregierung ist mit ihrer jetzigen Politik oft eher Teil des Problems als Teil der Lösung. Als Erstes sollte die Bundesregierung ihre konfliktfördernde Wirtschafts- und Handelspolitik beenden. Und sie muss endlich mal den Panzer im Kopf abschalten. Ich beobachte mit Sorge, dass Berlin bei jedem Konflikt erstmal nur militärisch denkt: Waffen liefern? Bundeswehr schicken? Aber all die vielen Möglichkeiten, Konflikte mit zivilen Mitteln zu entschärfen, werden kaum in Betracht gezogen. Europa könnte eine Friedensmacht sein, wenn es endlich eine Kehrtwendung vollzieht, weg von einer militarisierten Außenpolitik, hin zu einer Politik der zivilen Krisenprävention und gewaltfreien Konfliktbewältigung.
 

linksfraktion.de, 7. April 2015