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EuGH-Urteil zur Einwanderung: Krachende Niederlage für die Bundesregierung

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,

  Von Sevim Dagdelen, migrations- und integrationspolitische Sprecherin der Fraktion   Seit Jahren kritisieren die Linken, dass der Nachzug von Ehegatten und Lebenspartnern/-partnerinnen aus dem Ausland grundsätzlich vom Nachweis einfacher deutscher Sprachkenntnisse des Niveaus A 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER) abhängig ist. Diese Regelung gilt auf Betreiben von CDU/CSU und SPD seit August 2007.   Gründe für diese Ablehnung gab und gibt es viele. Seitdem der Nachweis von Deutschkenntnissen im Ausland als Voraussetzung für den Ehegattennachzug verlangt wird, ist die Zahl der erteilten Ehe-Visa deutlich gesunken: im 4. Quartal 2007 um 40 Prozent, besonders betroffen war die Türkei mit einem Rückgang um 67,5 Prozent. Betrachtet man die sechs Quartale vor und nach der Gesetzesänderung kam es zu einem Rückgang der Ehegattenvisa weltweit um etwa 25 Prozent.   Niemand kann leugnen, dass dieser Rückgang etwas mit den Schwierigkeiten des Deutsch-Spracherwerbs und Nachweises im Ausland zu tun hat. Dies belegen auch Zahlen dazu, wie viele Personen den Sprachtest im Ausland bestehen - im ersten, zweiten oder auch x-ten Versuch: Allein im vergangenen Jahr schafften 12.828 Ehegatten den Sprachtest im Ausland nicht, das war etwa jede dritte Person. Die Zahl der zum Ehegattennachzug erteilten Visa sank infolge der gesetzlichen Hürden um mehr als ein Fünftel, von zuvor knapp 40.000 auf etwa 32.000 pro Jahr.   Begründet wurde die Einführung der Sprachregelung mit einer angeblich besseren Integration und dem angeblichen Kampf gegen Zwangsverheiratungen. Beides waren vorgeschobene Argumente: Die deutsche Sprache lässt sich viel leichter in einem Integrationskurs in Deutschland erlernen, d.h. im deutschen Sprachumfeld, mit der Hilfe der hier lebenden Ehegatten und durch alltägliche Anwendungsmöglichkeiten.   Von Zwangsverheiratungen wiederum sind auch hier lebende Menschen mit besten Sprachkenntnissen betroffen - zum Schutz der Betroffenen sind deshalb andere Mittel erforderlich, etwa Beratungs- und Unterstützungsangebote und wirksame Aufenthaltsrechte. In Wahrheit sollte durch die Neuregelung der Familiennachzug insgesamt erschwert werden. Vor allem auf sozial- und bildungsbenachteiligte Menschen wirken die Sprachanforderungen wie eine mitunter schier unüberwindbare Hürde und Schikane.   Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat damit nun Schluss gemacht; zumindest für den Nachzug zu türkischen Staatsangehörigen. Das Urteil des EuGH ist eine Blamage für die Bundesregierung, aber auch für das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) und die deutsche Rechtsprechung. Das BVerwG hatte im Jahr 2010 in einem Grundsatzurteil entschieden, dass die Sprachanforderungen keinesfalls ein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot des EWG-Türkei-Assoziationsrechts seien. Das war damals schon unhaltbar, hat aber dazu geführt, dass Tausende Ehegatten über Jahre hinweg weiter drangsaliert wurden.   Der EuGH befand, was auch die Linken seit Jahren kritisieren: Die Beschränkung des Ehegattennachzugs durch Einführung eines Sprachtests im Ausland war ein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot des EWG-Türkei-Assoziationsrechts. Die Bundesregierung hatte vergeblich versucht, dieses Urteil mit haarspalterischen juristischen Argumenten zu verhindern. Der fortgesetzte Rechtsbruch gegenüber türkischen Staatsangehörigen beim Ehegattennachzug ist nunmehr beendet. Es bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung nun nicht als schlechter Verlierer versucht, das Urteil in der praktischen Umsetzung noch zu unterlaufen.   Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Dr. Günter Krings, formulierte bereits in einer Erklärung extrem zurückhaltend, das Urteil des EuGH werde von der Bundesregierung „zur Kenntnis" genommen. Eine bloße Kenntnisnahme aber wird nicht reichen, die Regierung sollte ihre seit Jahren irrige Rechtsauffassung klar und eindeutig korrigieren und den türkischen Ehepaaren nun keine Steine mehr in den Weg legen.   Der Staatssekretär irrte noch in einem weiteren Punkt, da er sich in der Auffassung bestätigt fühlte, die Regelung der Sprachanforderungen sei im Übrigen mit EU-Recht vereinbar: Damit hatte sich der EuGH ausdrücklich gar nicht auseinandersetzt, weil es im Einzelfall der türkischen Ehefrau nicht mehr erforderlich war. Schon der EuGH-Generalanwalt hatte in seiner Stellungnahme vor dem Urteil aber ergänzend ausgeführt, dass das deutsche Recht auch im Übrigen gegen die EU-Familienzusammenführungs-Richtlinie verstößt.   Mit dem Urteil fällt das politische Paradeprojekt der Rechten in der Migrationspolitik, mit dem der Familiennachzug gerade türkischer Ehegatten beschränkt werden sollte. Die Bundesregierung muss die menschenrechtswidrige Regelung nun schleunigst im Ganzen beseitigen. Denn dass nunmehr deutsche Staatsangehörige beim Ehegattennachzug nicht nur gegenüber Unionsangehörigen und Staatsangehörigen der Länder USA, Kanadas, Australiens, Israels, der Republik Korea, Japans und Neuseelands benachteiligt werden (weil in diesen Fällen die Sprachanforderungen ohnehin nicht gelten), sondern von nun an auch schlechter gestellt sind als türkische Staatsangehörige, ist einfach absurd.   Hier lebende türkische Staatsangehörige müssen sich von nun an ernsthaft überlegen, ob sie einen Einbürgerungsantrag stellen wollen - denn mit Erwerb der deutschen und dem Verlust der türkischen Staatsangehörigkeit verlören sie den Schutz der Rechte des Assoziationsabkommens und wären beim Familiennachzug als Deutsche schlechter gestellt. Es ist zu befürchten, dass auch beim Nachzug zu deutschen Staatsangehörigen die Bundesregierung bis zuletzt an der Diskriminierung festhalten und ein weiteres Urteil des EuGH abwarten wollen wird.   Ein Vorlageverfahren zur Klärung der Vereinbarkeit mit der EU-Familienzusammenführungs-Richtlinie aus den Niederlanden ist bereits anhängig. Für die Betroffenen ist aber jeder Tag der unfreiwilligen Trennung ein Tag zu viel. Die diskriminierende Regelung der Sprachkenntnisse als Voraussetzung für den Ehegattennachzug, die unermessliches Leid durch Trennung von tausenden Eheleuten verursacht hat, muss endlich abgeschafft werden.   Huffington Post, 10. Juli 2014