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ESM und Fiskalpakt verschärfen die Eurokrise

Nachricht,

Auswertung der Anhörung des Haushaltsausschusses des Bundestages am 7. Mai 2012 zur Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (Fiskalpakt) und zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM)

Zu Sitzungsbeginn beantragen die Grünen, den Fiskalpakt von der Tagesordnung der Anhörung am 7. Mai abzusetzen. Begründung: "[…] für die Anhörung am 7. Mai 2012 liegen wichtige Informationen zum Fiskalpakt nicht vor. Offen sind weiterhin die Vorschläge der EU-Kommission zur Erreichung des Anpassungspfades und zur Ausgestaltung des Korrekturmechanismus." Der Antrag wird mit den Stimmen der Koalition gegen die Opposition abgelehnt.

Koalition und Bundesregierung haben insgesamt sechs Gesetzentwürfe vorgelegt, die das Ziel verfolgen, den so genannten Fiskalvertrag und den Vertrag für einen sogenannten Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) im deutschen Recht abzubilden. Das Paket besteht aus: Ratifizierungsgesetzentwurf auf 17/9046 zum Fiskalvertrag ("Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion"), ESM‑Ratifizierungsgesetzentwurf auf 17/9045, ESM-Finanzierungsgesetzentwurf auf 17/9048, Gesetzentwurf auf 17/9049 zur Änderung des Bundesschuldenwesengesetzes zur Einführung von Umschuldungsklauseln, Zustimmungsgesetzentwurf auf 17/9047 zur Änderung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union sowie Nachtragshaushaltsgesetzentwurf auf 17/9040

Fiskalvertrag (Drs. 17/9046)

Die Staats- und Regierungschef der Europäischen Union – mit Ausnahme von Großbritannien und der Tschechischen Republik – haben Anfang März 2012 als Antwort auf die Eurokrise den "Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion" (Fiskalvertrag) unterzeichnet. Der Fiskalvertrag soll bis Anfang 2013 in allen Unterzeichnerstaaten ratifiziert werden. In Deutschland sind für die Ratifizierung des Fiskalvertrags eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderlich.

Kern des Fiskalvertrags ist die Einführung von Schuldenbremsen, die Vertragsparteien verpflichten sich auf einen ausgeglichenen Haushalt. Dieser gilt als erreicht, wenn das strukturelle Defizit 0,5 Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts nicht überschreitet.


Bei einem Schuldenstand von über 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts müssen diesen Wert übersteigenden Schulden pro Jahr um ein Zwanzigstel verringert werden. Um die Schuldenbremse einzuhalten, muss ein Korrekturmechanismus eingeführt werden, der bei "erhebliche[n] Abweichungen vom mittelfristigen Ziel oder dem dorthin führenden Anpassungspfad" automatisch ausgelöst wird. Mitgliedstaaten, die sich in einem Defizitverfahren befinden, müssen ein verbindliches Haushalts- und Wirtschaftspartnerschaftsprogramm vorlegen, das die einzelnen Maßnahmen beschreibt, mit denen das Defizit und Schuldenstand gesenkt werden sollen. Der Rat der EU und die Europäische Kommission genehmigen das Programm und überwachen seine Umsetzung.

ESM-"Rettungsmittel" sollen nur Euro-Länder erhalten können, die den Fiskalvertrag bis März 2013 ratifiziert und die Schuldenbremse ein Jahr nach Inkrafttreten des Fiskalvertrags in ihr jeweiliges Rechtssystem verankert haben


DIE LINKE zum Fiskalvertrag:

  • Der Fiskalvertrag soll die EU angeblich in eine Stabilitätsunion umwandeln und auf diese Weise dazu beitragen, die Eurokrise zu überwinden. Dies wird jedoch nicht gelingen:
Die Eurokrise wurde nicht etwa dadurch ausgelöst, dass die Staaten über ihre Verhältnisse gelebt bzw. eine zu laxe Ausgabenpolitik betrieben hätten. Die hohe Verschuldung einiger Mitgliedstaaten ist vielmehr auf die Finanzkrise zurückzuführen, in der die Staaten Banken, die sich verspekuliert hatten, mit Milliardensummen gerettet haben. Zur Abwehr der darauf folgenden Wirtschaftskrise mussten weitere Milliarden aufgebracht werden. Anstatt nun endlich die Finanzmärkte zu disziplinieren, das heißt zu regulieren, werden mit dem Fiskalvertrag die Vertragsstaaten „diszipliniert“, das heißt zu einer strikten Kürzungspolitik gezwungen. Dies wird die Eurokrise nicht lösen, sondern verschärfen, da die auferlegten Ausgabenkürzungen auf direktem Weg in die Rezession führen.

  • Die wirklichen Ursachen der Krise werden im Fiskalvertrag nicht einmal angesprochen.
 Entsprechend sind auch keine wirksamen Instrumente zu ihrer Überwindung vorgesehen: 
Maßnahmen zur Regulierung der Finanzmärkte, zur Entkopplung der Staatsfinanzierung von den privaten Kapitalmärkten, zur Vermeidung von Leistungsbilanzungleichgewichten oder ähnliche Instrumente kommen nicht einmal ansatzweise vor. Damit geht auch die massive Umverteilung von unten nach oben weiter; die Verursacher und Profiteure der Krise werden nicht zur Finanzierung der Krisenkosten herangezogen und am europäischen Steuer-, Lohn- und Sozialdumping wird sich nichts ändern.

  • Der Fiskalvertrag soll die Mitgliedstaaten zu einer dauerhaften Politik der Ausgabenkürzung und Austerität zwingen. Der Fiskalvertrag bedroht die Sozialstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten und das Europäische Sozialmodell, er ist ein Anschlag auf die Demokratie in allen beteiligten Staaten. Sobald ein Land von den neuen haushaltspolitischen Regelungen und damit vom strikten Weg der Austerität abweicht, verlieren die nationalen Parlamente ihr demokratisches Haushaltsrecht. Eine aktive Konjunkturpolitik wird künftig ebenso unmöglich sein, wie eine gestaltende Finanzpolitik, zum Beispiel zur Einleitung der sozial-ökologischen Wende.

  • Der Fiskalvertrag ist eine Gefahr für den europäischen Integrationsprozess. Wenn die EU nur noch mit Sozialabbau und Entdemokratisierung in Verbindung gebracht wird, kann die Zustimmung der Bevölkerung berechtigterweise nur weiter sinken. Auch die Konstruktion des Vertrags als völkerrechtlicher Vertrag außerhalb des Rechtsrahmens der EU, an dem nicht alle Mitgliedstaaten der EU beteiligt sind, die vertragliche Festschreibung von Euro-Gipfeln mit privilegierter Stellung der Eurostaaten gegenüber den anderen Vertragsstaaten und die Schaffung eines Präsidenten der Euro-Gruppe treibt die Spaltung der EU weiter voran.

  • Der Fiskalvertrag verstößt gegen das deutsche Grundgesetz. Eine Schuldenbremse ist nicht nur unvereinbar mit dem Demokratieprinzip nach Artikel 20 Absatz 2 Grundgesetz, aus dem die demokratische Budgetverantwortung des jeweiligen Bundestags folgt. 
Eine Aufhebung oder Änderung dieser Bestimmungen durch den deutschen Verfassungsgeber soll durch den Fiskalvertrag sogar dauerhaft unmöglich gemacht werden. Das Ratifizierungsgesetz zum Fiskalvertrag verstößt damit auch gegen die Ewigkeitsgarantie des Artikels 79 Abs. 3 Grundgesetz.

 

ESM (Drs. 17/9045)

Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) ist Teil des sogenannten Euro-Rettungsschirms und soll ab Mitte 2012 ohne zeitliche Befristung nach Einschätzung seiner Konstrukteure die Stabilität des Euro-Raums sichern und Staatspleiten von Euro-Ländern abwenden helfen. Die im Juni 2010 zeitlich befristet gegründete Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) soll ein Jahr parallel zum ESM betrieben werden. Der ESM soll insgesamt über ein Kapital von 700 Milliarden (Mrd.) Euro verfügen können, davon soll Deutschland 22 Mrd. Euro Bareinlagen und 168 Mrd. Euro abrufbares Kapital tragen.

Der ESM sieht folgende Instrumente vor: Kredite, vorsorgliche Kreditlinien, Ankäufe von Staatsanleihen bei Erstausgabe (Primärmarkt) sowie bereits umlaufender Anleihen (Sekundärmarkt), Kredite zur Rekapitalisierung von Finanzinstituten. Jedes Euro-Land, das Hilfe durch den ESM erhält, muss sich einem makroökonomischen Anpassungsprogramm unterwerfen.

 

DIE LINKE zum ESM:

  • Der ESM höhlt die ohnehin schon kleiner werdenden Spielräume nationaler Parlamente und des Europaparlaments weiter aus, politisch zu gestalten und dem demokratischen Wettstreit um politische Alternativen ein Gesicht zu geben. Die Erfahrung der überwältigenden Mehrheit der europäischen Bevölkerungen ist, dass sie in der Krise nicht gefragt werden. Nationale Parlamente werden immer mehr genötigt, gegen den überwiegenden Willen ihrer Wählerinnen und Wähler sozial ungerechte und ökonomisch unsinnige Austeritätsprogramme zu beschließen und Steuergelder für als falsch empfundene Rettungsschirme bereitzustellen.
  • Die mit der Gewährung von ESM- und EFSF-"Rettungshilfen" verbundenen Auflagen führen in den betroffenen Ländern zu drastischen Einschnitten bei Löhnen, Renten und öffentlichen Leistungen. Mit Hilfe der ESM- und EFSF-Kredite werden private Gläubiger von Staatsanleihen durch öffentliche Gläubiger ersetzt, Risiken aus Staatspleiten und Schuldenschnitten auf die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler übergewälzt. ESM und EFSF helfen nicht den Menschen, sondern den Banken. Die Euro-Länder brauchen eine Europäische Bank für öffentliche Anleihen zur kostengünstigen und finanzmarktunabhängigen Staatsfinanzierung. Eine Europäische Bank für öffentliche Anleihen könnte sich zinsgünstig bei der EZB refinanzieren. Die Privatbanken im Zusammenspiel mit den Rating-Agenturen verlören dadurch die Möglichkeit, Staaten zu erpressen. Der Bankensektor muss auf seine Kernfunktionen Zahlungsverkehr, Ersparnisbildung und Finanzierung zurückgeführt und entsprechend geschrumpft, private Großbanken vergesellschaftet werden.
  • Der ESM-Vertrag wird mit dem Fiskalvertrag ("Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion") verknüpft. Dieser Vertrag verpflichtet zur Einführung nationaler Schuldenbremsen, die die jeweilige, um Konjunktureffekte bereinigte Neuverschuldung auf 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts begrenzen sollen. ESM-Hilfen sollen nur Euro-Länder erhalten können, die den Fiskalvertrag ratifiziert haben und die mit dem Fiskalvertrag verbundenen Regeln befolgen. Die Kommission der Europäischen Union (EU) wird ermächtigt, die Einhaltung der Regeln zu überwachen. Wenn die Schuldenbremse nicht eingehalten wird, sollen Strafzahlungen verhängt werden. Im Ergebnis verlieren Euro-Länder ihre Haushaltssouveränität, Ausgabenkürzungen führen zu verschärftem Sozialabbau sowie zu Privatisierung öffentlichen Eigentums und öffentlicher Leistungen.
  • Mit Einsatz des Druckmittels Schuldenbremse soll europaweit ein angeblicher Sachzwang für Sozialabbau geschaffen werden. Statt Europa in einen Abwärtsstrudel hinein zu sparen und die Perspektiven insbesondere junger Menschen zu zerstören, ist eine Richtungsänderung einer auf Außenhandelsüberschüsse und das Niederkonkurrieren anderer Volkswirtschaften abzielenden Wirtschaftspolitik notwendig. Bestandteile einer sinnvollen Sanierungsstrategie sind gemeinschaftlich getragene Maßnahmen, die eine ökologisch anspruchsvolle Wirtschaftsstruktur stärken. Ein Europäisches Investitionsprogramm nach dem Vorbild des Marshall-Plans kann dazu beitragen, die Wachstumsschwäche der Krisenländer zu überwinden. Ein solches Investitionsprogramm sollte sowohl konjunkturfördernde Projekte als auch längerfristig wirkende Strukturhilfen enthalten.

  • Notwendig sind die Einrichtung einer europäischen Ausgleichsunion zur Eindämmung von Leistungsbilanzungleichgewichten, die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, die wirksame Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Korruption, eine Deutschland- und EU-weite Vermögensabgabe und eine Millionärsteuer. Behoben werden müssen die Ursachen der Finanzkrise: die fehlende Regulierung der Finanzmärkte und die teure Bankenrettung, die unzureichende Besteuerung von Unternehmen und hohen Vermögen sowie die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte im Euro-Raum und in der EU insgesamt. Nur wenn auf diese Weise umgesteuert wird, kann die Demokratie geschützt und der Vorrang der Politik gegenüber den Erpressungsversuchen der Finanzmärkte durchgesetzt werden.


ESM-Finanzierungsgesetz (Drs. 17/9048)

Der ESM soll insgesamt über ein Kapital von 700 Milliarden (Mrd.) Euro verfügen können, der ESM-Beitragsschlüssel richtet sich nach den Anteilen der Euro-Länder am Kapital der Europäischen Zentralbank. Der deutsche Anteil am ESM-Kapital beträgt 27,1 %.
Vom abrufbaren ESM-Kapital soll Deutschland 168,3 Mrd. Euro tragen, von den ESM-Bareinlagen 21,7 Mrd. Euro. Die Bareinlagen werden in Teilbeträgen eingezahlt. Der Nachtragshaushalt 2012 des Bundes sieht vor, dass Deutschland in 2012 8,7 Mrd. Euro ESM-Bareinlagen einzahlt.

Für die EFSF hat Deutschland bereits Garantien von bis zu 211 Mrd. Euro übernommen.
Dies entspricht einem Anteil von 29,1 % des EFSF-Gesamtgarantievolumens von bis zu 726 Mrd. Euro.

Bundesschuldenwesengesetz (Drs. 17/9049)

Durch den Gesetzentwurf soll die Möglichkeit geschaffen werden, Umschuldungsklauseln in die Emissionsbedingungen des Bundes einzuführen, und zwar für Bundeswertpapiere mit einer Laufzeit ab einem Jahr. Durch Umschuldungsklauseln (englisch: Collective Action Clauses – CACs) sollen Blockaden einzelner Gläubiger beim Aushandeln einer Umschuldung im Fall der Zahlungsunfähigkeit eines Schuldnerlandes verhindert werden.

Der Gesetzentwurf soll Artikel 12 Absatz 3 des Anfang Februar 2012 von allen Euro-Ländern unterzeichneten ESM-Vertrags in deutsches Recht umsetzen. Artikel 12 Absatz 3 des ESM-Vertrags lautet: „Ab 1. Januar 2013 enthalten alle neuen Staatsschuldtitel des Euro-Währungsgebiets mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr Umschuldungsklauseln, die so ausgestaltet sind, dass gewährleistet wird, dass ihre rechtliche Wirkung in allen Rechtsordnungen des Euro-Währungsgebiets gleich ist.“