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Jutta Krellmann im Portrait | Foto: © Alexander KlebeFoto: Alexander Klebe

»Es gibt eine ganze Reihe von Betrieben, die einfach gar nichts gemacht haben«

Im Wortlaut von Jutta Krellmann, der Freitag,

Es hat mehr als ein Jahr Pandemie gebraucht, bis Arbeitgeber Schnelltests für ihre Beschäftigten anbieten müssen. Während im privaten Bereich immer engere Beschränkungen erlassen werden, bleiben viele Unternehmen und ein großer Bereich der Arbeitsplätze von strengen Regeln verschont. Das hat Gründe, sagt die Bundestagsabgeordnete Jutta Krellmann im Interview mit der Wochenzeitung »der Freitag«.

der Freitag: Frau Krellmann, ist es gefährlich, in der Corona-Pandemie in Deutschland zu arbeiten?

Jutta Krellmann: Ich finde, der Bereich des Arbeitsplatzes bleibt bisher in der Diskussion über die Risiken, sich mit Corona anzustecken, ziemlich unterbelichtet. Dabei ist klar: Die meisten Menschen arbeiten acht Stunden am Tag, wenn sie vollzeitbeschäftigt sind, das heißt, sie verbringen einen Großteil ihrer Zeit, in der sie nicht schlafen, auf Arbeit. Natürlich gibt es dort auch ein Infektionsrisiko. Wenn man sich die Ausbrüche in der Fleischindustrie anguckt: Dort sind die allermeisten Ansteckungen nicht in den beengten Unterkünften passiert, sondern während der Arbeitsstunden in der Fleischfabrik.

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Versäumnisse der Bundesregierung bei der Pandemiebekämpfung am Arbeitsplatz?

Wenn Sie mich fragen: Was ist der sicherste Schutz vor Corona für einen Arbeitnehmer? Dann ist das doch, dass er gar nicht mehr zur Arbeit geht (lacht). Aber im Ernst, da sind wir schon beim Thema Homeoffice: Das hätte man einfach viel früher einführen können. Es gibt immer noch kein grundsätzliches Recht auf Homeoffice. Selbst im Betriebsrätemodernisierungsgesetz, das derzeit in Vorbereitung ist, ist dieser Punkt wieder nicht dabei.

Woran liegt es, dass verschiedene Unternehmen so unterschiedlich mit Corona umgegangen sind?

In vielen Betrieben wurde natürlich reagiert. Das sind in der Regel Mitbestimmungsbetriebe gewesen beziehungsweise Betriebe, wo es einen Betriebsrat gibt. Tun könnte man ja eine ganze Menge, nicht nur Homeoffice: Man kann die Arbeit so organisieren, dass sich die Leute nicht so viel begegnen. Ich finde, da gibt es sehr pfiffige Überlegungen. Bei mir im Wahlkreis zum Beispiel gibt es Unternehmen, die haben jetzt Schichtarbeit eingeführt, damit halbiert sich die Zahl der Leute schon mal, die im Betrieb sind.

Und bei den anderen?

Es gibt eine ganze Reihe von Betrieben, die einfach gar nichts gemacht haben, die auch auf die Vorschläge ihrer Beschäftigten nicht eingegangen sind. Vor allem da, wo es keinen Betriebsrat gibt. Wo der Chef noch der Herr im Haus ist.

Vor allem in Kleinbetrieben?

Ja, in Kleinbetrieben ist das oft so, aber nicht nur. Wenn man sich anguckt, wie bei Amazon gekämpft werden muss, dass es überhaupt einen Betriebsrat gibt. Amazon ist kein Kleinbetrieb.

Wir diskutieren viel darüber, dass Arbeitgeber Homeoffice ermöglichen sollten … Geht dabei nicht unter, dass das für die Mehrzahl der Beschäftigten gar keine Option ist?

Nun, wir reden von fast der Hälfte der Arbeitsplätze, bei denen es möglich wäre, von zu Hause zu arbeiten. Bis jetzt machen das davon aber wieder nur rund die Hälfte. Das heißt nicht nur, dass rund drei Viertel der Beschäftigten nach wie vor Präsenzarbeit verrichten, sondern auch, dass es da eine Menge von Leuten gibt, die wir schützen könnten, bei denen wir das aber nicht genug tun.

Was genau fehlt Ihnen da?

Ich finde, dass die Bundesregierung, getrieben von CDU/CSU und im Hintergrund von den Arbeitgeberverbänden, es bisher versäumt hat, klare Regeln für den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zu beschließen, zum Beispiel über eine Verpflichtung zu Schnelltests. Wieso reden wir da so lange drüber?

Die Verpflichtung für Arbeitgeber, Schnelltests bereitzustellen, soll jetzt endlich kommen. Sie stand schon im Januar in einem Entwurf der Corona-Arbeitsschutzverordnung von Bundesarbeitsminister Heil …

… ja, und dann wurde sie zum Gefallen der Arbeitgeberlobby wieder gestrichen. Wie können Arbeitgeber heute noch sagen, dass das nicht geht? Da sag ich: Leute, wenn ihr das nicht könnt, dann seid ihr die falschen Arbeitgeber. Der Arbeitgeber hat eine Fürsorgepflicht für seine Beschäftigten. An dieser Stelle wird der überhaupt nicht nachgekommen.

Der Hauptgeschäftsführer des Unternehmerverbandes Niedersachsenmetall sagte dazu, den Unternehmen „jetzt eine Testpflicht aufzuerlegen, käme einer Missachtung der bisherigen Anstrengungen gleich“.

Also wissen Sie, ich wohne in der Nähe von Hameln, in Niedersachsen. Ich bin da vorsichtig genug, im Umgang mit anderen Menschen. Trotzdem: Wenn ich hier in der Fußgängerzone keine Maske trage, selbst wenn ich mutterseelenallein bin, dann kommt das Ordnungsamt und bittet mich zur Kasse. Da macht sich keiner Gedanken, was von uns im privaten Bereich alles abverlangt wird. Für den Arbeitgeber wäre es kein Problem, so was umzusetzen: Er könnte mich als Beschäftigte einfach anweisen, zum Betriebsarzt zu gehen und mich testen zu lassen.

Sie kritisieren, dass auch nicht wirklich kontrolliert wird, wieweit Unternehmen das wenige umsetzen, das verpflichtend ist.

Ja. Das liegt daran, dass der Arbeitsschutz in den vergangenen Jahren immer lückenhafter und zahnloser geworden ist. Betriebe werden im Schnitt nur mehr alle 25 Jahre kontrolliert, in manchen Bundesländern nur alle 40 Jahre. Die Kontrollbehörden sind unterbesetzt und mangelhaft ausgestattet. Das ist das Ergebnis von Jahrzehnten neoliberaler Politik. Wir haben auch nicht genug Leute, die die Einhaltung des Mindestlohns kontrollieren: Alles das, was dahin geht, dass man die Einhaltung von beschlossenen Gesetzen auch kontrolliert und umsetzt, das wurde zurückgefahren. Das tritt jetzt – dank Corona – deutlich zutage, aber die Ursachen reichen weit in die Vergangenheit zurück.

Corona wirft helles Licht in manche dunkle Fabrikecke …

Ich bin fest davon überzeugt: Ohne Corona hätte es kein Verbot von Werkverträgen in der Fleischindustrie gegeben! In der letzten Legislaturperiode hat man es mit der Selbstverpflichtung versucht … Da stand drin, dass man Werkverträge zurückfahren will. Nichts ist passiert, es ging alles genauso weiter.

Wie sieht es bei den Saisonarbeitskräften in der Landwirtschaft aus?

Die Erntezeit hat beim Spargel noch nicht wirklich begonnen, aber ich glaube nicht, dass sich die Situation von alleine geändert hat oder ändern wird. Auch hier wäre es wichtig, dass es genug Kontrollen gibt. Wie die Menschen untergebracht werden, ob sie gerecht und pünktlich bezahlt werden. Allerdings gibt es auch Betriebe wie die Meyer Werft, die sind gar keine Saisonbetriebe, aber da arbeiten Arbeiter aus dem Ausland mit Werkverträgen. Als sich dort einige mit dem Coronavirus angesteckt hatten, hat man sie nicht hier im Krankenhaus behandelt, sondern in einen Bus gepackt und nach Hause geschickt, nach Bulgarien oder Rumänien. Auch da müsste man sehr viel besser und genauer kontrollieren.

der Freitag,