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Es fehlt nicht an Waffen, sondern an humanitärer Hilfe

Im Wortlaut von Gregor Gysi,

Gastbeitrag ein der Rhein-Zeitung

Foto: Jakob Huber

 

 

Von Gregor Gysi

 

Dass Deutschland Waffen exportiert ist leider nichts Neues. Neu ist auch nicht der Waffenexport in Kriegs- und Krisengebiete. Israel, Saudi-Arabien und die Türkei wurden in den vergangenen Jahren beliefert, während sie militärische Feldzüge organisierten. Neu ist, dass die Bundesregierung in einem Kriegsgebiet nicht eine Regierung mit Waffen beliefern will, sondern Kampfverbände, die weder der irakischen Zentralregierung noch der kurdischen Regionalregierung unterstehen.

Die Peschmerga-Verbände sind Milizen der irakisch-kurdischen Parteien KDP und PUK. Ich denke, in dieser neuartigen Situation muss das Parlament entscheiden. Eine Sondersitzung kostet auch viel Geld, aber bitte nicht nur für eine Diskussion. Die Bundeskanzlerin bringt es auf einen einfachen Nenner: Im Irak drohe ein Völkermord durch den Islamischen Staat (IS), und da müsse sofort gehandelt werden. Doch die Bundesregierung stellt dieses dramatische Szenario gleich wieder in Frage.

Denn auf keinen Fall dürfe die PKK der türkischen Kurden in den Besitz dieser Waffen gelangen. Es waren aber vor allem Einheiten der PKK und der mit ihr eng verbündeten syrischen PYD, die für die vom Völkermord durch die IS-Terroristen bedrohten Jesiden einen Fluchtweg freikämpften. Und in Syrien führt vor allem die PYD seit mehr als einem Jahr einen verlustreichen Kampf gegen die IS-Verbände und schafft eine sichere Zone für Flüchtlinge. Die PYD erhält übrigens nicht einmal Medikamente. Niemand sollte sich mit Assad gemein machen, aber er kämpft inzwischen auch gegen den IS, so dass man um Gespräche und Verhandlungen mit ihm nicht umhinkommen wird.

Dabei verharmlose ich die Bedrohung durch den Islamischen Staat keinesfalls. Ich frage mich nur: Warum möchte die Bundesregierung die Peschmerga bewaffnen? Die Jesiden fühlen sich nicht besonders von ihnen geschützt, ihnen verweigern die Peschmerga auch Waffen. Außerdem riskiert die Regierung damit Risse in der gerade bestehenden Koalition aus syrischen, türkischen und irakischen Kurdenverbänden.

Wenn ich die Bilder mit Panzern und Schützenpanzern der Peschmerga sehe, scheint es gerade diesen wirklich nicht an Mitteln im Kampf gegen die IS zu fehlen. Aber das ist nur ein Punkt. Ein anderer: Wie sieht es eigentlich mit der UNO aus? Nur der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist zuständig. Mindestens ein UN-Mandat für sichere Schutzzonen für Flüchtlinge ist doch längst überfällig. Warum beantragt die Bundesregierung keine Sitzung, warum entwirft sie keinen Beschlussentwurf? Es kann nicht jede Regierung für sich entscheiden, was sie tut, auch nicht unsere.

Die Bundesregierung ignoriert die Folgen ihres Handelns. Eine kurdische Eigenstaatlichkeit steht bei der kurdischen Regionalregierung weit oben auf der Tagesordnung. Jede Waffe, die in Irakisch-Kurdistan ausgeliefert wird, wird den Prozess der kurdischen Ablösung vom irakischen Gesamtstaat befördern. Ich weiß ebenso wie Außenminister Frank Walter Steinmeier, dass das ohne Einverständnis des Iraks völkerrechtswidrig ist, wie es bei der Krim und beim Kosovo völkerrechtswidrig war, wobei es Steinmeier beim Kosovo nicht zu wissen schien.

Aber für mich ist der Unabhängigkeitswunsch vieler Kurden trotzdem nachvollziehbar. Sie waren Opfer eines versuchten Völkermords durch das Saddam-Regime, wobei dem Giftgasangriff auf die Stadt Halabja auch deutsche Exporte halfen. Die jetzige irakische Regierung ist nicht imstande, sie zu schützen.

Einer Gesellschaft, die durch einen Genozid traumatisiert ist, wird auch Steinmeier den Wunsch nach Eigenstaatlichkeit nicht ausreden können. Die Kurden werden für ihren Staat eintreten, weil sie keine Bedrohung durch andere mehr erleben wollen. Auch deshalb wurde bekanntlich Israel gegründet, damit Juden sich Schutz selbst organisieren können. Und deshalb bin ich übrigens auch für die unverzügliche Eigenstaatlichkeit der Palästinenser. Aber müssen wir alle bewaffnen?

Was sollte Deutschland tun? Nach der Anrufung des UN-Sicherheitsrates muss sich Deutschland daran beteiligen, die Nachschubwege durch die Türkei und die finanziellen Kanäle aus Saudi-Arabien und Katar für den IS zu blockieren. Der IS muss als "terroristische Organisation" eingestuft und Maßnahmen gegen hier lebende Unterstützer müssen getroffen werden. Außerdem können auch Maßnahmen gegen unterstützende Staaten ergriffen werden. Und natürlich wäre zu überprüfen, ob das Verbot der PKK aufgehoben werden sollte. Dass das der Türkei nicht gefällt, müssen wir einfach hinnehmen. Außerdem müssen endlich konfliktvorbeugende Gespräche zwischen allen Teilen der Bevölkerung im Irak organisiert werden.

Das wichtigste aber sind humanitäre Hilfen. Sowohl in Syrien als auch im Irak müssen täglich neue Flüchtlinge versorgt werden. Auch muss Europa bereit sein, mehr Flüchtlinge aufzunehmen.

 

Rhein-Zeitung, 30. August 2014